Vom Havelzander bis zum Streetfishing – Fischereiprofessor über Fischfang in Berlin
Robert Arlinghaus hat schon als Kind geangelt, jetzt ist
er Professor für Fischereimanagement an der HU und
dem?IGB.?Foto: IGB/D. Ausserhofer
Berlin ist reich an Gew?ssern und hat eine lange Fischereitradition. Doch begradigte Ufer, Wanderhindernisse, Verschmutzung und zunehmend auch der Klimawandel machen es den Fischen nicht leicht in der Stadt zu leben. Im Interview erkl?rt Fischereiprofessor Robert Arlinghaus, welche Fische sich dennoch in Spree und Havel wohl fühlen, warum auch in der Stadt gefischt und geangelt wird und wie die Berliner Gew?sser nachhaltig verbessert werden k?nnen –?für Fische und für Angler:innen.
Prof. Dr.?Robert Arlinghaus ist Professor für Integratives Fischereimanagement an der Humboldt-Universit?t zu Berlin und Leiter der Forschungsgruppe ?Integratives Angelfischereimanagement“ am Leibniz-Institut für Gew?sser?kologie und Binnenfischerei (IGB). Wie nachhaltige Fischerei und das Stadtleben ganz allgemein miteinander zusammenh?ngen, erl?utert Robert Arlinghaus bei der?KOSMOS-Lesung am 10.?August 2021 auf dem Platz vor dem Roten Haus.
Herr Prof. Arlinghaus, wie steht es aktuell um die Fischbest?nde in Berlins Gew?ssern??
Arlinghaus:?Ursprünglich waren in Berliner Gew?ssern 36 Fischarten heimisch, 29 dieser Arten leben auch heute noch in Berlin, beispielsweise Aal, Zander, Barsch, Blei und Hecht. Hinzu kommen elf Fischarten, die neu eingewandert sind, zum Beispiel die Schwarzmundgrundel aus dem ponto-kaspischen Raum. Fischarten wie der Europ?ische St?r, die Barbe oder der Atlantische Lachs sind inzwischen in Berlin ausgestorben. Denn die Lebensbedingungen für Fische sind in Stadtgew?ssern durchaus schwierig. In Berlin sind die pr?genden Gew?sser Spree und Havel stark vom Menschen ver?ndert worden. Insbesondere die Stadtspree hat über den Aufstau und die Befestigung des Flussbetts den Charakter eines typischen Flusses verloren. Die meisten Flussfischarten ben?tigen für ihren Lebenszyklus und um Laichen zu k?nnen natürliche Ufer, ?berflutungsfl?chen, Auen und die M?glichkeit, Flüsse ohne Hindernisse zu durchwandern. Dies ist in Berlin seit langer Zeit nicht mehr gegeben. Hinzu kommen eine hohe N?hrstoffbelastung, Verschmutzung durch Menschen und Schiffe sowie neue Bedrohungen wie der Klimawandel und Lichtverschmutzung.?
Wie kann das Zusammenleben von Fischen und Menschen in der Stadt verbessert werden?
Arlinghaus:?Es w?re wünschenswert, wenn die Belastung mit N?hrstoffen, wie Stickstoff oder Phosphor, weiter reduziert und die L?ngsdurchg?ngigkeit aller Berliner Flie?gew?sser erm?glicht würden. Auch die Befestigung der Uferbereiche ist für Fische ein gro?es Problem. Ein Biodiversit?ts-Hotspot für Fische würde Berlin durch diese Ma?nahmen trotzdem wohl nicht werden, aber fischarm sind die Berliner Gew?sser nicht. Beispielsweise gibt es gro?e Best?nde an Fischarten, die gut mit den erschwerten Bedingungen in den Stadtgew?ssern auskommen, wie zum Beispiel Barsch, Blei, Pl?tze und teilweise auch der Zander – überregional bekannt aus der Havel. Und sogar europaweit bedrohte Raubfischarten wie der Rapfen leben in Berlin. Die Fischgemeinschaft in der Stadt ist selbstverst?ndlich nicht natürlich und unbeeinflusst, bestimmte Einflüsse der Metropole sind schlicht unver?nderlich. Wenn man aber die durch die Stadt vorgegebenen Ver?nderungen akzeptiert und sich weiter für eine fischfreundliche Verbesserung der Gew?sser einsetzt, kann durchaus ein Zustand erreicht werden, der sowohl den Fischen wie auch den fischenden Menschen zugute kommt.
Dabei ist es besonders in der Stadt aus sozialer Sicht wichtig, dass der Zugang zum Wasser bei planerischen Aktivit?ten immer mitbedacht wird. Es ist wünschenswert, wenn m?glichst viele Menschen einfach und ungehindert an die Berliner Gew?sser gelangen k?nnten – sei es zur Erholung oder zum Angeln.
Welche Rolle spielen denn Hobbyangeln und Fischerei heute in Berlin?
Arlinghaus:?Berlin war schon immer ein Fischereigebiet, doch die ehemals pr?gende Berufsfischerei ist seit Jahren rückl?ufig. Anders als in dem meisten anderen Metropolen, in denen Fischerei überhaupt keine Rolle mehr spielt, gibt es aktuell immerhin noch 23 Fischereibetriebe in Berlin, die es vor allem auf Aal, Barsch und Zander abgesehen haben. Davon betreiben 14 金贝棋牌e die Fischerei im Haupterwerb. Zum Vergleich: Um 1900 waren noch rund 100 Berufsfischereibetriebe auf Berliner Gew?ssern aktiv. Au?erdem gibt es aktuell etwa 23.000 Berliner:innen, die einen Fischereischein besitzen, die tats?chliche Anglerzahl dürfte aber deutlich gr??er sein, da viele Berliner:innen im Umland oder Ausland zum Angeln gehen. Der Fischereiertrag aus Berlin umfasst aktuell insgesamt etwa 260 Tonnen Fisch pro Jahr, 90 Tonnen davon landeten die Berufsfischer an. Allerdings sind die Zahlen zu den Entnahmen der Angler:innen nur grobe Sch?tzungen, da es kein fl?chendeckendes Monitoring gibt. W?hrend das Angelinteresse seit Mitte der 2000er Jahre in Berlin abnimmt, steigen aktuell durch die Corona-Pandemie wieder die Zahlen. Trotzdem kann eine ?berfischung als Bedrohung der Berliner Gew?sser weitgehend ausgeschlossen werden. Denn das Angelinteresse ist in der Stadt deutlich geringer als auf dem Land. Au?erdem sichern Fangbestimmungen wie Mindestma?e, dass die Fische vor dem Fang mindestens einmal ablaichen k?nnen. So wird die ?berfischung wirksam vermieden.
Haben Fischerei und des Angelns in Berlin eine Zukunft?
Arlinghaus:?Ich denke, dass Berlin als Fischerei- und insbesondere als Angelgebiet auf geringem Niveau erhalten bleiben wird. Dabei konkurriert die Stadt natürlich mit dem fisch- und gew?sserreichen Brandenburger oder Mecklenburg-Vorpommer Umland. Aber für viele Menschen ist das Angeln in Berlin durchaus attraktiv, man denke an die Szene der Streetfischer und die vielen Angelvereine, die sich an der Spree und an der Havel angesiedelt haben. Im Bereich der Berufsfischerei ist der Havelzander überregional bekannt, so dass ich davon ausgehe, dass einige wenige Fischer auch in Berlin überleben werden. Denn es gibt kaum einen nachhaltigeren Fisch als den, den man direkt vor der Haustür f?ngt, zum Beispiel im Müggelsee.
Wie h?ngen Stadtplanung, Umweltschutz und Fischerei zusammen?
Wichtig w?re eine st?rker auf die Bedürfnisse von Fischerei und Angler:innen ausgerichtete Gew?sserbewirtschaftung, die auch den Zugang zum Wasser mitdenkt. Au?erdem müsste die Fischereipolitik st?rker in umwelt- und stadtplanerische Aktivit?ten in Berlin integriert werden. Wichtig ist auch, dass Naturschutz und Fischerei ihre traditionellen Konflikte abbauen und das Angeln als sinnvolles Hobby und die Fischerei als nachhaltige Erzeugung von Nahrungsmitteln in der Umweltschutzpolitik angemessen Berücksichtigung findet. Aktuell ist zum Beispiel eine Novelle der Berliner Fischereiordnung in der Bearbeitung, die aus meiner Sicht angel- und fischereifeindliche Züge aufweist. Auch viele naturschutzbedingte Einschr?nkungen, wie Uferbetretungs- oder Befahrensverbote, behindern selektiv für Angler:innen den Zugang zu Gew?ssern in der Stadt. Dabei st?ren sie nach unseren aktuellen Studien die Gew?sser nicht mehr als andere Erholungssuchende. Ungest?rte Natur wird eine Stadt wie Berlin kaum bieten, so dass bestimmte Einschr?nkungen aus meiner Sicht geringe oder keine Effekte auf die Natur und die Artenvielfalt haben, wohl aber die Naherholung empfindlich treffen.?
Die gr??te Bedrohung für die Fischfauna liegt nicht in der Fischerei oder in der Angelei, sondern in dem Gew?sserverbau und in der allgemeinen Nutzungsdichte in einer dichtbesiedelten Stadt. Sowohl in der Innenstadt als auch am Stadtrand kann Angeln daher eine sinnvolle, nachhaltige und naturnahe Freizeitbesch?ftigung sein. Und aus Sicht der Nachhaltigkeit ist der lokal gefangene?und angebotene Zander oder Aal aus Müggelsee, Spree oder Havel sicherlich dem importierten Meeresfisch vorzuziehen.
Die Fragen stellte Artur Krutsch