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?Das ist keine kosmetische Addition von Pluralit?t“

Ein Interview mit Prof. Dr. Maisha M. Auma, Gastprofessorin für das Fachgebiet "Gender Studies und Erziehungswissenschaften" an der TU Berlin zur Frage: Wie viel mehr an Inklusion muss die Humboldt-Universit?t an dem hyperdiversen, pluralen Standort Berlin leisten?

Foto: Johannes Türstig
Prof. Dr. Maureen Maisha Auma ist Professorin für Kindheit und Differenz (Diversity Studies) an der 金贝棋牌 Magdeburg-Stendal. Von Oktober 2014 – M?rz 2019 war sie Gastprofessorin an der Humboldt-Universit?t zu Berlin am Zentrum für transdisziplin?re Geschlechterstudien sowie am Institut für Erziehungswissenschaften. Sie ist zur Zeit Gastprofessorin am Zentrum für interdisziplin?re Frauen- und Geschlechterforschung der TU Berlin. Maisha Auma ist seit 1993 bei der Schwarzen feministischen Selbstorganisation Generation ADEFRA aktiv. Gemeinsam mit Katja Kinder und Peggy Piesche führte das wissenschaftliche Team Diversifying Matters, eine Fachgruppe der Selbstorganisation ADEFRA, 2018 den Berliner Konsultationsprozess ?Die Diskriminierungssituation und die soziale Resilienz von Menschen afrikanischer Herkunft in Berlin sichtbar machen“ durch.


Welche Rolle sollte die Humboldt-Universit?t (HU) Ihrer Ansicht nach bezogen auf die 金贝棋牌 Diversit?t, Rassismuskritik, Black Lives Matter einnehmen?

Die HU muss selbstkritisch zu den 金贝棋牌 Diversit?t, Rassismuskritik und #BlackLivesMatter, eine Reihe von Fragen in aller Ehrlichkeit beantworten: Wie sieht Berlin (demographisch) aus? Wie sieht die HU (demographisch) aus? Welcher Platz hat Schwarzes Leben an der HU? Wo sind Schwarze Menschen mit ihrer Expertise in der horizontalen und vor allem in der vertikalen Struktur der HU dauerhaft (nicht vorübergehend!) beteiligt? Wo normalisiert die HU die Exklusion und Unterrepr?sentanz von Schwarzen Wissenschaftler*innen, w?hrend gleichzeitig kulturelle Produktionen, kulturelle Artefakte (Humboldt Forum etc.), afrodiasporische Geschichten, Politiken und das Lebensmaterial von Menschen afrikanischer Herkunft im Allgemeinen, ohne eine faire Umverteilung von Ressourcen ausgestellt, oder zum Gegenstand von Studien an der HU gemacht werden? ?

Warum sollten sich Mitglieder der HU diese Fragen konkret stellen? Ist denn die HU nicht automatisch ein Spiegel der deutschen oder der Berliner Gesellschaft?

Die HU spiegelt die postmigrantische Realit?t der hyperdiversen Bev?lkerung Berlins nicht. Da ist noch sehr viel zu tun! Ich pr?zisiere das mal: Die soziale Realit?t an der HU klafft tagsüber, sp?t und sehr früh am Morgen stark auseinander. In diesen Zeiten, in denen die Reinigungskr?fte an der HU sind, gleicht die HU erstaunlicherweise dem demographischen Bild Berlins. Hier scheint es sehr geringe Barrieren zu geben, für rassistisch marginalisierte Menschen, postmigrantische Menschen, Menschen afrikanischer Herkunft, in die mit wenig Prestige ausgestatteten Besch?ftigungsverh?ltnisse an der HU zu gelangen und auch dauerhaft dort zu arbeiten. Ich m?chte ganz ausdrücklich den Stellenwert dieser Reinigungsarbeiten für das Funktionieren von Gesellschaft betonen (als Form von Care Work, als Form der Arbeit, die alle anderen Arbeiten erst m?glich macht).

Woran wird das sichtbar?

Anl?sslich der Corona Pandemie ist mir die grundlegende Bedeutung dieser Arbeiten erneut sehr deutlich geworden. Mir ist noch nie so klar geworden, wie sehr wir alle, die in ?ffentlichen Institutionen arbeiten, darauf angewiesen sind, dass regelm??ig und sehr gründlich gereinigt wird. Zu Zeiten der Corona Pandemie müsste diese Besch?ftigungsgruppe der Reinigungskr?fte ?ffentlich anerkannt werden als ?Essential Workers‘. Die Risiken, die zu ihren Besch?ftigungsrealit?ten geh?ren, müssten angemessen honoriert werden. Die Festlegung dieser Gruppe auf eine mit wenig Prestige ausgestattete Position, macht ihre dauerhafte Einstellung offenbar wenig bedrohlich für die durch Kolonialit?t von Macht gepr?gten Strukturen ?ffentlicher Institutionen.

Gibt es weitere relevante Partizipationslücken an der HU?

Die zweite für Diversit?t, Rassismuskritik und #BlackLivesMatter relevante Dimension der Beteiligung an der HU, ist die Studierendenschaft. Hier wird die plurale, hyperdiverse demographische Verteilung Berlins durchaus gespiegelt. Auch hier m?chte ich kritisch anmerken, dass für rassistisch marginalisierte Menschen, postmigrantische Menschen, Menschen afrikanischer Herkunft offenbar geringe Barrieren bestehen, zu HU-Studierenden zu werden. Aus meiner Sicht liegt hier die Gefahr einer Klientifizierung nah. Mehrfachmarginalisierte Bürger*innen werden beteiligt, solange sie ?Kundschaft‘ sind und daher nicht den Anspruch erheben, die Normalit?t der Institution nachhaltig mitzupr?gen oder die Institution gar zu repr?sentieren. Auf die Unterrepr?sentanz rassistisch marginalisierter Wissenschaftler*innen, postmigrantischer Wissenschaftler*innen, Wissenschaftler*innen afrikanischer Herkunft, wird schon l?nger vor allem von antidiskriminierungs-engagierten HU-Studierenden hingewiesen. Angesichts der postmigrantischen Pluralit?t Berlins müsste die HU hier schon deutlich woanders sein, als dort wo sie jetzt steht.

Viele Universit?ten erarbeiten Diversit?tsstrategien. Was erwarten Sie davon?

Auch hier habe ich erstmal eine Reihe von Fragen. Wieviel Diversit?t gibt es in den Steuerungsgruppen, die damit beauftragt werden Diversit?t zu institutionalisieren? Wie viele rassistisch marginalisierte Menschen, die in dauerhaften Positionen an der HU besch?ftigt sind, arbeiten in diesen Steuerungsrunden? Mit welchen Handlungsressourcen sind sie ausgestattet um, schrittweise nachhaltige Ver?nderungen implementieren zu k?nnen? Die Institutionalisierung von Diversit?t und damit die Transformation homogener sozialer R?ume ist eine kr?ftezehrende, exponierende, riskante Arbeit, vor allem für mehrfachvulnerable Professionelle. Wenn sie keine dauerhaften Stellen haben, kann es für sie folgenreich und sogar karrieresch?digend wirken. Wie sieht hier das ?Risk-Sharing‘ aus? Sind Konzeptionen für die Umverteilung von Risiken in den Diversit?tsstrategien verankert?

Das klingt nach enormen Bedenken gegenüber solchen institutionellen Strategien.

Ich bin inzwischen etwas verhalten, was Diversit?tsstrategien angeht. Diversifizierungsarbeit ist voraussetzungsvoll! Sie ist keine kosmetische Addition von Pluralit?t. Ich glaube, das wird oftmals untersch?tzt oder sogar trivialisiert. Es gibt keinen ?Quick Fix‘. Es ist eine Arbeit, die auf institutionelle Transformationen abzielt und starke institutionelle Restrukturierungen ausl?st, die gut begleitet werden müssen. Das bedarf einer Gesamtstrategie. Diese muss sowohl eine Anerkennung von Teilhabebarrieren, als auch die Umverteilung von Ressourcen sichern. Mit punktuellen Diversity-Schulungen wird die Tiefenstruktur normalisierter Ausschlussmechanismen und institutionalisierten Ungerechtigkeiten nicht hinreichend in Bewegung gebracht.

Wie k?nnen People of Colour, die an der HU arbeiten, studieren oder sich hier bewerben m?chten, unterstützt werden, damit das Wort "Gleichberechtigung an der HU" gelebte Realit?t ist?

Rassistisch marginalisierte Wissenschaftler*innen sind in den Kernstrukturen der HU entweder vorübergehend anwesend, stark unterrepr?sentiert oder abwesend. Das hat zur Folge, dass ihre Sicht auf die soziale, politische, wissenschaftliche Realit?t und insgesamt ihre Weltauslegungen fehlen. Ihre sichtbare Anwesenheit, die Normalisierung ihrer Einflussnahme auf die Institution, ist bedeutende Voraussetzung, um dauerhaft Diversifizierung zu verankern. Intersektionale F?rderpolitiken führen dazu, dass die Gleichstellung rassistisch marginalisierter Wissenschaftler*innen schrittweise realisiert wird. Die Institutionalisierung von Rassismuskritik ist darüber hinaus notwendig, um den Abbau von Formen der rassistischen Marginalisierung (Anti-Schwarzen Rassismus, Antimuslimischen Rassismus, Anti-Asiatischen Rassismus etc.) und damit den Schutz von mehrfachvulnerablen Professionellen zu sichern.

Welche Studieng?nge bearbeiten die von Ihnen genannten Feldern schwerpunktm??ig?

Es braucht die Institutionalisierung von Wissenschaftsans?tzen wie ?Black Studies“, die Ressourcen für Gleichstellungsforschung bündeln und Antidiskriminierungskonzeptionen fundieren. Es ist wichtig hervorzuhaben, dass Diversit?t und Antidiskriminierungsarbeit an der HU vor allem in und durch die Gender Studies in den letzten drei?ig Jahren ihres Bestehens, kontinuierlich implementiert wurden.

Wie k?nnen wir an der Humboldt-Universit?t Alltagsrassismus entgegenwirken?

Wirksam gegen die Normalisierung von Alltagsrassismus ist die Institutionalisierung einer rassismuskritischen Infrastruktur. Das ist eine komplexe Aufgabe. Die Implementierung von rassismuskritischen Wissenschaftsans?tzen wie ?Black Studies‘ sorgt für den Anschluss an aktuelle Theoriebildungen. Sie generiert Forschungsans?tze zu rassistischer Marginalisierung, zu Strategien der Diversifizierung, der Verteilungsgerechtigkeit und der sozialen, politischen und wissenschaftlichen Inklusion. Sie normalisiert Schwarzes Leben in Institutionen der h?heren Bildung.

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Interview: Laura Benjamin, Hans-Christoph Keller