Wissenssch?tze bergen – Sammlungen sichtbar machen

Ein Seminar zu r?mischen Kaiserportr?ts (in der Abguss-Sammlung
Antiker Plastik). Foto: Abguss-Sammlung Antiker Plastik
Manche F?cher k?nnten ohne Sammlungen schwer an der Universit?t gelehrt werden. Die Medizin zum Beispiel, die Pr?parate und Instrumente ben?tigt. Oder die Botanik, deren Gew?chsh?user und Schaug?rten von der ?ffentlichkeit oft gar nicht als Universit?tssammlung wahrgenommen werden. In vielen F?chern waren es Professor:innen, die Sammlungen begründeten: Bei der Forschung stie?en sie auf interessante Stücke und wollten passende Objekte für die Lehre griffbereit haben. Sammlungen werden beispielsweise eingesetzt, um komplexe Sachverhalte zu veranschaulichen, etwa Modelle für Kristallstrukturen oder mathematische Probleme. H?ufig wurden Sammlungen sp?ter zum offiziellen Bestandteil der Institute. Die bewegte Berliner Zeitgeschichte führte aber auch dazu, dass ganze Sammlungen oder Teile davon in anderen Universit?ten und Museen wanderten. Und nicht wenige Sammlungen sind unwiederbringlich zerst?rt oder verschwunden.
Universit?tssammlungen bergen unz?hlige Wissenssch?tze und veranschaulichen wissenschaftliche Arbeits- und Erkenntnisprozesse. Die Berliner Universit?ten wollen sie als Ressourcen für Forschung, Lehre und Gesellschaft ?ffnen. Aber es ist kompliziert, sie in ihrer Gesamtheit zu erschlie?en. ?Im Gegensatz zu Universit?tsbibliotheken und -archiven, die zentral organisiert und teils gesetzlich geregelt sind, bilden Universit?tssammlungen eine sehr heterogene Landschaft mit vielen Biotopen“, sagt Dr. Yong-Mi Rauch, die kommissarische Sammlungsbeauftragte des Pr?sidiums der Humboldt-Universit?t zu Berlin. Seit Oktober 2020 leitet sie das Projekt ?Digitales Netzwerk Universit?tssammlungen“ der Berlin University Alliance und hat deshalb einen sehr guten ?berblick über die Sammlungen der drei Berliner Universit?ten und der Charité.?
Universit?tssammlungen zeigen die Breite des wissenschaftlichen Interesses
Etwa 90 Sammlungen sind bekannt, die Zahl ihrer Objekte kann man derzeit nicht einmal sch?tzen. Thematisch zeigen sie die beeindruckende Spannbreite des wissenschaftlichen Interesses: von der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universit?t Berlin über das Lautarchiv der Humboldt-Universit?t zu Berlin und die Mineralogische Sammlung der Technischen Universit?t bis zur Zahnmedizinhistorischen Sammlung am Medizinhistorischen Museum der Charité. Viele dieser Sammlungen sind die weltweit bedeutendsten ihrer Art mit einzigartigen Objekten. Und doch sind sie oft nur Spezialist:innen bekannt, die mit der Sammlungslandschaft vertraut sind, mit den Sammlungen forschen und gezielt recherchieren.?
Ein zentrales Netzwerk soll den Zugang erleichtern
Das soll sich ?ndern. Bis M?rz 2022 erarbeiten die drei Berliner Universit?ten und die Charité gemeinsam eine Machbarkeitsstudie mit dem Ziel, ihre Sammlungen als Wissensressource besser nutzen zu k?nnen und für die ?ffentlichkeit leichter zug?nglich zu machen. Projektleiterin Yong-Mi Rauch sagt: ?Unser Ziel ist es, technische Methoden und Infrastrukturen zu empfehlen, mit denen sich die Sammlungen bestm?glich erschlie?en und vernetzen lassen. Wir haben auch vor, modulare IT- Prototypen zu entwickeln, welche die Bedürfnisse unterschiedlicher Nutzergruppen erfüllen.“ Im Moment führt das Projektteam deshalb Fallstudien durch: Was braucht eine Sammlung mit technischen Ger?ten? Was sind die ersten Schritte bei Sammlungen, die bis jetzt noch gar nicht elektronisch erfasst sind? Was ist notwendig, damit man die Provenienzgeschichte von Objekten nachvollziehen kann? Welche Software-Anwendungen für die Lehre oder für Ausstellungen k?nnten eingebunden werden?
Eine umfassende Objekt- oder Bestandsdigitalisierung aller Sammlungen ist nicht Ziel des Projekts. Dies w?re zum einen sehr teuer und zum anderen in vielen F?llen auch gar nicht sinnvoll. ?Viele Sammlungen enthalten serielle Objekte. Tausende Fotos von Bodenproben zum Beispiel haben vielleicht nur geringen Mehrwert für die Nutzer“, erl?utert Rauch. ?Deshalb wollen wir im Gespr?ch mit Sammlungsleitungen und in verschiedenen Fallstudien herausfinden, was für Forschung und Lehre, für Ausstellungen und ?ffentlichkeitsarbeit wirklich zielführend ist.“ Die Vielzahl der Nutzergruppen aus den unterschiedlichen Fachrichtungen und aus der ?ffentlichkeit mit ihren jeweils spezifischen Interessen ist ein weiterer Grund, warum das Projekt sehr anspruchsvoll ist. Das Netzwerk nutzt deshalb die Expertise der Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universit?tssammlungen, die seit 2012 Universit?ten in ganz Deutschland bei ?hnlichen Prozessen begleitet und Partnerin des Berliner Projektes ist.?
In virtuellen Depots soll jeder st?bern k?nnen
?Es ist eine gute Idee, die Berliner Universit?tssammlungen direkt zusammenzudenken und eine zentrale Einstiegsseite als gemeinsamen Zugang zu schaffen“, sagt Martin Stricker, der bei der Koordinierungsstelle für Beratung, Entwicklung, Strategie und Vernetzung im Bereich Digitalisierung und Erschlie?ung verantwortlich ist. ?Die Universit?ten stehen historisch in enger Beziehung zueinander und haben immer wieder aus unterschiedlichsten Gründen Objekte oder ganze Sammlungen ausgetauscht.“ Digital k?nnen die Depots jetzt wieder zusammengelegt werden. In Zukunft soll es dann für Interessierte mit und ohne akademischen Hintergrund ganz einfach sein, sich in den Sammlungen umzusehen: ?In virtuellen Depots k?nnen wir Nutzer:innen einfach nach interessanten Objekten st?bern lassen“, sagt Martin Stricker.?
Nachhaltig, interdisziplin?r und intuitiv – die technischen Herausforderungen
Bis dahin ist allerdings noch einiges zu tun. Zwar sind einige Sammlungen schon sehr gut digitalisiert, wie das Botanische Museum der Freien Universit?t oder das Architekturmuseum der Technischen Universit?t. Doch viele Berliner Universit?tssammlungen seien technisch schlecht ausgestattet, sagt Yong-Mi Rauch: ?Oft gibt es keine eigene IT-Kraft und keine eigenen Mittel, um eine Datenbank zu betreiben. Die Mitarbeiter:innen behelfen sich mit Word und Excel.“ Wie man diese Daten effizient so einpflegt, dass sie auch in vielen Jahren noch abrufbar und zitierbar sind, ist eine Frage, die sich die Projektbeteiligten nun stellen. Wie man bereits bestehende fachspezifische Datenbanken so vernetzt, dass auch Forschende anderer Disziplinen finden, was sie suchen, eine andere. Martin Stricker nennt ein Beispiel: ?In der Biodiversit?tsforschung gibt es die ?Global Biodiversity Information Facility‘ mit rund 200 Millionen Eintr?gen zu Objekten aus naturkundlichen Sammlungen der ganzen Welt. ?ber die k?nnen beispielsweise brasilianische Forschende problemlos Pr?parate finden, die Adelbert von Chamisso oder Alexander von Humboldt aus Brasilien nach Berlin gebracht haben.“?
Aktuell interessiere sich die Biodiversit?tsforschung aber zum Beispiel auch für Kunstwerke, auf denen die Vegetation vergangener Epochen dargestellt ist. ?Technisch w?re es in Zukunft m?glich, diese Recherche über das Berliner Netzwerk an den Kunst- oder Münzsammlungen der Universit?ten weiterzuführen.“ Eine Herausforderung bleiben jedoch die verschiedenen Fachsprachen der Wissenschaft: Um eine Abbildung derselben Pflanze zu finden, benutzen Biolog:innen, Kunsthistoriker:innen und Numismatiker:innen sehr unterschiedliche Begrifflichkeiten und Suchstrategien.
Ein Beispiel aus der Praxis: Wie profitiert die Abguss-Sammlung Antiker Plastik?
Interdisziplin?re Anfragen zu den Sammlungsobjekten nehmen stetig zu, das hat auch Prof. Dr. Lorenz Winkler-Hora?ek festgestellt. Der klassische Arch?ologe ist Kustos der Abguss-Sammlung Antiker Plastik der Freien Universit?t Berlin, einer der vier gr??ten Abguss-Sammlungen in Deutschland. ?Unsere Objekte werden h?ufig für Ausstellungen angefragt, für wissenschaftliche ebenso wie für solche, die zum Beispiel die Antike spielerisch mit moderner Kunst konfrontieren oder – wie im Deutschen Hygiene-Museum Dresden – mit kulturhistorischen 金贝棋牌 wie ?Scham‘ in Verbindung bringen.“?
Auch historisch ist die Abguss-Sammlung ein Beispiel dafür, wie sich die Nutzung von Universit?tssammlungen mit ver?nderten Forschungsfragen und Lehrtraditionen wandeln kann. Ursprünglich wurde sie 1696 an der Akademie der Künste gegründet, damit Künstler:innen an Vorbildern der damals idealisierten griechischen und r?mischen Klassik ausgebildet werden konnten. Im 19. Jahrhundert wurden die Gipsabgüsse im Neuen Museum ausgestellt, bevor sie 1919 an das Winckelmann-Institut der Berliner Universit?t Unter den Linden kamen, wo sie – auch hier gro?zügig ?ffentlich zug?nglich – als arch?ologische Hilfsmittel dienten. Nach dem Zweiten Weltkrieg zerst?rt, wurde die Sammlung seit den 1970er Jahren für die Freie Universit?t wiederaufgebaut, und die Objekte konnten zum Teil aus den alten Originalformen neu abgegossen werden. ?Bis heute betreibt man an den Abgüssen wissenschaftliche Skulpturenforschung und vermittelt Kenntnisse, die sonst nur an den Originalen zu lehren sind, zum Beispiel die Datierung von Skulpturen anhand ihrer Gewandfalten“, sagt Lorenz Winkler-Hora?ek. ?Darüber hinaus werden die Abgüsse aber jetzt sehr viel offener für die Wissensvermittlung genutzt als früher.“
Die vielen Funktionen einer Universit?tssammlung
Besucher:innen der langgestreckten Ausstellungsr?ume in der Charlottenburger Schlo?stra?e halten die Abguss-Sammlung oft für ein normales Museum. Ihre eigentliche Aufgabe jedoch erfüllt die Sammlung w?hrend der Schlie?zeiten. Lorenz Winkler-Hora?ek erl?utert, wieso die Sammlung unersetzlich sei bei jedem einzelnen Schritt im Prozess des Erkenntnisgewinns und der Wissensvermittlung: ?Als klassische Arch?olog:innen forschen wir an den Abgüssen. Die Ergebnisse unserer Forschungen bringen wir den Studierenden direkt am Objekt bei – und lehren sie dann, das Gelernte wiederum mit Ausstellungen einem breiten Publikum weiterzuvermitteln.“
Es ist berufsbezogene Praxis, die Studierende hier bekommen: Sie produzieren Ausstellungen, Kataloge – und in der Corona-Pandemie auch immer mehr Inhalte für Social Media und virtuelle Rundg?nge. Bereits jetzt kann sich Lorenz Winkler-Hora?ek auf die Datenbank ?Arachne“ stützen, die vom Deutschen Arch?ologischen Institut und dem Arch?ologischen Institut der Universit?t zu K?ln betrieben wird. Hier sind alle 2.100 Objekte der Berliner Abguss-Sammlung online mit Fotos abrufbar. Darüber hinaus k?nnen manche Stücke über die Homepage sogar in 3D betrachtet werden. In seiner Rolle als Sammlungsleiter und Forscher helfe ihm das enorm, sagt er. Als Dozent, Ausstellungsmacher und ?ffentlichkeitsarbeiter kann er aber die Ressourcen der Daten nicht voll aussch?pfen. ?Wir haben nicht die Kapazit?ten, um umfassend weiterführende Werkzeuge zu entwickeln, zum Beispiel für die Lehre oder für Ausstellungen.“ Solche Tools k?nnten ihm in Zukunft zur Verfügung stehen, wenn das geplante Berliner Sammlungsportal mit ?Arachne“ verbunden wird.
Weltweit einzigartige Sammlungen werden endlich sichtbar
J?hrlich besuchen 6.000 Menschen die Abguss-Sammlung antiker Plastik. Mit einem Tool für digitale Ausstellungen und virtuelle Rundg?nge k?nnte die Sammlung um ein Vielfaches sichtbarer werden, sagt Lorenz Winkler-Hora?ek. Auch eine Verbindung aus digitaler und realer Ausstellung k?nnte er sich vorstellen, zum Beispiel, indem er die Abgüsse mit QR-Codes versieht, über die seine Studierenden und die Besucher:innen zus?tzliche 金贝棋牌 finden k?nnten, individuell gefiltert nach Wissensstand und Thema.?
Solche Anregungen und Wünsche der Sammlungsleiter:innen sammelt das Projekt ?Digitales Netzwerk Sammlungen“ zurzeit. An einigen Orten werden sie bereits Wirklichkeit. Martin Stricker erz?hlt, dass QR-Verbindungen zwischen ausgestellten Objekten und weiteren Digitalisaten aus der zugeh?rigen Sammlung zukünftig im Humboldtforum eingesetzt werden. ?Dadurch k?nnen weltweit einzigartige Wissensressourcen wie die Sudanarch?ologische Sammlung der Humboldt-Universit?t endlich auch für ein breites Publikum so sichtbar werden, wie sie für die Fach?ffentlichkeit seit langem sind.“
Autorin: Stefanie Hardick
Weitere 金贝棋牌
Zur Webseite??Digitales Netzwerk Sammlungen“
Zur Webseite der Berlin University Alliance
金贝棋牌
Dr. Yong-Mi Rauch
Leiterin Abteilung Historische Sammlungen
Sammlungsbeauftragte des Pr?sidiums (komm.)