"Humboldt-Rede zu Europa" von Bundeskanzlerin Angela Merkel
Mittwoch, 27. Mai 2009. Es gilt das gesprochene Wort.
Herr Pr?sident,
Exzellenzen,
lieber Herr Professor Nolte,
liebe Studentinnen und Studenten,
meine Damen und Herren!
Die Reihe der "Humboldt-Reden zu Europa" ist eine Institution. Und so danke ich Ihnen für die Einladung, heute im Rahmen dieser Reihe zu Ihnen zu sprechen.
Wenn ich mich hier im Auditorium Maximum umsehe, das Mobiliar aus den sechziger Jahren sehe, dann erinnere ich mich an meine eigenen Studienjahre zu Zeiten der DDR. Damals endeten unsere Schritte wenige Meter von hier.
Unvorstellbar erschien es uns, frei in den Westen reisen zu k?nnen und die Europ?ische Gemeinschaft von innen kennenzulernen. Und doch feiern wir in diesem Jahr bereits den zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls. Eine ganze Generation ist mittlerweile aufgewachsen, ohne das geteilte Deutschland und das geteilte Europa selbst erlebt zu haben.
In diesem Jahr feiern wir auch 5 Jahre Osterweiterung der Europ?ischen Union. Es ist erst wenige Jahre her, dass die Europ?ische Union 120 Millionen neue Bürgerinnen und Bürger dazugewonnen hat.
Ich habe oft mit meinem Freund Donald Tusk, dem polnischen Ministerpr?sidenten, über diese Ver?nderungen gesprochen: über den Anteil, den die Gründung der freien Gewerkschaft Solidarnosc in Polen für den Weg Ostdeutschlands und ganz Mittel- und Osteuropas in die Freiheit gehabt hat. Mutige Menschen in Polen, in Ungarn, in der Tschechoslowakei und dann in der DDR haben das Tor zur ?berwindung der deutschen Teilung und der Teilung Europas aufgesto?en.
Wenn ich daran denke, was in den letzten Jahren in Europa geschehen ist, dann fühle ich genau das, was wir zum 50. Jahrestag der R?mischen Vertr?ge in der sog. "Berliner Erkl?rung" vom 25. M?rz 2007 erkl?rt haben - ich zitiere: "Wir Bürgerinnen und Bürger der Europ?ischen Union sind zu unserem Glück vereint." - Ende des Zitats.
Ja, wahrlich zu unserem Glück vereint. Auch mein pers?nlicher Lebensweg hat sich durch die ?berwindung der Teilung unseres Kontinents v?llig ver?ndert. Vielleicht w?re ich heute noch Physikerin in Berlin Adlershof, wo heute die naturwissenschaftlichen Fakult?ten der Humboldt-Universit?t angesiedelt sind.
Stattdessen darf ich als Bundeskanzlerin des wiedervereinigten Deutschlands die Europ?ische Union von innen mitgestalten. Welch' eine Ver?nderung!
In diesem besonderen Jubil?umsjahr sehen wir: Wandel, Ver?nderung zum Guten ist m?glich. Er wird von mutigen Menschen gemacht. Und die Kraft der Freiheit ist ihr Antrieb. So war es auch am Beginn der europ?ischen Einigung. Mutige Menschen haben tiefe Gr?ben überwunden und eine friedliche neue Ordnung aufgebaut.
Für mich lag und liegt das Eigentliche der Europ?ischen Union in ihrer Verbindung aus gemeinsamen Grundwerten, einer verl?sslichen Rechtsordnung und Wohlstand für alle.
Europapolitik ist selbstverst?ndlicher Teil unserer Innenpolitik geworden. Für die w?chentlichen Kabinettsitzungen habe ich 2007 zu Beginn unserer EU-Ratspr?sidentschaft eingeführt, dass wir uns in jeder Kabinettsitzung mit aktuellen Fragen der Europapolitik besch?ftigen. Das haben wir auch nach Ende der deutschen EU-Ratspr?sidentschaft beibehalten. Und es zeigt sich: Es gibt jede Woche vieles zu entscheiden, denn die Europ?ische Union wird immer st?rker zur politischen Antwort auf die gro?en Herausforderungen unserer Zeit.
Meine Damen und Herren,
bei meiner politischen Arbeit in der Europ?ischen Union und für die Idee der europ?ischen Einigung leiten mich vier Prinzipien deutscher Europapolitik:
Erstens: Das Eintreten für deutsche Interessen in Europa und der Blick für das Ganze. Das sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille.
Deutschland hat die europ?ische Einigung stets als Teil seiner Staatsr?son begriffen. Das war schon 1949 im Grundgesetz so angelegt. In der Pr?ambel bekennt sich die Bundesrepublik dazu - ich zitiere: "als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen". - Ende des Zitats.
Und in Artikel 24 GG, Abs. 2 hei?t es - ich zitiere: "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschr?nkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den V?lkern der Welt herbeiführen und sichern."- Ende des Zitats.
Deutschland war stets ein starker Anwalt der Erweiterung der Europ?ischen Union um die Staaten Mittel- und Osteuropas, nicht zuletzt auch deshalb, weil Deutschland selbst das Glück der Wiedervereinigung in Freundschaft mit seinen Nachbarn erfahren durfte.
Deutschland ist mit den Erweiterungen von 2004 und 2007 in die Mitte der Europ?ischen Union gerückt: Endlich sind aus den ?stlichen Nachbarn Freunde und Partner geworden.
Wie versteht sich Deutschland nun in der Europ?ischen Union?
Zuerst einmal diese Feststellung: Viele Bilder stimmen nicht. Dazu geh?rt zum Beispiel, Deutschland ausschlie?lich als sog. "Zahlmeister" der Europ?ischen Union zu beschreiben.
Natürlich, es ist richtig: Jede Deutsche und jeden Deutschen kostet die EU-Mitgliedschaft im statistischen Durchschnitt 263 Euro j?hrlich. Zum Vergleich: In den Bundeshaushalt zahlt jeder Deutsche 2678 Euro ein [jeweils brutto, 2007].
Denn Deutschland geh?rt als wirtschaftsst?rkster Mitgliedstaat zu den Nettozahlern der Europ?ischen Union. Aber richtig ist auch: Deutschland profitiert auch überdurchschnittlich vom EU-Binnenmarkt. Und wir bekommen Geld zurück: Die neuen Bundesl?nder zum Beispiel haben in den letzten 6 Jahren allein 29 Mrd. Euro Strukturfondsmittel erhalten. Dies zeigt: Eine Betrachtung der Europ?ischen Union, die allein die Finanzflüsse in den Blick nimmt, wird der Bedeutung der europ?ischen Einigung für unser Land in keiner Weise gerecht.
Und noch etwas wird mit dem Wort vom Zahlmeister verzerrt beschrieben, übrigens auch mit dem an sich gut gemeinten Wort vom Makler: Damit wird suggeriert, dass Deutschland keine oder jedenfalls zu wenig eigene Interessen in Europa vertritt. Ich brauche sicher nicht zu betonen, dass das Gegenteil der Fall ist. Aber wir tun dies nicht mit dem Kopf durch die Wand, sondern immer mit einem Bewusstsein für das Ganze.
Denn schon aus unserer geographischen Mittellage, unserer Wirtschaftskraft und aus unseren geschichtlichen Erfahrungen resultiert eine Rolle in Europa, die viele unterschiedliche Interessen in den Blick nimmt und als deutsche Position bündelt. Die vielf?ltige deutsche Wirtschaftsstruktur - klassische Industrie, Hochtechnologie, aber auch Landwirtschaft - macht uns oft ganz zwangsl?ufig zu einem verst?ndigen Vermittler unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen.
Eine besondere Rolle spielt dabei unser besonderes, enges und freundschaftliches Verh?ltnis zu Frankreich, dessen Bedeutung vor 1989 wie auch nach dem Fall der Mauer zentral für die Arbeit in Europa ist. Ich arbeite gerne und intensiv mit Pr?sident Nicolas Sarkozy zusammen. Noch immer ist eine gemeinsame deutsch-franz?sische Initiative die beste Gew?hr dafür, dass sich Europa auf Fortschritte einigt.
Meine Damen und Herren,
so also verstehe ich deutsche Europapolitik: Wir treten für unsere eigenen Interessen ein, und wir arbeiten zugleich darauf hin, eine L?sung für Europa in Zusammenarbeit mit den sog. gr??eren und kleineren Staaten, also mit allen, zu finden. Wie gesagt: Das sind zwei Seiten einer Medaille.
Solange ich in und für Europa arbeite, werde ich Trennungen und Spaltungen innerhalb der Union entgegenarbeiten. Besonders deutlich wurde dieses Verst?ndnis unserer Europapolitik zuletzt natürlich in den Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon.
Nahtlos führt mich dies zum zweiten Prinzip, das meine Europapolitik leitet: Zur Vertiefung der Europ?ischen Union der 27 Mitgliedstaaten, die Vorrang vor einer schnellen Erweiterung hat.
Profan gesagt: Es geht schlicht und einfach um die Handlungsf?higkeit der Europ?ischen Union. Mit 27 Mitgliedstaaten hat die Europ?ische Union eine stattliche Gr??e erreicht. Das kann niemand bestreiten.
Und bestreiten kann auch niemand, das das ganz praktische Konsequenzen hat. Stellen Sie sich nur einmal vor, wie lange die Sitzung des Europ?ischen Rates dauert, wenn jeder der 27 Staats- und Regierungschefs sich zu jedem Tagesordnungspunkt auch nur einmal zu Wort meldet.
Da ist ein Vorsitz gefragt, der für eine gute Vorbereitung und straffe Sitzungsführung sorgt. Um schon allein das zu schaffen, brauchen wir den Vertrag von Lissabon. Er wird dem Europ?ischen Rat einen Pr?sidenten geben, der für zweieinhalb Jahre die Interessen bündelt und für mehr Kontinuit?t in der Arbeit des Europ?ischen Rates sorgt.
Der Vertrag von Lissabon wird auch das Europ?ische Parlament, das wir am 7. Juni neu w?hlen, als Mitgesetzgeber aufwerten und damit die Demokratie in der Europ?ischen Union st?rken. Er wird auch die Zust?ndigkeiten der EU besser beschreiben und die Rolle der nationalen Parlamente st?rken.
Ich rufe alle politisch Verantwortlichen auf, das Ratifikationsverfahren so rasch wie m?glich abzuschlie?en. Und ich vertraue darauf, dass die Iren sich für Europa entscheiden. Der Vertrag soll, wie die 27 Mitgliedstaaten im Dezember vergangenen Jahres beschlossen haben, noch in diesem Jahr in Kraft treten. Ich setze darauf, dass uns das gelingt. Dann haben wir ein gutes Fundament für eine Europ?ische Union, die ihre Verantwortung in der Welt wahrnehmen kann.
Meine Damen und Herren,
ich sagte es: Spaltungen in Europa sind mit mir nicht zu machen. Das ist im ?brigen auch der Grund, warum ich den oft nicht zu Ende gedachten Forderungen nach verst?rkter Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa entgegentrete, wenn sie auf die Eurogruppe zielen.
Wir sollten nie vergessen: Der einheitliche Binnenmarkt aller Mitgliedstaaten - also von Euro- und Nicht-Euro-Staaten - ist das Fundament unserer Union. Der Rat der 27 Finanzminister muss deshalb die entscheidende Rolle bei der Koordinierung der Wirtschaftspolitik spielen, wie es in den Vertr?gen vereinbart ist.
Wenn ich deutlich mache, dass es keine Trennungen im Innern geben darf, füge ich hinzu: Darauf sollten wir auch in unserem Au?enverh?ltnis achten. Europa darf sich niemals selbst spalten oder spalten lassen. Eine Situation wie im Irakkrieg im Jahre 2003 darf sich nicht wiederholen.
Dass Europa gerade in dieser Frage dazugelernt hat, haben wir im Sommer letzten Jahres gesehen, als die Europ?ische Union unter franz?sischer Ratspr?sidentschaft im Georgienkonflikt mit einer einheitlichen Haltung ma?geblichen Einfluss auf die Einstellung der Kampfhandlungen genommen hat.
Damit kein Missverst?ndnis entsteht: Auch wenn ich die Notwendigkeit betone, dass die Europ?ische Union handlungsf?hig sein muss, schlie?e ich weitere EU-Beitritte selbstverst?ndlich nicht aus. Das kann und will ich auch gar nicht. Aber die Erweiterung wird nicht in dem Tempo geschehen k?nnen, wie sich das manche vorstellen. Damit Europa aber keine abgeschottete Einheit wird, brauchen wir eine intensive Nachbarschaftspolitik. Sie ist zwingend erforderlich, um in Zeiten der Globalisierung unsere Werte von Freiheit, Menschenwürde, Demokratie und sozial verpflichteter Wirtschaft behaupten zu k?nnen.
Mein drittes Prinzip lautet deshalb:
Wir müssen uns das Unvergleichliche der Europ?ischen Union bewusst machen.
Ich wei?, dass bei den "Humboldt-Reden zu Europa" h?ufig über einen sog. "idealen Endzustand" der Europ?ischen Union diskutiert wurde.
Ich sage Ihnen offen: Ich halte wenig von diesen Finalit?tsdebatten. Sie tragen meines Erachtens eher dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger kein echtes Vertrauen in die Europ?ische Union der Gegenwart entwickeln k?nnen.
Statt über Fernziele zu sprechen, sollten wir stattdessen die jeweils politisch notwendigen n?chsten Schritte in den Blick nehmen.
Dazu geh?rt, dass ich mich seit langem für die m?glichst pr?zise Kl?rung der Verfasstheit der Europ?ischen Union einsetze. Der Vertrag von Lissabon ist das Ergebnis dieser Bemühungen.
Die Europ?ische Union hat ein modernes Verst?ndnis ihrer Vertiefung entwickelt. Sie ist kein Staat; sie soll auch keiner werden. Vermeiden wir deshalb soweit wie m?glich Analogiebildungen zum Staatsrecht und begreifen wir die Europ?ische Union als etwas wirklich Anderes, als etwas Unvergleichliches.
Das hei?t konkret: Auf der Basis gemeinsamer Werte entscheiden die Mitgliedstaaten als Herren der Vertr?ge von Fall zu Fall, welche Aufgabe in Europa besser für alle Mitgliedstaaten gel?st werden kann, als wenn wir es nationalstaatlich t?ten, und welche nicht.
Wenn wir so an die Dinge herangehen, dann wird der Blick auf das frei, was wir mit der europ?ischen Einigung heute bereits erreicht haben, und auf das, was als N?chstes zu tun ist. Das erfahren wir gerade in der aktuellen weltweiten Finanzkrise. Unzweifelhaft stellt die Wirtschaftskrise uns alle auf eine harte Probe. Aber wir sehen: Die Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union funktioniert im Grundsatz gut.
Die Zust?ndigkeit für die Haushalts-, die Steuer- und die Sozialpolitik liegt aus guten Gründen bei den Mitgliedstaaten. Ma?nahmen zur Stützung der Konjunktur, auch sog. Bankenrettungspakete, sind nationalstaatliche Aufgaben.
Die Europ?ische Union ist der notwendige Ordnungsrahmen, in dem die Mitgliedstaaten über ihre Handlungsoptionen entscheiden. Gerade der gemeinsame Binnenmarkt und seine Regelungen schützen uns vor Protektionismus zwischen den Mitgliedstaaten. Das ist für Deutschland als Exportnation von zentraler Bedeutung. Es ist nicht auszudenken, wie uns die weltweite Krise ohne Binnenmarkt und Euro getroffen h?tte.
Dabei dürfen die Kriterien für die Mitgliedschaft im Euro-Raum nicht angetastet werden, genauso wenig wie die Unabh?ngigkeit der Europ?ischen Zentralbank.
Meine Damen und Herren,
Vertrauen der Bürger in die Europ?ische Union stellt sich nur dann ein, wenn die Bürgerinnen und Bürger das sichere Gefühl haben, dass die Union der 27 Mitgliedstaaten heute - um es knapp zu sagen - gut funktioniert und wenn sie wissen, dass die Europ?ische Union auf der Basis gemeinsamer Werte arbeitet.
Und damit komme ich zum vierten Prinzip, das mir wichtig ist:
Wir müssen die Grundwerte der Europ?ischen Union als Kompass für neue Herausforderungen nutzen.
Erinnern wir uns: Am Anfang der europ?ischen Einigung standen folgende Richtungsentscheidungen:
-?? ?Institutionelle Bande zwischen ehemaligen Kriegsgegnern so zu schmieden, dass Frieden in Europa dauerhaft herrschen kann;
und
-?? ?Mechanismen der friedlichen Streitbeilegung so zu gestalten, dass vertrauensvolles und solidarisches Handeln dauerhaft m?glich wird.
Und das ist auch heute noch so: Nicht allein der Euro und der Binnenmarkt halten die Europ?ische Union im Innersten zusammen. Es sind die gemeinsamen Werte, die unser solidarisches Handeln erm?glichen und die Ziele unserer gemeinsamen Politik formen.
Deshalb haben wir an einer Grundrechtecharta gearbeitet und unter deutscher Ratspr?sidentschaft unsere gemeinsamen Grundwerte 2007 in der Berliner Erkl?rung gewürdigt. Wir setzen auf die Kraft der Freiheit. Indem wir auf die Kraft der Freiheit setzen, setzen wir auf den Menschen. Er steht im Mittelpunkt. Seine Würde ist unantastbar.
Indem wir auf die Kraft der Freiheit setzen, erhalten wir die Voraussetzung für unsere Vielfalt. Wir haben gelernt, aus der lebendigen Vielfalt der Sprachen, Kulturen und Regionen das Beste für uns alle zu gewinnen und gemeinsam st?rker zu sein als allein, als jeder für sich. Und zwar weil wir uns dabei auf die Eigenschaft besonnen haben, die für mich die Seele Europas ausmacht: die Toleranz.
Nur ein Europa, das diese Seele kennt und sich mit ihr seiner Werte bewusst ist, kann ein starkes Europa sein. Unsere Einigkeit und unser Gemeinschaftsgefühl sind wertegebunden.
Nur ein Europa, das seine Werte auch im Handeln nach au?en selbstbewusst vertritt, kann Respekt von anderen erwarten und glaubhaft eine führende Rolle in der Welt beanspruchen.
Wir sehen: Die Europ?ische Union wird durch das Spannungsverh?ltnis zwischen Einigkeit und Freiheit bestimmt und so erst lebendig.
Beide Elemente - die Einigkeit und die Freiheit - müssen wir zur Geltung und in ein neues Gleichgewicht bringen, damit Europa seine Rolle in der Welt spielen kann.
Welche Rolle soll das sein?
Zum einen den Friedensauftrag der Europ?ischen Union, der zu Beginn nach innen gerichtet war, nun auch nach au?en gerichtet zu verstehen.
Machen wir uns klar: Die Europ?ische Union hat seit 1999 in über 20 zivilen und milit?rischen Missionen ihren Beitrag zu Stabilit?t und Sicherheit in der Welt geleistet. Durch die Gemeinsame Au?en- und Sicherheitspolitik werden wir auch in Zukunft unsere Verantwortung in der Welt übernehmen.
Die Bedeutung gerade dieses Politikbereiches wird steigen. Dabei müssen wir noch hart arbeiten, um auf Basis notwendiger Komplementarit?t zu einer echten Zusammenarbeit zwischen NATO und EU zu finden.
500 Millionen Menschen in Europa k?nnen in einer Welt mit insgesamt 6 Milliarden Menschen manches bewegen. Gemeinsam haben wir die Chance, die Globalisierung unseren Werten entsprechend zu gestalten.
Nehmen wir dazu zum anderen den Klimaschutz: Unter deutscher EU-Ratspr?sidentschaft ist es uns gelungen, bahnbrechende Beschlüsse für den Klimaschutz zu fassen, in der franz?sischen Pr?sidentschaft wurden sie umgesetzt. Die Europ?ische Union ist auf diesem Gebiet weltweit Vorreiter. Wir sind dies aus ?berzeugung und Verantwortung für die Welt und werden bei den Klimaverhandlungen in Kopenhagen im Dezember dieses Jahres diese ?berzeugung einbringen.
Unspektakul?r funktioniert in einem weiteren Feld abgestimmtes EU-Au?enhandeln bereits ganz selbstverst?ndlich: in der Handelspolitik. Der Handelskommissar spricht für die Union der 27. Mir ist wichtig, dass die Europ?ische Union in ihren Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu Drittstaaten und beim Abschluss von Abkommen auch auf der Einhaltung von Menschenrechten besteht. Für mich sind Werte und Wirtschaftsinteressen keine Gegens?tze, sie geh?ren untrennbar zusammen.
Gerade das macht im ?brigen auch die St?rke der Sozialen Marktwirtschaft aus, die im Vertrag von Lissabon als Grundlage der Europ?ischen Union gewürdigt wird - ich zitiere: "Die Union … wirkt auf … eine in hohem Ma?e wettbewerbsf?hige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbesch?ftigung und sozialen Fortschritt abzielt, … hin." (Art. 3, EUV) - Ende des Zitats.
Sie ist mehr als ein Wirtschaftssystem; sie ist eine Ordnung, in der sich Freiheit, Solidarit?t, Wettbewerb und Verantwortung verbinden. Der Staat ist Hüter dieser Ordnung. Gerade weil dies nicht überall durchgesetzt wurde, konnte die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise entstehen.
Deshalb müssen wir die soziale Marktwirtschaft gegenüber anderen Macht- und Wirtschaftszentren der Welt als erfolgreiches Modell herausstellen und für die Umsetzung ihrer Prinzipien eintreten.
Nur vereint kann Europa seine Sozial- und Umweltstandards weltweit durchsetzen und für die Einhaltung der Menschenrechte eintreten.
Für jeden liegt doch klar auf der Hand: Gerade in der globalen Finanzkrise ist die Europ?ische Union der geeignete Rahmen, um unsere gemeinsame Position für die internationalen Verhandlungen festzulegen.
Jetzt werden die neuen globalen Spielregeln festgelegt. Europa muss diese mitbestimmen. Deswegen haben wir die Vorbereitung für den G-20-Gipfel in London am 2. April so organisiert: Die europ?ischen Teilnehmer am G-20-Prozess haben in Berlin am 22. Februar eine gemeinsame Position vorbereitet.
Diese Position haben dann alle 27 Staats- und Regierungschefs im M?rz gemeinsam angenommen. Auf diese Weise haben wir Europ?er beim Londoner Gipfel unsere wesentlichen Interessen durchgesetzt.
Ich setze mich dafür ein, dass wir auch den n?chsten G-20-Gipfel, der im September stattfinden wird, im europ?ischen Rahmen vorbereiten.
In einem Satz: Wenn Europa die richtigen Lehren aus der weltweiten Krise zieht, einig ist und Führung übernimmt, werden wir alle gest?rkt aus der Krise hervorgehen. Es gilt auch hier das Motto der deutschen EU-Ratspr?sidentschaft von 2007: Europa gelingt gemeinsam.
Wir behalten dabei stets unser Ziel im Auge: Wir wollen auf der Grundlage von Wissen und Innovation der wettbewerbsf?higste und dynamischste Wirtschaftsraum der Welt werden. Dieses ambitionierte Ziel ist heute wichtiger denn je.
Diese Beispiele - Sicherheitspolitik, Klimaschutz, Soziale Marktwirtschaft - zeigen auch etwas anderes, das mir sehr wichtig ist, wenn es in Zeiten der Globalisierung um die Zukunft Europas geht: Die Aufgaben der Union wandeln sich. Was vor 50 Jahren eine vordringliche Aufgabe der Gemeinschaft war, muss dies nicht für immer bleiben. Die Union muss sich weiterentwickeln k?nnen.
Heute muss es nicht immer neue Kompetenzübertragungen geben. Wir brauchen auch nicht für jedes Problem neue Gesetzgebung, neue Agenturen oder neue Finanzmittel.
Es geht vor allem um den politischen Willen, einig und abgestimmt zu handeln. Ein starkes Europa ist für mich eine Europ?ische Union, die die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger und die Vielfalt der europ?ischen L?nder und Regionen respektiert. Das hei?t auch, dass sich das Handeln der Organe auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren muss.
Ein starkes Europa ist eine Europ?ische Union, die die Einigkeit der 27 nutzt, um durch gutes Beispiel Führungsst?rke in der Welt zu zeigen, und zwar nicht gegen, sondern zusammen mit unseren Partnern weltweit, vorneweg im ?brigen heute wie zu Beginn in der transatlantischen Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Europa kann in dieser Welt eine Führungsrolle einnehmen - dies wird aber nur geschehen, wenn wir dazu entschlossen sind und mit unseren Partnern weltweit unsere Werte konsequent als Kompass nutzen.
Wir haben uns im Innern geeinigt, den Frieden für unsere Bürgerinnen und Bürger gewonnen und dem ganzen Kontinent die Freiheit erm?glicht.
Jetzt müssen wir die St?rke unserer Einigung nach au?en wenden und dabei die Freiheit im Innern bewahren. Damit wir unseren Beitrag für Frieden und Sicherheit in der Welt leisten k?nnen.
Dieses Europa der Einigkeit und Freiheit ist unser Europa. Es ist für mich ein gro?es Glück, es mitgestalten zu dürfen.
Vielen Dank.