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Wie wird die Nacht regiert?

Wissenschaftler untersuchen Stadttourismus als Indikator für gesellschaftliche Ver?nderungen

Pantomimen machen sich bereit, um Touristen in Kreuzberg zu Fairness zu animieren. Foto: fair.kiez.

?Kreuzberger N?chte sind lang“ sangen schon die Gebrüder Blattschuss Ende der 1970er Jahre. Zwischenzeitlich ist die Mauer gefallen, der Bezirk ist gr??er geworden und hei?t nun Friedrichshain-Kreuzberg, aber die N?chte sind l?nger denn je und sorgen regelm??ig für Schlagzeilen in den Medien. Im Mittelpunkt stehen die Touristenschw?rme aus aller Herren L?nder, die l?rmend durch die Nachtwelt ziehen und manchen Bewohner zur Verzweiflung treiben. ?Vor 40 Jahren war Stadttourismus nur ein marginaler Aspekt, heute ist es ein dominanter Wirtschaftsfaktor für Berlin“, sagte Henning Füller, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Kultur- und Sozialgeographie des Geographischen Instituts. ?Das besondere an Berlin ist die Clubszene, die viele Touristen anzieht, gleichzeitig ziehen aber Gutverdienende im Zuge der Reurbanisierung wieder zurück in die Stadt und wünschen sich ein ruhiges Wohnumfeld. Konflikte sind vorprogrammiert.“

??ffentlicher Raum wird st?rker genutzt“

In einer Arbeitsgruppe unter der Leitung von Ilse Helbrecht untersuchen Füller und andere Nachwuchswissenschaftler den Berliner Stadttourismus als Indikator für gesellschaftliche Ver?nderungen, aber auch wie die Berliner Politik mit den unterschiedlichen Interessen umgeht und die Problematik rund um Nachtleben, Tourismus und Nachtwirtschaft zu steuern versucht. ?Wie wird die Nacht regiert?“ lautet der Arbeitstitel des Projekts. Erste Ergebnisse stellte Henning Füller auf dem Adlershofer Forschungsforum, das am 11. November 2015 auf dem Campus Adlershof stattfand, vor.

?Stadttourismus ist gesamtgesellschaftlich unter dem Stichwort Erlebnisgesellschaft zu sehen, es ist zunehmend wichtig geworden, aktiv an 金贝棋牌 teilzunehmen, Konzerte zu besuchen, h?ufiger zu reisen und Kurztrips in St?dte zu machen.“ Berlin ist dabei ein attraktives Ziel. ?Hier kommt es zum massiven Nutzungswandel ?ffentlicher R?ume, Eventisierung und Festivalisierung nehmen zu, hinzu kommen informelle 金贝棋牌 wie Facebook-Partys, der ?ffentliche Raum wird st?rker genutzt.“ Gleichzeitig n?hmen die ?ffentlichen Fl?chen aber ab. Berlin – die Stadt der Leere und der Lücken – werde zunehmend mit Wohnprojekten zugebaut.

Im Trend: Die Stadt als ?Local“ erfahren

?Versch?rft werden die Konflikte im neuen Stadttourismus auch dadurch, dass G?ste nicht nur in Hotels und vor innerst?dtischen Sehenswürdigkeiten verweilen, sondern ein gro?es Interesse haben, die Stadt als ?Local“ zu erfahren und das Authentische der Stadt zu erleben.“ Um das Spannungsfeld von Nachtleben, Tourismus und Nachtwirtschaft zu befrieden, wurden einige politische Ma?nahmen ergriffen. So wurde 2015 das Pantomimeprojekt ?fair.kiez“ ins Leben gerufen. Dieser Zusammenschluss verschiedener Akteure aus Friedrichshain-Kreuzberg schickte an mehreren Abenden in der Woche Pantomimen als Mediatoren durch bestimmte Stra?en des Bezirks. Allerdings ohne den Nutzungskonflikt zwischen Bewohnern und Touristen damit zu l?sen. Anderes Beispiel: Ein durch den Berliner Senat initiierter Clubkataster schafft die Grundlage? für einen Bestandsschutz von Musiklocations gegenüber neuen Bauvorhaben in der Nachbarschaft, denn Clubs werden als wichtiger Standortfaktor für die Tourismusszene gesehen. Feiern und Wohnen wird hier gleichberechtigt behandelt.

Erstes Fazit der Wissenschaftler: ?Der Haupterfolg ist, dass ein bestimmtes Problem übereinstimmend wahrgenommen wird, und damit ein spezifischer L?sungshorizont feststeht, in diesem Fall der Verzicht auf die tats?chliche L?sung der Nutzungskonflikte“, sagt Füller. ?Es geht darum, zu berichten und Handlung zu suggerieren.“ Die Berliner Politik marginalisiere die Problematik, die sich um den Stadttourismus rankt, indem sie die geographische und personelle Reichweite minimiere. So wird die Reichweite auf Friedrichshain-Kreuzberg begrenzt, der Personenkreis auf ?Easyjet-Touristen, die saufend durch die Stra?en ziehen“. Henning Füller: ?Es findet eine aktive Konstruktion fehlender Handlungsnotwendigkeit statt.“ Ob das eine exemplarische Regierungsweise ist, die sich in einem postpolitischen Führungsstil, einer entpolitisierten Form der Politik, ausdrückt, wollen die Wissenschaftler auch untersuchen.

Autorin Ljiljana Nikolic