Bis dass der Tod sie scheidet: M?nnerfreundschaften im Wandel
Der Literaturwissenschaftler und Medi?vist Prof. Andreas Kra? hat ein Buch über M?nnerfreundschaften in der Literatur geschrieben. Darin stellt er fest, dass der Ausdruck von Emotionen zwischen M?nnern oft als homoerotisch gedeutet wird. Meist kann nur der Tod eine innige platonische Beziehung zwischen M?nnern legitimieren.
Andreas Kra? forscht und lehrt am Institut für deutsche Literatur der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU). Sein Schwerpunkt ist die deutsche Literatur des Hochmittelalters.
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Wie kamen Sie auf die Idee, sich mit dem Thema ?M?nnerfreundschaften“ zu befassen?
Andreas Kra?: Die Literaturgeschichte hat viele weibliche ?Leichen im Keller“. Inspiriert von Nur über ihre Leiche, einem Buch der Züricher Anglistin Elisabeth Bronfen, wollte ich den komplement?ren m?nnlichen Untersuchungsgegenstand thematisieren. Mir fiel auf, dass sehr viele m?nnliche Freundschaftsgeschichten auf der Pr?misse basieren, dass einer der beiden Freunde stirbt: Der ?berlebende klagt über den Verlust und die tiefe Beziehung in Form einer Totenklage. Freundschaft wird als Passion im doppelten Sinne verstanden: als Leidensgeschichte, aber auch als innige Beziehung. Ursprünglich wollte ich das Buch deshalb Nur über seine Leiche nennen.
Wie hat sich die M?nnerfreundschaft literarisch im Laufe der Zeit gewandelt?
In der Antike ist die M?nnerfreundschaft politisiert. Bei Cicero geht es zum Beispiel um die Beziehungen zwischen Staatsm?nnern im Zeichen der Tugend. Oft verbrüdern sich Freunde als Waffenbrüder im Kampf. Im Mittelalter vollzieht sich dann eine Emotionalisierung.
Das liegt wohl auch daran, dass in dieser Epoche die Religion einen starken Einfluss auf den Freundschaftsdiskurs hatte. Die Rhetorik verdankt sich der Mystik, die auch die Beziehung zwischen Gott und Mensch als Freundschaft versteht. Gott wird als jemand dargestellt, den man pers?nlich lieben kann. Gleichzeitig steigert sich die affektive Qualit?t der mittelalterlichen Erz?hlungen: Liebe wird mit Intimit?t gekoppelt, Freundschaft als eine Art gleichgeschlechtliche Liebe verstanden.

Prof. Andreas Kra?
Foto: Sabine Hauf
Ab welchem Zeitpunkt wird die freundschaftliche Liebe unter den Verdacht der Homosexualit?t gestellt?
Die heutige idealisierte Form von Liebe zwischen Mann und Frau wird seit ca. 1800, also dem Beginn der literarischen Romantik in den Vordergrund gerückt. Der Diskurs der Homosexualit?t entsteht im 19. Jahrhundert mit Theorien wie der Psychoanalyse Sigmund Freuds und der Sexualwissenschaft Magnus Hirschfelds. Diese neuen Diskurse lenken den Blickwinkel der Leserin und des Lesers in eine bestimmte Richtung. Erst mit dem Tod des Protagonisten erh?lt der trauernde Freund eine Lizenz zur emotionalen, affektiven ?u?erung. Intimit?t tarnt sich als Trauer.
Unsere heutige Gesellschaft betrachtet Beziehungsverh?ltnisse zunehmend liberaler und vielschichtiger. Wie nimmt dieser Trend Einfluss auf literarische Texte?
Der letzte Text, den ich in meinem Buch behandle, der Roman Tschick von Wolfgang Herrndorf, bildet meiner Meinung nach den Silberstreif am Horizont. In der Jungenfreundschaft, von der der Roman erz?hlt, stellt sich heraus, dass die Titelfigur Tschick schwul ist. Bei den beiden ist es aber kein Problem, Tschicks Freund Maik wünscht sich sogar schwul zu sein, weil das die Bindung verst?rken würde. In dem Moment, in dem Homosexualit?t kein Problem mehr darstellt und die Differenz von Liebe und Freundschaft keine gro?e Rolle mehr spielt, muss keine Figur mehr sterben.
Wie beurteilen Sie aktuelle, von den Medien portr?tierte, politische Freundschaften? Sind diese als eine Rückbesinnung auf ein politisiertes Freundschaftsmodell der Antike zu deuten?
Es gibt heute wieder die politische Inszenierung der M?nnerfreundschaft, aktuell zum Beispiel zwischen Donald Trump und Vladimir Putin. Sie neigen dazu, ?ffentlich an das alte Pathos der M?nnerfreunde anzuknüpfen, und wie mir scheint, ist das oft ein Erkennungszeichen für autokratische Herrscher. Es gibt natürlich auch politische Freundschaften zwischen m?nnlichen und weiblichen Staatsführern, allerdings fehlt da eben dieses inszenierte m?nnliche Pathos.
Das Gespr?ch führte Hannah Nieswand