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Roggenernte auf dem ehemaligen Todesstreifen

Roggenanbau im Zentrum Berlins auf dem ehemaligen Todesstreifen – am 28. Juli wurde der Roggen, welcher im September 2005 das erste Mal ges?t wurde, zum elften Mal geerntet
Roggenernte auf dem ehemaligen Todesstreifen in Berlin Mitte

Auf dem ehemaligen Todesstreifen wird Roggen
geerntet. Abbildung: Frank Ellmer

Ein Landstreifen, der Jahrzehnte gefürchtet und mehr vom Tod als vom Leben gepr?gt war, wandelte sich im September 2005 zu einem Roggenfeld. Der Diplom-Bildhauer Michael Spengler hatte die Idee zu diesem Kunstprojekt. Seitdem wird auf dem ehemaligen Todesstreifen zwischen dem Friedhof Sophien II und der Bernauer Stra?e rund um die Kapelle der Vers?hnung Getreide angebaut. Gemeinsam mit der Vers?hnungsgemeinde und der damaligen Landwirtschaftlich-G?rtnerischen Fakult?t der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) entstand so eine mittlerweile über zehnj?hrige Tradition. Prof. Dr. Dr. h.c. Frank Ellmer, Leiter des Fachgebietes für Acker- und Pflanzenbau des Albrecht Daniel Thaer-Instituts für Agrar- und Gartenbauwissenschaften an der HU arbeitet seit Juni 2006 an dem Projekt mit. Zusammen mit Studierenden der Lebenswissenschaftlichen Fakult?t koordiniert er Aussaat und Ernte.

Auf dem Grünstreifen im Herzen Berlins wird seitdem auf 2000 m? symbolhaft Roggen angebaut. Die mehr als 200 Kilogramm Kornertrag der diesj?hrigen Ernte werden aufbereitet und der Gemeinde zur Verfügung gestellt. Sie l?sst daraus unter anderem Brote für das Abendmahl backen.

Herr Ellmer, Getreideanbau auf dem ehemaligen Todesstreifen mitten in Berlin - wie kam es zu diesem Projekt?

Frank Ellmer: Anfang Juni 2006 kam ich eher zuf?llig an der Kapelle der Vers?hnung vorbei und wurde neugierig, als ich das Roggenfeld erblickte. Ich erkundigte mich beim Initiator des Projektes, Michael Spengler und fragte, wie es mit dem Roggen hinsichtlich der bevorstehenden Ernte weitergehen soll. Er wusste es nicht genau und war froh, dass ich auf ihn zukam. Also bot ich ihm an, mich um die Ernte und die weitere Bestellung der Fl?che zu kümmern. So entstand die Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universit?t. Mittlerweile sind in das Projekt j?hrlich Studierende sowie internationale Praktikanten eingebunden. Seit 2009 sind mehrere Projektarbeiten daraus entstanden.

Warum wird an diesem Ort ausgerechnet Roggen angebaut - und nicht etwa bunte Blumen oder Zierstr?ucher?

Herr Spengler und die Gemeinde wollten damals der Gedenkst?tte Berliner Mauer - die Kapelle der Vers?hnung wurde im Jahr 2000 fertiggestellt - eine Symboltracht im Sinne des Wachsens, des Werdens und des Vergehens verleihen. Diese Entwicklungsverl?ufe lassen sich mit Getreide gut darstellen.

Seit 2006 betreuen Sie das Projekt und sind au?erdem stellvertretender Vorsitzender des Vereins Friedensbrot e. V. Wie sieht die Schnittstelle der beiden T?tigkeiten aus?

Nachdem das Projekt ab 2009 Im Ergebnis der Zusammenarbeit unserer Studierenden und der Gemeinde immer mehr Aufmerksamkeit erfuhr, kamen 2012 verschiedenste Akteure zusammen, um die Idee zu internationalisieren. Dabei spielte der Kerngedanke, dass Frieden und Landwirtschaft sich gegenseitig bedingen, eine wichtige Rolle. An dem vom Verein Friedensbrot e.V. initiierten Projekt wirken heute zw?lf L?nder mit - von Estland im Norden bis Rum?nien im Süden.

Der Berliner Roggen kommt also ganz sch?n rum…

Ja, der in Berlin geerntete Roggen wurde im Sommer 2013 zur erneuten Aussaat beispielsweise nach Ungarn gesandt, wo er an der Stelle des ehemaligen Grenzzauns zu ?sterreich ges?t wurde. In Rum?nien wurde dieser Roggen dort ausgebracht, wo ehemals Oppositionelle eingesperrt wurden. Im Herbst 2014 fand dann in Brandenburg und Berlin die erste internationale Konferenz von Friedensbrot e. V. zum 25j?hrigen Jubil?um des Falls des Eisernen Vorhangs in Europa statt. Zu diesem Anlass wurden Brote gebacken und verkostet - aus Roggen, der an verschiedenen historischen Brennpunkten in den Partnerl?ndern der Initiative gewachsen war. Die diesj?hrige dritte internationale Konferenz findet im September in Szarvas/Ungarn statt.

Wie wird das ungew?hnliche Projekt von den Menschen in Berlin wahrgenommen?

Rund um die Kapelle der Vers?hnung w?chst Getreide

Rund um die Kapelle der Vers?hnung
w?chst Getreide. Abbildung: Frank Ellmer

Die Gedenkst?tte Berliner Mauer wird j?hrlich von mehr als 200.000 Menschen besucht, die den Roggen insbesondere im Frühjahr und Sommer sehr interessiert wahrnehmen. Bei der Gestaltung der Gedenkst?tte passte Roggen für die Landschaftsarchitekten jedoch nicht unbedingt ins Bild der Stadt. Manfred Fischer, der damalige Pfarrer der Gemeinde, konnte aber durchsetzen, dass das Roggenfeld als fester Bestandteil in das Konzept der Gedenkst?tte aufgenommen wurde – wenn auch auf einer deutlich reduzierten Anbaufl?che. Seit 2010 gibt es einen entsprechenden Vertrag mit der Stiftung Gedenkst?tte Berliner Mauer. Pfarrer Fischer, der leider 2013 pl?tzlich verstarb, ist dies zu verdanken.

Herr Ellmer, Sie gehen in absehbarer Zeit in den Ruhestand. Wie geht es dann mit dem Projekt weiter?

In diesem Jahr wurde der Vertrag zum Roggenanbau an der Gedenkst?tte der Berliner Mauer mit den beteiligten Akteuren erneuert. Damit ist die Verantwortung an die Lehr- und Forschungsstation für Pflanzenbauwissenschaften des Albrecht Daniel Thaer-Institus für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der HU übertragen worden. Deren Leiter Michael Baumecker und sein Team werden sich zukünftig um das Projekt kümmern. In Berlin und Umgebung gibt es keinen Landwirt, der technisch in der Lage w?re, Aussaat und Ernte zu übernehmen. Das ist auch gar nicht einfach, denn es gibt viele Herausforderungen wie die kleinen spitzwinkligen Teilfl?chen, den Stra?enverkehr oder das zahlreiche Publikum an dieser historischen Stelle – da muss man schon aufpassen, dass die Besucher nicht in Konflikt mit dem M?hdrescher geraten. Aber die Studierenden, welche vor Ort die Bodenbearbeitung, die Aussaat und die Ernte unterstützen, leisten hervorragende Arbeit. Das begründet die Hoffnung auf eine erfolgreiche Weiterentwicklung des Projektes.

Das Interview führte Markus Lemke

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