Ja kann denn Physik sch?n sein?
"Sch?nheit ist in der Physik genauso gewollt wie in der Kunst." Prof. Dr. Olaf L. Müller, Videointerview: Dr. Anne Tilkorn
Die von den Inhalten losgel?ste, unglaubliche Freude über die Sch?nheit ihrer Ergebnisse, die den Wissenschaftstheoretiker Prof. Dr. Olaf Müller und einige seiner Kollegen aus der Physik vor Jahren beim Experimentieren erlebten, war es, die sein Interesse an dem Thema Sch?nheit in den Naturwissenschaften weckte. Was er anfangs für ein Randph?nomen gehalten hatte, entpuppte sich alsbald als ?Haupttriebfeder des physikalischen Forschens“.
Doch was ist überhaupt sch?n und kann man objektiv über Sch?nheit reden? Auch Müller hat keine einfache Formel parat, nach der er Sch?nheit definieren würde. Doch stellt der Philosophieprofessor einige grundlegende Gesichtspunkte heraus, die mit unterschiedlicher Gewichtung zu unserem Sch?nheitserlebnis beitragen.
?berraschung, Symmetrien und die Einheit in der Vielfalt
Da w?re zum einen der ?berraschungseffekt, der auftritt, wenn wir pl?tzlich etwas Unerwartetes sehen, wenn wir staunend ?Wow!“ ausrufen. Dies tun wir beispielsweise, wenn wir, dank der Newtonschen Wei?synthese erkennen, dass sich das wei?e Sonnenlicht in alle Regenbogenfarben aufspalten l?sst. Auch Symmetrien spielen eine gro?e Rolle: Physikerinnen und Physiker fordern regelrecht Symmetrien. Exemplarisch dafür steht das Elektron mit seiner negativen Ladung. Das gesuchte Gegenstück dazu, die Symmetrie, ist das Positron, mit seiner positiven Ladung. In der Vielfalt die Einheit zu sehen, ist ein weiterer Gesichtspunkt. Eine Errungenschaft muss reich im Detail sein, nicht aber in Beliebigkeit zerfallen, sondern von einer Sache, einer Grundidee zusammengehalten werden. In Bezug auf Newtons Theorie bedeutet das, dass das man das wei?e Licht in seine verschieden farbigen Lichtstrahlen aufspalten kann, bündelt man diese wieder, erscheint es abermals wei?. Der Vielfalt wohnt also die Einheit inne.
Auch in Johann S. Bachs unvollendetem Werk ?Die Kunst der Fuge“ findet man dieses Prinzip, beruht doch das ganze komplexe Musikstück von 14 Fugen auf einem einzigen musikalischen Thema, einer Grundmelodie. Das Nonplusultra von Vielfalt in der Einheit w?re demzufolge eine Theorie von Allem, eine Weltformel, die alle physikalischen Ph?nomene in einer Formel komprimieren würde.
Klarheit, Transparenz und ?berschaubarkeit nennt Müller als weitere Gesichtspunkte. Viele Kunstwerke und physikalische Theorien sprechen uns gerade wegen ihrer Klarheit und Transparenz im ?sthetischen Sinn an. Sie machen das Wesentliche auf den ersten Blick erkennbar und sind doch komplex.
Experiment und Kunstschaffen gleichen sich
Diese Gesichtspunkte scheinen als Konstanten durch alle subjektiven Wahrnehmungen von Sch?nheit, durch s?mtliche Wissenschaftsdisziplinen und Kunstepochen, Kulturen und Jahrhunderte hindurch. Frei von Algorithmen, frei von einem ?Kochrezept“, befinden sich diese Aspekte in einem lockeren Zusammenspiel und so schafft es Müller, zwischen verschiedensten Kunstwerken und naturwissenschaftlichen Theorien Berührungspunkte zu finden. ?Ich versuche zu gucken, ob es nicht Verwandtschaften im Sch?nheitserlebnis gibt. Und diese Erinnerungen sprechen dann für eine Art Verwandtschaft der beiden Bereiche.“ Sch?nheit muss also nicht identisch sein, um zu verbinden.
Damit zeigt Müller auch, dass Sch?nheit in der Physik genauso gewollt ist wie in der Kunst. Dem aktiven Schaffensprozess einer Künstlerin oder eines Künstlers stellt er das naturwissenschaftliche Experiment gegenüber. Eine Experimentatorin oder ein Experimentator feilt so lange an einem experimentatorischen Aufbau, bis das Experiment sch?n ist. Gleich dem- oder derjenigen, die eine Skulptur erschafft. Das Experiment wird zum Artefakt. Gleichzeitig aber ist es dadurch charakterisiert, dass es in der Theorie eine bestimmte Beschreibung bekommt: “Ein Experiment wird erst durch die physikalische Theorie, die es beschreibt, zu dem was es ist.“ Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler suchen Sch?nheit also aktiv und es ist mitunter genau diese Suche, die sie erst zu neuen Erkenntnissen bringt. Sch?nheit ist kein Ergebnis der empirischen Forschung, sondern eine Forderung an ebendiese: ?Gerade bei den gro?en Genies ist Sch?nheit eine forschungsleitende Idee. Die würden eben nicht aufh?ren, wenn es noch h?sslich ist“, so Müller.
?berrascht hat Müller, dass es nicht m?glich ist, einfach zu erkl?ren, warum die Physik indem sie die Sch?nheit nutzt weiterkommt. Selbst nach zehn Jahren Arbeit an seinem Buch fand er keine zufriedenstellende Erkl?rung dafür. ?Es scheint ein bisschen ein Wunder zu sein, dass das funktioniert.“ Die Tatsache, dass unser Sch?nheitssinn dazu taugt, die Dinge zu beschreiben, die die Welt im Innersten zusammenhalten, ?[...] ist fast schon ein unerkl?rliches Mysterium.“
Und so wird einem klar, dass Physik nicht nur kühle Abstraktheit ist, sondern eine wesentlich menschlichere Sache als gemeinhin angenommen, eine Sache, deren Erfolg auf zutiefst menschlichen Ressourcen beruht. ?Unser Sch?nheitssinn ist ja eines der Dinge, die das Leben lebenswert machen.“ Die gro?e Rolle, die dies in der Physik spielt, zeigt, dass die Physik ein Projekt von Menschen für Menschen ist und er?ffnet einen humanistischen Blick auf Wissenschaft.
Antworten liefert Müller dabei nicht, aber wer gemeinsam mit ihm über die r?tselhafte Sch?nheit staunen will, ist herzlich eingeladen am 11. Juni 2019 zur Buchpremiere in den Senatssaal zu kommen.
Autorin: Marianne Sievers
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Prof. Dr. Olaf Müller, Institut für Philosophie
Tel.: 030- 2093 2206
muelleol@staff.hu-berlin.de
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