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Neues Limit für Neutrinomasse

Neutrinos spielen durch ihre kleine, aber von Null verschiedene Ruhemasse eine Schlüsselrolle in Kosmologie und Teilchenphysik. Der erlaubte Bereich für ihre Masse ist nun durch die ersten Resultate des Karlsruher Tritium Neutrino Experiments KATRIN am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) deutlich eingegrenzt worden. Alejandro Saenz und seine Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universit?t zu Berlin konnten quantenphysikalische Berechnungen beitragen. Schon nach einer ersten mehrw?chigen Neutrino-Messphase vom Frühjahr 2019 kann KATRIN die Masse des Neutrinos auf kleiner als 1 eV begrenzen, was um einen Faktor 2 genauer ist als alle bisher durchgeführten teils mehrj?hrigen Laborexperimente.

Neben den Photonen, den masselosen elementaren Quanten des Lichts, sind Neutrinos die h?ufigsten Teilchen im Universum. Durch den Nachweis des Ph?nomens der Neutrino-Oszillation vor rund 20 Jahren konnte gezeigt werden, dass Neutrinos – entgegen früheren Erwartungen – eine sehr kleine, von Null verschiedene Masse besitzen. Damit spielen die ?Leichtgewichte im Universum“ eine wichtige Schlüsselrolle bei der Bildung von gro?r?umigen Strukturen im Kosmos wie auch in der Welt der Elementarteilchen auf den allerkleinsten Skalen, wo ihre extrem kleine Masse auf neue Physik jenseits bekannter Modelle hindeutet. Die weltweit genaueste Waage, das internationale KATRIN Experiment am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), soll nun in den n?chsten Jahren die Masse der faszinierenden Neutrinos mit bisher unerreichter Genauigkeit bestimmen.

Die KATRIN Kollaboration, an der 20 Institutionen aus 7 L?ndern beteiligt sind, konnte in den letzten Jahren zahlreiche technologische Herausforderungen bei der Inbetriebnahme des 70 Meter langen Experimentaufbaus erfolgreich meistern. Zur Jahresmitte 2018 erreichte KATRIN mit der feierlichen Inbetriebnahme einen wichtigen Meilenstein. Im Frühjahr dieses Jahres war es dann endlich soweit: das 150-k?pfige Team konnte Neutrinos das erste Mal auf die supergenaue Waagschale von KATRIN legen. Dazu wurde über mehrere Wochen hochreines Tritiumgas in der Quelle – dem vordersten Teil der KATRIN-Anlage zirkuliert und die ersten hochgenauen Energiespektren von Elektronen aus dem Tritiumzerfall wurden mit dem zeppelinf?rmigen Spektrometer aufgenommen, welches die Dimensionen eines Einfamilienhauses hat und dessen Bilder von der Anlieferung im Jahr 2006 um die Welt gingen. Das internationale Analyseteam machte sich schlie?lich an die umfangreiche Arbeit, um aus den aufgenommenen Daten das erste Resultat für die Neutrinomasse abzuleiten.

Das aktuelle Ergebnis von KATRIN baut auf jahrelangen Vorarbeiten auf, die einen Rahmen für die Datenverarbeitung geschaffen, wichtige St?rsignale und Unsicherheitsquellen identifiziert und eingeschr?nkt sowie ein umfassendes Modell des Instruments erstellt haben. Durch Simulationen und Testmessungen gewannen die Analysten ein tiefes Verst?ndnis für das Experiment und sein detailliertes Verhalten. Im Frühjahr 2019 waren sowohl Hardware- als auch Analysegruppen für die Neutrino-Massendatenerfassung bereit. Thierry Lasserre (CEA, Frankreich undMPI für Physik, München), Analysekoordinator für diese erste Messkampagne: "Unsere drei internationalen Analyseteams arbeiteten bewusst getrennt voneinander, um wirklich unabh?ngige Ergebnisse zu gew?hrleisten. Dabei wurde besonders darauf geachtet, dass kein Teammitglied vor Abschluss des letzten Analyseschrittes das Neutrino-Massenergebnis vorzeitig ableiten konnte".

Wie in heutigen Pr?zisionsexperimenten üblich, wurden wichtige Zusatzinformationen, die zur Vervollst?ndigung der Analyse erforderlich sind, verschleiert, ein Prozess, der von Fachleuten als "Blinding" bezeichnet wird. Um ihre letzten Schritte abzustimmen, trafen sich die Analysten Mitte Juli zu einem einw?chigen Workshop am KIT. Am sp?ten Abend des 18. Juli waren die letzten Details abgestimmt und die n?tigen Zusatzinformationen konnten freigegeben werden (?Unblinding“). Infolgedessen suchten die drei Analyseprogramme, die gleichzeitig über Nacht durchgeführt wurden, nach der eindeutigen Signatur eines massiven Neutrinos. Am n?chsten Morgen gaben alle drei Gruppen identische Ergebnisse bekannt, die die absolute Massenskala der Neutrinos auf einen Wert von weniger als 1 Elektronenvolt (eV) mit einer Wahrscheinlichkeit von 90 Prozent begrenzen. Damit muss die Masse des Neutrinos mindestens 500 000 mal kleiner sein als die des Elektrons.Die beiden langj?hrigen KATRIN Co-Sprecher, die Professoren Guido Drexlin vom KIT und Christian Weinheimer von der Universit?t Münster, kommentieren dieses erste Ergebnis mit gro?er Freude: ?Dass KATRIN nach einer Messkampagne von nur wenigen Wochen nun bereits die weltbeste Sensitivit?t für die Neutrinomasse besitzt und die mehrj?hrigen Messungen der Vorg?ngerexperimente um einen Faktor 2 verbessert, zeigt das au?erordentlich hohe Potential unseres Projekts.“ Der KIT Vize-Pr?sident für Forschung, Professor Oliver Kraft, beglückwünscht die Kollaboration ?zu dieser fantastischen Leistung, die auf den zahlreichen technologischen Errungenschaften von Weltma?stab der letzten Jahre aufbaut. Diese w?ren ohne die enge Zusammenarbeit aller beteiligten Partner mit ihrer einzigartigen Expertise nicht m?glich gewesen.“

So erfordert die Extraktion der Neutrinomasse aus der gemessenen Energieverteilung der Elektronen die Kenntnis, mit welcher Wahrscheinlichkeit das im Kernzerfall gebildete, aber nicht gemessene Molekülion in einem bestimmten (Rotations-, Schwingungs- und elektronischem) Endzustand gebildet wird. Diese nur aus der Theorie zug?ngliche Information geht direkt in die Datenanalyse von KATRIN ein. Die entsprechenden hochgenauen quantenphysikalischen Berechnungen wurden von Alejandro Saenz und seiner Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universit?t zu Berlin (inklusive Gastwissenschaftler Valérian Sibille vom Massachusetts Institute of Technology) durchgeführt.

Die jetzt auf Fachtagungen in Toyama, Japan und am Karlsruher Institut für Technologie vorgestellten Analysen, die gleichzeitig zur Ver?ffentlichung in einem renommierten Fachjournal eingereicht wurden, nutzen ein seit langem bekanntes Prinzip zur direkten, kinematischen Bestimmung der Neutrinomasse: beim Beta-Zerfall von Tritium teilen sich das dabei entstehende Elektron und sein neutraler, hier nicht nachgewiesener Partner, das (Elektron-) Neutrino, die freiwerdende Energie von rund 18600 eV. In sehr seltenen Zerf?llen erh?lt das Elektron praktisch die gesamte Energie, w?hrend für das Neutrino nur ein winziger Bruchteil davon übrig bleibt, mindestens aber – gem?? Einstein – der Betrag E = mc? seiner Ruhemasse. Dies führt zu einer sehr kleinen Modifikation des Elektronenspektrums durch die Neutrinomasse, nach der das KATRIN-Team nun in dem nur wenige Dutzend Elektronenvolt schmalen Energieintervall am Endpunkt des Spektrums gesucht hat. Insgesamt wurden in diesem Intervall in der mehrw?chigen Messphase rund 2 Millionen Elektronen nachgewiesen.

Dies ist nur ein winziger Bruchteil der insgesamt erzeugten Rate an Elektronen aus Tritiumzerf?llen von ca. 25 Milliarden pro Sekunde. Um diese hohe Rate aufrecht zu erhalten, muss die gasf?rmige Tritiumquelle von KATRIN Teil eines geschlossenen Tritiumkreislaufs sein, für dessen 金贝棋牌 die gesamte Infrastruktur des Tritiumlabors Karlsruhe erforderlich ist. Das sich an die Quelle anschlie?ende riesige elektrostatische Spektrometer mit seiner L?nge von 24 Metern und seinem Durchmesser von 10 Metern agiert dabei als Pr?zisionsfilter, welches nur die h?chstenergetischen Elektronen bei 18600 eV durchl?sst. Durch Variation der ultra-genauen (im Millionstel-Bereich) Retardierungs-Spannung, die den Sensor genau definiert vor zu langsamen Elektronen abschirmt, über einen Bereich von wenigen Dutzend Volt l?sst sich so eine bisher unerreichte Pr?zision in der Spektroskopie im Tritiumzerfall erreichen.

Mit der weltbesten Obergrenze für die Masse des Neutrinos hat KATRIN den ersten Schritt bei der Erforschung der Eigenschaften von Neutrinos hinter sich gebracht, viele weitere werden in den kommenden Jahren folgen. Die Co-Sprecher des Experiments freuen sich auf eine weitere deutliche Verbesserung der Sensitivit?t bei der Messung der Neutrinomasse und bei der Suche nach neuen physikalischen Ph?nomenen jenseits bisheriger Modelle. Im Namen der Kollaboration danken sie den nationalen und internationalen Zuwendungsgebern für ihre langj?hrige Unterstützung bei der Realisierung und dem 金贝棋牌 des Experiments: ?KATRIN ist nicht nur ein weithin sichtbarer Leuchtturm für die Grundlagenforschung und einzigartiges High-Tech Instrument, sondern auch ein ausgezeichnetes Beispiel für internationale Kooperation und erstklassige Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses.“

Die KATRIN Kollaboration, an der 20 Institutionen aus 7 L?ndern beteiligt sind, hat folgende deutsche Mitglieds-Institutionen:

  • Humboldt-Universit?t zu Berlin
  • Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universit?t Bonn
  • 金贝棋牌 Fulda
  • Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
  • Karlsruher Institut für Technologie
  • Johannes Gutenberg-Universit?t Mainz
  • Max-Planck-Institut für Physik, München.
  • Technische Universit?t München
  • Westf?lische Wilhelms-Universit?t Münster
  • Bergische Universit?t Wuppertal