Logisches Denken nicht notwendig
Bei der Wahrnehmung von aufeinanderfolgenden visuellen Ereignissen f?llen wir h?ufig Kausalit?tsurteile, wie etwa ?die Hand hat das Glas umgesto?en¡°. Ein Forscherteam um Martin Rolfs am Bernstein Zentrum der Humboldt-Universit?t Berlin fand nun heraus, dass diese Urteile bereits beim grundlegenden Sehprozess entstehen ¨C ohne Beteiligung von h?heren kognitiven Vorg?ngen. Sie zeigten, dass beim wiederholten Betrachten von kausalen Zusammenh?ngen ein ?hnlicher Gew?hnungseffekt eintritt wie bei der Wahrnehmung der Gr??e, Farbe oder Distanz eines Objektes. Die Ergebnisse beenden eine langj?hrige Debatte ¨¹ber die Verarbeitung von komplexeren Eigenschaften visueller Ereignisse.
Die Hand st??t ans Glas, es f?llt um und die Milch ergie?t sich ¨¹ber den K¨¹chentisch. F¨¹r den Beobachter ist sofort klar: Das ungeschickte Ber¨¹hren des Milchglases mit der Hand hat das kleine Malheur bewirkt. Bislang waren sich Wissenschaftler uneins dar¨¹ber, ob h?here Gehirnprozesse wie logisches Schlussfolgern dieses Kausalit?tsurteil begr¨¹nden ¨C oder ob das Urteil bereits bei der Sinneswahrnehmung entsteht, ?hnlich der Einsch?tzung von Gr??e, Distanz oder Bewegung eines Objektes. Eine internationale Forschergruppe um Martin Rolfs am Bernstein Zentrum Berlin, Michael Dambacher an der Universit?t Konstanz und Professor Patrick Cavanagh an der Universit?t Paris Descartes hat nun die Antwort auf diese Frage gefunden: Schnelle Kausalit?tsurteile werden bereits auf der Stufe der einfachen visuellen Wahrnehmung gef?llt.
F¨¹r die Untersuchung schauten Probanden wiederholt einen Animationsfilm an, in dem sich eine Scheibe auf eine andere zubewegt und letztere sich nach einer Ber¨¹hrung in Bewegung setzt. Anstatt die erste Scheibe anhalten und danach die n?chste Scheibe anrollen zu sehen, werden beide Vorg?nge als eine kontinuierliche Handlung wahrgenommen, bei der die erste Scheibe die zweite ins Rollen bringt ¨C ?hnlich zweier kollidierender Billardkugeln. Rolfs und seine Kollegen zeigten nun, dass beim mehrfachen Beobachten von Scheiben-Kollisions-Szenen eine Gew?hnung eintritt: Die Probanden sch?tzten sp?tere Ber¨¹hrungen der Scheiben weniger h?ufig als Grund f¨¹r die Bewegung der zweiten Scheibe ein. ?hnliche Adaptationsnacheffekte sind bekannt bei andauernder Wahrnehmung einfacher visueller Eigenschaften von Objekten, wie etwa der Farbe: Nach l?ngerem Betrachten eines orangen Lichts erscheint ein hellblauer Punkt, wenn man anschlie?end auf eine wei?e Wand schaut. Diese visuellen Nacheffekte lassen auf eine Erm¨¹dung der Nervenzellgruppen in den Hirnbereichen schlie?en, die die spezifischen Merkmale des Objektes analysieren.
Die Haupterkenntnis der Studie: Die Gew?hnung an Kollisionsereignisse trat nur an den Stellen auf, an denen die Kollisionen betrachtet wurden. Wenn die Augen sich bewegten, bewegten sich die adaptierten Stellen mit, ?hnlich wie ein Farbnachbild sich verschiebt wenn die Augen sich bewegen. Den Wissenschaftlern zufolge zeigen diese Ergebnisse, dass die an der Kausalit?tsbewertung beteiligten neuronalen Strukturen im fr¨¹hen Sehprozess angesiedelt sein m¨¹ssen, da h?here kognitive Prozesse nicht von der Augenposition beeinflusst werden. ?Das Forschungsergebnis verlagert Funktionen die bisher f¨¹r Leistungen kognitiven Denkens gehalten wurden in den Bereich der einfachen Wahrnehmung und hat daher Auswirkungen auf verschiedenste Gebiete wie Philosophie, Psychologie, und Robotertechnik¡°, so Studienleiter Rolfs.
Das Bernstein Zentrum Berlin ist Teil des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. Seit 2004 f?rdert das Bundesministerium f¨¹r Bildung und Forschung (BMBF) mit dieser Initiative die neue Forschungsdisziplin Computational Neuroscience mit ¨¹ber 170 Mio. €. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius Bernstein (1835-1917).
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Originalpublikation:
Rolfs, M., Dambacher, M., Cavanagh, P. (2013): ?Visual adaption of the perception of causality¡°. Current Biology: Jan 10, 2013.
DOI: 10.1016/j.cub.2012.12.017
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Dr. Martin Rolfs
Bernstein Zentrum Berlin und Humboldt-Universit?t zu Berlin
Philippstr. 13, Haus 6
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