?Er hat zwar in Wilmersdorf gewohnt, aber nicht dort gelebt“
Dr. Christine Barwick,
Foto: privat
Für ihre Studie ?Social Mobility and Neighborhood Choice: Turkish-Germans in Berlin” wurde Dr. Christine Barwick am 14. Juli 2017 mit dem Hartmut-H?u?ermann-Preis ?Soziale Stadt“ des Georg-Simmel-Zentrums für Metropolenstiftung ausgezeichnet. Die erstmals verliehene und mit 3.000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt interdisziplin?r herausragende Monografien, die sich einer handlungsorientierten, sozialen Stadtforschung widmen.
In Ihrer Arbeit vergleicht Christine Barwick, die an der HU Sozialwissenschaften studiert hat, hier promoviert wurde und seit 2016 als Postdoc am Centre Marc Bloch wirkt, Türkisch-Deutsche der zweiten Generation in Berlin, die aufgrund sozio?konomischer Benachteiligung das Quartier wechseln, mit denjenigen, die nicht umziehen. Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass Gehen und Bleiben aktive Entscheidungen sind, die jeweils positive und negative Folgen haben, weshalb beide Gruppen Kompensationsmechanismen für ihre jeweilige Situation entwickeln.
Frau Barwick, herzlichen Glückwunsch zum Hartmut-H?u?ermann-Preis! Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Barwick: Zu Beginn meines Studiums habe ich mich mehr für Politikwissenschaften interessiert. Prof. H?u?ermann hat dann in seiner Vorlesung zur Stadtsoziologie mein Interesse an diesem Thema geweckt. Ich habe mehrere seiner Seminare besucht, mit ihm an einem Projekt gearbeitet, ihn immer als sehr unterstützend empfunden. Darum ist es besonders sch?n, diesen nach ihm benannten Preis zu erhalten.
Wie sind Sie auf das Thema Ihrer Studie gekommen?
Für meine Masterarbeit habe ich zur Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt in Berlin geforscht, aus Sicht der Mitarbeiter st?dtischer Wohnungsunternehmen. In meiner Dissertation habe ich gewisserma?en die Perspektive ge?ndert, indem ich mich für die Erfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund interessiert habe. Ein wichtiger Grund war meine Unzufriedenheit mit vielen der vorhandenen Studien zu Migration und Integration in der Stadt, die meist nur die erste Generation von Migranten betrachten und sich dabei oft auf Integrationsdefizite beziehen. Die Heterogenit?t ethnischer Minderheiten und deren positive Beitr?ge für die Stadt werden mir zu wenig beleuchtet. Das wollte ich ?ndern.
Was unterscheidet die zweite Generation von der vorangegangenen?
In meiner Studie definiere ich diese Gruppe als Menschen, die in Deutschland geboren oder als Kinder hierher eingewandert sind und die meiste Zeit ihres Lebens hier verbracht haben. Diese zweite Generation unterscheidet sich von der ersten, also ihren Eltern, da sie in einem bi-nationalen Kontext aufw?chst, also eine Beziehung zu beiden L?ndern entwickelt. In meiner Arbeit haben die meisten Befragten vielfach 金贝棋牌 zu anderen Personen mit türkischem Familienhintergrund, aber durch Schule, Studium und Arbeit auch zu vielen Deutschen. Aufgrund ihrer Ausbildung sind meine Interviewpartner sozial aufgestiegen, w?hrend ihre Eltern meist als ungelernte Arbeiter nach Deutschland kamen.
Sie haben mit mehr als 40 Türkisch-Deutschen qualitative Interviews geführt und deren Netzwerke systematisch analysiert. Ist Ihnen ein besonderes Beispiel für einen ?Geher“ in Erinnerung geblieben: Von wo nach wo ist sie oder er gezogen, aus welchen Gründen, mit welchen Folgen?
Die ?Geher“ waren tats?chlich eine sehr spannende Gruppe, da sich ihre Erfahrungen viel mehr unterscheiden als die der ?Bleiber“. Eine Familie ist von Neuk?lln nach Wilmersdorf gezogen, da die Eltern eine bessere Schule für ihre zwei Kinder gesucht haben. Allerdings waren diese in der Schule die einzigen mit türkischem Hintergrund, sie sind als ?Andere“ aufgefallen. Auch hat der Interviewte den t?glichen 金贝棋牌 mit seinen Nachbarn vermisst. Er hat zwar in Wilmersdorf gewohnt, aber nicht gelebt. Letztlich hat die Familie zum Zeitpunkt des Interviews ihren Umzug zurück nach Neuk?lln geplant. Dies zeigt, dass die Quartierswahl immer ein Prozess ist, ?Bleiber“ k?nnen zu ?Rückkehrern“ werden.
Welchem Forschungsprojekt wollen Sie sich als n?chstes widmen?
Es geht wieder um die Mobilit?t von Migranten der zweiten Generation, allerdings in Europa. Mich interessiert, welche Bezüge beispielsweise Türkisch-Deutsche der zweiten Generation zu anderen europ?ischen L?ndern aufbauen, ob sie diese bereisen, ob sie sich europ?isch fühlen und dementsprechend zu einer Europ?isierung ?von unten“ beitragen. Dabei vergleiche ich Italiener und Türken in Berlin, Paris, Brüssel und Amsterdam. Au?erdem bereite ich mit Kollegen ein Projekt zum Zugang von Migranten zum Wohnungsmarkt vor, was angesichts der hohen Migration Geflüchteter sehr aktuell ist.
Das Interview führte Michael Thiele
?ber Hartmut H?u?ermann
Hartmut H?u?ermann studierte von 1964 bis 1970 an der Freien Universit?t Berlin, 1975 folgte die Promotion. Er arbeitete als Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Soziologie der Freien Universit?t Berlin bevor er 1976 zum Professor für Stadt- und Verwaltungssoziologie an der Universit?t (Gesamthochschule) Kassel berufen wurde. 1978 wechselte er auf den Lehrstuhl für Stadt- und Regionalsoziologie an der Universit?t Bremen, 1993 wurde er an die Humboldt-Universit?t zu Berlin berufen, wo er bis zu seiner Emeritierung 2008 den Lehrstuhl für Stadt- und Regionalsoziologie inne hatte.
Prof. em. Dr. Hartmut H?u?ermann war Mitglied der Deutschen Akademie für St?dtebau und Landesplanung und der Akademie für Raumforschung und Landesplanung. Von 2002 bis 2006 war er Pr?sident des Research Committee on Regional and Urban Development der International Sociological Association (ISA). Er ist Tr?ger des Preises der Schader-Stiftung (2003) und des Fritz-Schumacher-Preises der Toepfer-Stiftung (2004). Am 31. Oktober 2011 verstarb H?u?ermann nach schwerer Krankheit.