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?Bei technischen Standards zeigt sich im Kleinen, wie es zu gro?en geopolitischen Umbrüchen kommt“

Prof. Dr. Sarah Eaton ist Professorin für Transregionale Chinastudien am Institut für Afrika- und Asienwissenschaften. Für ihr Forschungsprojekt TECHtonics hat sie kürzlich einen mit rund zwei Millionen Euro dotierten ERC Consolidator Grant erhalten. Im Interview erkl?rt sie, wie die F?rderung ihre Arbeit unterstützt und welche Forschungsfragen sie in den kommenden Jahren beantworten m?chte.
Alternativtext

Prof. Dr. Sarah Eaton,
Foto: Stefan Klenke

Frau Eaton, Sie haben sich mit Ihrem Forschungsprojekt TECHtonics erfolgreich um einen ERC Consolidator Grant beworben. Zun?chst einmal herzlichen Glückwunsch für diese bedeutende Auszeichnung. Um was genau geht es in diesem Projekt?

Prof. Dr. Sarah Eaton:?Es geht darum, wie globale technische Standards oder Normen festgesetzt werden und um die Politik, die dahintersteckt. Sie fragen sich vielleicht, was genau das sein soll und was daran wichtig ist. Nehmen wir das Beispiel einer Kreditkarte. Sie muss genau 8,6 Zentimeter breit, 5,4 Zentimeter hoch und 0,8 Millimeter dick sein. Diesem Standard folgen alle Banken auf der ganzen Welt. Und dadurch k?nnen wir weltweit Geld abheben – ob in Berlin, Beijing oder Vancouver. ?konomen bezeichnen das als Interoperabilit?t – also die F?higkeit verschiedener Systeme, zusammenzuspielen. Diese Standards werden oft auch als das ?stille Fundament der globalen Wirtschaft“ bezeichnet. Sie sorgen für Sicherheit und Verl?sslichkeit und sind allgegenw?rtig: in den n?chsten Generationen von Hochtechnologien zu drahtloser Datenübertragung 5G und 6G oder auch in Regelungen und Vorschriften zu Agrarexporten und Nahrungsmittelsicherheit.

Fünf Jahre lang wird Ihr Projekt nun vom Europ?ischen Forschungsrat gef?rdert. Welche Forschungsfragen wollen Sie in dieser Zeit untersuchen?

Eaton: Ich m?chte untersuchen, wie sich die Art und Weise, wie Standards ausgehandelt werden, durch das Auftauchen neuer Player ver?ndert. Traditionell wurde das Geschehen lange durch die westliche Welt dominiert. Das hat sich in den vergangenen Jahren stark ge?ndert. China ist in allen m?glichen Bereichen, vor allem aber in der Hochtechnologie, sehr ambitioniert beim Setzen neuer technischer Standards. Indien ist ebenfalls auf dem Vormarsch im IT Bereich und auch Kenia hat sich – etwa auf dem Gebiet Waren- und Produktnorme – zu einem wichtigen Akteur entwickelt, der sich dafür einsetzt, dass die Regeln für L?nder des globalen Südens fairer werden. Für westliche Akteure sind das teilweise heikle 金贝棋牌. Denn es gibt die ernstzunehmende Befürchtung, dass neue Regelungen auch für andere Zwecke instrumentalisiert werden k?nnten. Etwa von der chinesischen Regierung, die sehr eng mit den gro?en chinesischen Tech-Giganten kooperiert und durch die Hintertür Spionagem?glichkeiten schaffen k?nnte. China hat sich das klare Ziel gesetzt, eine Standard-Supermacht zu werden. Als Antwort darauf haben die EU und die USA in den vergangenen Jahren eine Kooperation gebildet, um den Einfluss Chinas in sensiblen Hightech-Bereichen zurückzudr?ngen.

Internationale technische Standards sind also tats?chlich ein hochpolitisches Thema?

Eaton: Ja, absolut. Das erwartet man vielleicht nicht, wenn man das zum ersten Mal h?rt. Aber wenn ich im Bekannten- oder Familienkreis von 5G, 6G, Huawei und China erz?hle, wird die Bedeutung meistens sehr schnell klar. Im Forschungsprojekt wollen wir verstehen, auf welchen Wegen aufstrebende Staaten ihren Einfluss ausbauen, bestehende Barrieren durchbrechen und wie es ihnen gelingt, technische Standards mitzupr?gen. Die Entwicklung geht sehr rasant voran und wird durch die gewachsene technische Expertise, aber auch durch neue finanzielle M?glichkeiten angetrieben. Denn die Teilnahme an den Arbeitsgruppen und Gremien, die die Standards beschlie?en und erarbeiten, ist sehr teuer: Im Bereich Telekommunikation etwa fallen im Komitee pro Jahr und Person rund 300.000 Dollar an – das beinhaltet viele Flüge und Hotelübernachtungen. Auf der anderen Seite schauen wir uns natürlich auch an, was die Konsequenzen daraus sind. Denn es kommt zu Umbrüchen, die sehr komplex sind und viele Facetten haben. Traditionelle, etablierte Rollen und Regeln werden in Frage gestellt. Das Thema erh?lt zunehmend eine geopolitische Dimension und ist wie ein Mikrokosmos, der im Kleinen zeigt, wodurch gro?e globale Umbrüche angetrieben werden.

Mit welchen Methoden untersuchen sie Ihre Forschungsfragen?

Eaton: Wir planen lange Feldversuche in den drei L?ndern China, Indien und Kenia. Dort werden wir qualitative Interviews mit denjenigen führen, die in der Welt der technischen Standards aktiv sind und wir werden auch die entsprechenden Organisationen besuchen. Auch im globalen Norden werden wir mit entscheidenden Akteuren sprechen – etwa in Brüssel, wo sehr viele dieser Fragen verhandelt werden. Au?erdem entwickeln wir eine Datenbasis, die die verschiedenen Ma?nahmen aufzeigen soll, mit der Teilhabe am Standardisierungprozess erm?glicht wird. Wie viele Antr?ge dafür landen etwa von welchen L?ndern auf dem Tisch und an welche Komitees wenden sie sich? Das gibt uns einen quantitativen ?berblick darüber, wie Teilhabe ausgehandelt und geformt wird. Und schlie?lich wollen wir in Umfragen von IT-Experten in unseren drei Forschungsregionen erfahren, wie sie die Verfahren zur Standardsetzung beurteilen.

Worin sehen Sie die gr??te Herausforderung bei diesem Vorhaben und was bedeutet der ERC Grant für Ihre Arbeit?

Eaton: Ich bin Expertin für Politik, internationale Beziehungen und Chinastudien. Aber für dieses Projekt muss ich aus meiner Komfortzone heraus und mich mit L?ndern vertraut machen, über die ich bisher nicht so viel wei?. Indien und Kenia sind neu für mich – aber das macht alles umso spannender. Ich freue mich sehr, dass ich dank der ERC-F?rderung zwei Postdocs und zwei Promovierende für das Projekt einstellen kann. Die finanziellen Ressourcen geben uns einen gro?en Spielraum, das Thema in aller Tiefe und auch vor Ort zu untersuchen. Das unterstützt meine Arbeit enorm und ist tats?chlich die beste Nachricht des Jahres 2023 für mich gewesen.

Die Fragen stellte Heike Kampe.

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