Der Kampf um Stra?ennamen ist ein Zeichen von lebendiger Geschichte
Das Institut für Europ?ische Ethnologie der HU besch?ftigt sich seit langem mit der Gegenwart des kolonialen Erbes und mit Europa als Raum postkolonialer Auseinandersetzungen. Im Interview erkl?ren die Professorinnen Silvy Chakkalakal und Regina R?mhild, warum sie sich für die Umbenennung der Berliner Mohrenstra?e und für ein postkoloniales Zukunftsdenken einsetzen. Am Institut wurde dazu eine Offener Brief verfasst, den nach wenigen Tagen bereits über 100 Wissenschaftler*innen unterzeichnet haben.
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Prof. Dr. Regina R?mhild und Prof. Dr. Silvy Chakkalakal, Foto: Matthias Heyde
Silvy Chakkalakal ist Juniorprofessorin mit dem Schwerpunkt Gender, Bildung und Zukunft am Institut für Europ?ische Ethnologie an der Humboldt-Universit?t zu Berlin. Regina R?mhild ist Kulturanthropologin und seit November 2009 Professorin am Institut für Europ?ische Ethnologie der HU Berlin.
Sie fordern gemeinsam mit Wissenschaftler*innen, Mitarbeitenden und Studierenden des Instituts für Europ?ische Ethnologie in einem Offenen Brief?die Umbenennung der Mohrenstra?e in Berlin, in der sich auch das Institut befindet. Inwiefern ist der Name der Stra?e für Schwarze Menschen herabwürdigend?
Regina R?mhild: Der Name ist im deutschen Sprachraum eine herabwürdigende Fremdbezeichnung. Das merken Sie unmittelbar daran, dass Sie wohl kaum jemanden heute so benennen würden – au?er Sie h?tten tats?chlich rassistische Absichten. Die Bezeichnung ist aufgeladen mit Vorstellungsbildern aus der Zeit des Versklavungshandels, als Menschen aus Afrika verschleppt und an brandenburgisch-preu?ische und andere Herrscherh?fe ?verschenkt“ wurden, wo sie der Willkür ihrer ?Besitzer*innen“ ausgesetzt waren. Die Figur des kindlich wirkenden M* mit ?orientalisch“ anmutenden Pluderhosen und übergro?em Turban, der einer imagin?ren Wei?en Dame Sü?igkeiten reicht, ist – auch über die Schokoladenwerbung hinaus – ein fester Bestandteil exotisierender Bildwelten, die koloniale Machtverh?ltnisse bis in unsere heutige Gegenwart fortschreiben. Dass der Bezeichnung diese alltagsrassistischen Konnotationen heute anhaften, wird von niemandem ernsthaft bestritten – selbst von den Kritiker*innen einer Umbenennung der M*Stra?e nicht, die sich auf andere Lesarten in der Vergangenheit berufen. Auch der Duden konstatiert lapidar, dass der Begriff veraltet und ?heute diskriminierend“ sei.
Am Institut für Europ?ische Ethnologie setzen wir uns schon lange kritisch mit der weithin unbearbeiteten Gegenwart des kolonialen Erbes in unserer Gesellschaft auseinander. Es ist daher für uns inakzeptabel, uns selbst, unseren diversen Kolleg*innen und Studierenden sowie unseren G?sten und Forschungspartner*innen aus aller Welt mit diesem Absender in unserer Post zu begegnen. Wir lehnen die Unachtsamkeit und Ignoranz ab, die im Beharren auf dieser Bezeichnung mit rassistischer Konnotation erkennbar wird – da dieses Beharren und die Welt, die es schafft, unserer wissenschaftlichen Erkenntnis und unseren Vorstellungen einer gemeinsamen Gegenwart zutiefst widerspricht.
Silvy Chakkalakal: Ich schlie?e mich da Regina R?mhild an. Der Umbenennungswille geht auf ein breites Bündnis von ganz unterschiedlichen Menschen und Gruppierungen zurück, und das seit vielen Jahren. Mir ist noch wichtig zu sagen, dass ?Betroffenheit“ und ?Ablehnung“ eine Reaktion sind, die ganz unterschiedliche Menschen miteinander teilen, auch unabh?ngig davon, ob sie als Schwarze oder People of Color selbst Rassismus erfahren und sich von dem Begriff M* pers?nlich angegriffen fühlen. Wir sollten davon wegkommen, Menschen über eine pers?nliche Betroffenheit wieder als ?anders“ zu markieren.
Wieso ist ihnen gerade die Umbenennung von Stra?en und Pl?tzen so wichtig?
Regina R?mhild: Namen von Stra?en und Pl?tzen sind symbolische und materielle Hinweise auf die Vergangenheiten, Ereignisse und Akteure, auf die sich eine Stadt wie Berlin heute beruft. Solche Namen sind machtvoller Ausdruck aktueller Herrschaftsverh?ltnisse, in denen sich das Verh?ltnis einer Gegenwart zu ihrer Geschichte im ?ffentlichen Raum pr?sentiert. Solange es durch Namen sprechende Stadtpl?ne gibt, kam es daher immer schon zu Umbenennungen, die neuen Ansprüchen auf neue Repr?sentationen von Geschichte von neuen Machthabenden folgten.
Bis heute wird an einer aus der Zeit der Versklavung stammenden Bezeichnung der Stra?e festgehalten, und Berlin hat darüber hinaus den Neubau eines Schlosses und einer darauf thronenden Kuppel mit Kreuz zugelassen, die auf eine Zeit k?niglich-preu?ischer Machtdemonstration gegenüber einer jungen deutschen Demokratiebewegung zurückgeht. Auch formuliert sich hier eine Lesart, die mittels einer christlichen Mission auf eine zu unterwerfende Welt weist. All dies sind Signale, die sich unmittelbar an die Stadtbev?lkerung richten, sie aber in sehr unterschiedlicher Weise adressieren. Diese sprachlichen und r?umlichen Zeichen in der Stadt sind nur für einen Teil der Bev?lkerung und der Besucher*innen – und nicht etwa für alle Beteiligten, wie manchmal behauptet – ?Stolpersteine“; und sie führen keineswegs allgemein zum ?berdenken einer problematischen Geschichte. Darüber stolpern vor allem diejenigen, die darin ihre??Teilhabe und ihre Zugeh?rigkeit zu unserer Gesellschaft in Frage gestellt sehen.
Silvy Chakkalakal: Die Auseinandersetzung um eine Umbenennung der M*Stra?e ist eine sehr gute Gelegenheit, heute darüber nachzudenken und neu darüber zu entscheiden, welche gesellschaftlichen Machtverh?ltnisse wir in der symbolischen Topographie der Stadt dokumentieren wollen. Ist Berlin eine Stadt der Vielen mit einer belebten Geschichte oder verharren wir in den symbolischen Logiken eines kolonialen Rassismus? Schaffen wir es, die geteilte Vergangenheit für eine gemeinsame Gegenwart und Zukunft neu zu denken?
Einige schlagen vor, diskriminierende Stra?ennamen zu belassen, aber deutlich auf die Hintergründe hinzuweisen. So würden historische Verl?ufe sichtbar gemacht, statt sie einfach auszuradieren. Was halten Sie davon?
Regina R?mhild: Von ?einfach ausradieren“ kann keine Rede sein – im Gegenteil. Wir schlagen nicht umsonst – gemeinsam mit vielen afrodiasporischen, post- und dekolonialen Aktivist*innen, Vereinen und Verb?nden - Anton Wilhelm Amo als neuen Namensgeber der Stra?e vor. Amo er?ffnet einen anderen Blick auf dieselbe Epoche, aus der auch der bisherige Stra?enname stammt. Statt aber wie bisher in einer Art ungebrochener kolonialer Referenz auf die Geschichte des Versklavungshandels Bezug zu nehmen, würde mit Anton Wilhelm Amo (geb. um 1700, Todesdatum nicht ge?sichert) der erste, in Deutschland t?tige Rechtsgelehrte und Philosoph afrikanischer Herkunft geehrt, der eine wissenschaftliche Disputation zu der damals auch ihn unmittelbar betreffenden Frage der ?Rechtsstellung der ?Mohren‘ in Europa“ verfasst und sich mit seinem Werk als Professor von den Universit?ten Halle, Wittenberg und Jena aus an den Debatten der Aufkl?rung beteiligt hat. ?ber die Umbenennung der Stra?e und des dazugeh?rigen U-Bahnhofs hinaus soll Anton Wilhelm Amo auch Namensgeber einer postkolonialen Erinnerungs- und Zukunftswerkstatt werden, die von unserer Initiative gefordert und mitkonzipiert wird.
Silvy Chakkalakal: Stra?en sind in erster Linie Orte, an denen sich das Leben abspielt: Ich komme im U-Bahnhof an, ich arbeite in der Stra?e, ich verabrede mich an einem spezifischen Ort mit Kolleg*innen und Freund*innen. Es geht für mich stark um die Frage: In welcher Stadt m?chte ich eigentlich leben? Und Stra?ennamen geh?ren in dieses aktive Be-Leben, in die Re-Imagination und auch Wiederaneignung von st?dtischem Raum – innerhalb dessen wir leben, denken, arbeiten, 金贝棋牌e knüpfen – dazu. Heute sind Stra?en und Pl?tze mehr denn je Orte der permanenten Aushandlung und alles andere als in einer einzigen historischen Linie zurückverfolgbar, die sich ausradieren lie?e. Statuen herunterzurei?en, Stra?enschilder umzuschreiben, neue Namen ins geschichtliche Spiel zu bringen sind Zeichen für den lebendigen Charakter von Geschichte, die sich eben erfreulicherweise nicht nur ?von oben“ schreibt, sondern auch aus der Lebenswelt von uns Vielen.
Woran machen Sie Rassismus in unserer Gesellschaft noch fest?
Silvy Chakkalakal: Rassismus sieht in unterschiedlichen Zeiten, Orten, Konstellationen spezifisch aus: Anschl?ge wie in Hanau, in Halle und die des NSU-Komplexes geh?ren ganz klar dazu, und wir erfahren ja t?glich von neuen Vorf?llen, die in diesem Kontext stehen und die noch immer allzu oft als ?Einzelf?lle“ abgetan werden. Aber genauso ist damit die rassistische Benachteiligung von Menschen verknüpft: in ihrem Alltag, in der Interaktion mit anderen Menschen, Beh?rden, Bildungsinstitutionen wie der Universit?t und Schulen, aber auch durch Algorithmen, Technologien oder auch mit st?dtischen Architekturen und Infrastrukturen, wie beispielsweise Stra?en(namen). Wir müssen den Blick auf allt?gliche Situationen richten und schauen,?welche ver?nderten Abh?ngigkeitsverh?ltnisse Rassismus heute eigentlich schafft. Beispielsweise wenn ich mit meiner Mutter bei einer Wohnungsbesichtigung bin und der Makler sagt: ?Ah, eine indische Gro?familie ist auch da.“ Oder ich meine Führerscheinprüfung ablege und der Prüfer merkt an: ?Was ist das denn für ein Name? Das kann ich nicht aussprechen, ich nenne Sie Frau Silvy.“ Oder in einem Vorstellungsgespr?ch, in dem meine sehr guten Deutschkenntnisse gelobt werden. In all diesen v?llig allt?glich und scheinbar harmlosen Situationen k?nnen Sie klar sehen, wie die Person, indem sie als anders markiert wird, auch sozial degradiert wird. Diese Form von Gewalt speist sich nicht zuletzt aus einer Abh?ngigkeitsposition, da ich ja die neue Wohnung, den Führerschein und den Job brauche. Natürlich kennen wir auch die darauffolgenden individualisierenden Argumente: ?Ach, das hast Du jetzt zu ernst genommen. Das hast Du falsch verstanden, das war gar nicht so gemeint.“ Tats?chlich laufen diese Wahrnehmungs-, Deutungs- und Reaktionsmuster jedoch nach ganz ?hnlichen gesellschaftlichen Mustern und Figuren ab: Sprache, Hautfarbe, Namen etc. dienen als Marker dieser benachteiligenden Unterscheidung. Wichtig ist mir hier hervorzuheben, dass das in ganz allt?glichen Situationen passiert und mit einer unhinterfragten Normalit?t gelebt wird. Rassismus ist so als ein umfassendes Ph?nomen des Alltags zu begreifen und eben nicht nur als das Problem von Menschen, die durch Rassismus in ihrem Leben benachteiligt, degradiert und get?tet werden.
Regina R?mhild: Dem stimme ich absolut zu. Das Erschreckende ist ja gerade die scheinbare und immer wieder als solche beschworene ?Harmlosigkeit“ von Bezeichnungen wie M* und der dazugeh?rigen Bilderwelt – eben das bezeugt, wie sehr unser heutiger Alltag von Rassismen durchzogen und gepr?gt ist, die quasi beil?ufig seit der Zeit des Versklavungshandels und des Kolonialismus mitgeführt werden. Es muss uns aber klar sein, dass dieser in Worten und Bildern pr?sente Alltagsrassismus ein wesentlicher N?hrb?den für den strukturellen, systematischen Rassismus und auch für Formen rassistischer Gewalt ist, die wir heute – im Zuge der Black Lives Matter-Bewegung – endlich auch hier bei uns breiter diskutieren.
Was müsste noch getan werden, um ihn zu ?ndern oder abzuschaffen?
Silvy Chakkalakal: Ich würde eher fragen: Wie gehen wir damit um, dass diese Markierungsprozesse in allzu vielen gesellschaftlichen Bereichen eine unhinterfragte Selbstverst?ndlichkeit besitzen und wir immer noch dabei sind, Rassismus erkl?ren zu müssen anstatt ihn aktiv jeden Tag zu bek?mpfen? Es sollte eigentlich mittlerweile klar sein, dass Rassismus sowohl den Hass umgreift, aber auch die institutionell benachteiligende Logik, die u.U. den Job, die Wohnung und eine eigene Geschichte verunm?glicht. Rassismus l?sst sich nicht externalisieren durch eine Unterscheidung in Betroffene und Nicht-Betroffene.
Aus der Universit?t gesprochen ist es an der Zeit, dass Institutionen wie Schule, Universit?t, Unternehmen, Beh?rden und Polizei auf ihre eigenen institutionellen Logiken und Alltage schauen. Es reicht nicht zu sagen, wir besch?ftigen auch Menschen mit Migrationshintergrund oder wir stehen für das Paradigma der Meinungspluralit?t. Es braucht vielmehr eine Politik der klaren Haltung und Handlung hin zu einer strukturellen Ver?nderung. Dies umfasst die konkrete Auseinandersetzung mit Einstellungskriterien, Leistungsparametern, der eigenen institutionellen Geschichte und mit tradierten, ganz normalen Praktiken. Antirassismus ist dabei für mich die mühsame, aber auch hoffnungsvolle Arbeit im Alltag, jeden Tag einerseits rassistische Ordnungen zu ver-lernen und andererseits die Kraft eines Re-Imaginierens permanent zu mobilisieren.
Sie merken schon, all das schafft eine Person nicht allein, dazu braucht es starke Allianzen von Menschen und Gruppen, die sich darüber bewusst sind, dass es nicht um eine Akzeptanz von Anders-Sein gehen kann, sondern dass Anders-Sein ein gesellschaftlicher Normalzustand ist.
Interview: Boris Nitzsche