Wie soll Lehre an der Humboldt-Universit?t zu Berlin zukünftig aussehen und was macht sie besonders?
In der Heilig-Geist-Kapelle der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakult?t an der Spandauer Stra?e herrscht an diesem Nachmittag eine konzentrierte Arbeitsstimmung. Ein Grüppchen von sechs Personen sitzt hier im Halbkreis vor einer Stellwand. ?Welche Werte bilden unser Selbstverst?ndnis und k?nnen uns an der HU für die Lehre inspirieren?“ Diese Frage steht ganz oben auf dem gro?en Papierbogen. Die sechs Personen diskutieren miteinander, tauschen sich aus, schreiben Vorschl?ge auf gro?e Klebezettel. Nach und nach füllt sich die Stellwand mit ihren Ideen: ?Offenheit und Neugier“, ?Diversit?t“, ?Vertrauen“ und ?Internationalit?t und Mehrsprachigkeit ernst nehmen“ werden angepinnt. Nach 45 Minuten ist die Diskussionsrunde vorbei, auf der wei?en Wand ist kaum noch Platz.
Zeitgleich diskutieren sieben weitere Gruppen in anderen R?umen miteinander, um gemeinsam ein Leitbild Lehre zu entwickeln und füllen ihre Stellw?nde mit Klebezetteln. Auch per Videokonferenz beteiligen sich Universit?tsangeh?rige, um ihre Gedanken und Vorstellungen einzubringen. Ein Leitbild für Lehre und Studium – dieses Anliegen st??t auf gro?e Resonanz. Was macht gute Lehre aus? Was erwartet die Gesellschaft von guter Lehre? Wie müssen Lehre und Studium gestaltet sein, um zukunftsf?hig zu sein? Diese und weitere Fragen stehen auf der Agenda.
Warum braucht die Universit?t ein Leitbild?
?Warum sind wir heute hier?“, fragte Prof. Niels Pinkwart, Vizepr?sident für Lehre und Studium und Initiator der Entwicklung eines Leitbilds Lehre für die HU, zum Auftakt der Veranstaltung. Ein Leitbild Lehre zu entwickeln – das sei nicht nur für das Selbstverst?ndnis der Universit?t wichtig, sondern auch zum Beispiel notwendig für andere Akkreditierungswege als der Programmakkreditierung und damit für die Qualit?tssicherung von 金贝棋牌. Querschnittsthemen wie Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Internationalisierung oder Diversit?t pr?gen zunehmend auch die Lehre und müssten Eingang in ein neues Leitbild finden. Dass Universit?tsleitung, Studierende, Wissenschaftler:innen Besch?ftigte aus s?mtlichen Universit?tsbereichen sich zusammensetzen und diesen Prozess gemeinsam gestalten, sei bereits ein Erfolg an sich. ?Der Weg ist auch ein wenig das Ziel“, so Pinkwart, der auf einen lebendigen Austausch hofft.
Bürokratie mit Augenma?
Den wünschen sich auch andere, wie etwa Denisa Lenertová aus dem Institut für Slawistik und Hungarologie, die mit 16 Stunden in der Woche sehr intensiv unterrichtet. Nun nutzt sie die Gelegenheit, das, was ihr wichtig ist, anzusprechen und in das zukünftige Leitbild einflie?en zu lassen. ?Wie kann man die Forschung besser in die Lehre einbringen? Und die Gesellschaft muss ebenso verstehen k?nnen, was wir hier machen. Wie schafft man das?“, fragt sie. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin bedauert, dass Verbesserungsvorschl?ge h?ufig an der Bürokratie und an den Studienordnungen scheitern und wünscht sich, dass strukturelle Probleme behoben werden.
Offenheit für alterative Lehr- und Lernformate
Vero Pinzger und Pascal Kraft sind Studierende und lassen auch ihre Perspektive einflie?en. ?Manchmal ist die Lehre doch sehr verstaubt“, sagt Pascal Kraft. Ihm ist es wichtig, dass über alternative Prüfungsformate gesprochen wird. ?Unsere Arbeiten landen meistens in irgendwelchen Schr?nken und werden nie wieder gelesen. Das ist schon demotivierend.“ Die Zeit und Kraft k?nnte man sinnvoller investieren und etwas schaffen, dass einen Nutzen für die Allgemeinheit hat, schl?gt er vor. Vero Pinzger wünscht sich weniger Leistungs- und Bildungsdruck und ebenfalls mehr Offenheit für alternative Lehr- und Lernangebote.
Lehre ist auch in der Bibliothek ein Thema
Die Bibliothekarin Frauke Engels leitet die Abteilung Benutzung der Universit?tsbibliothek – und auch hier ist das Leitbild Lehre ein wichtiges Thema. ?Wir wollen Lehrende und Studierende mit unserem Angebot besser unterstützen und haben auf der anderen Seite selbst ein gro?es Lehr- und Beratungsangebot, das wir natürlich auch zukunftsf?hig machen wollen. Damit stehen wir vor genau den gleichen Fragen wie die Hochschullehrenden“, erz?hlt sie. Gerade kommt sie aus einer Diskussion, die sich sehr kontrovers um die Begriffe Forschung, Wissenschaft und Kompetenz gedreht hat und nimmt daraus Denkanst??e für ihre eigene Arbeit mit.
Alle Statusgruppen an einem Tisch
Ein gleichberechtigter Austausch zwischen allen Statusgruppen – dieses Ziel ist an diesem Nachmittag geglückt: Universit?tspr?sidentin Prof. Julia von Blumenthal sitzt neben Studierenden und Mitarbeitenden, h?rt sich ihre Punkte an und schreibt diese und ihre eigenen auf die Klebezettel. Die zahlreichen gefüllten Stellw?nde zeigen am Ende, wie vielf?ltig die Vorstellungen und Ideen sind, die Impulse für das künftige Leitbild liefern sollen. Für zahlreiche Ehrenamtliche beginnt nun erst die eigentliche Arbeit: ?Unser Editorial-Board, das sich ebenfalls aus vielen F?cher- und Statusgruppen der Uni zusammensetzt, wird sich nun konstituieren und den gesamten Prozess als Redaktionsteam begleiten“, erkl?rt Projektleiterin Kathrin Friederici vom Lehr- und Lernlabor bologna.lab, das alle Aktivit?ten rund um das Leitbild Lehre koordiniert.
Em Ende des Prozesses: Ein Kompass für Lehrende und Lernende
Die Ideen werden jetzt gesichtet, aufgeschrieben und geordnet. Zum Tag der Lehre am 26. April wird erneut dezentral an den einzelnen Fakult?ten, Instituten oder Bereichen über das künftige Leitbild Lehre diskutiert. Darüber hinaus werden die Teilnehmenden Arbeitsgruppen bilden, die gezielt wichtige 金贝棋牌 vertiefen und ausarbeiten. Im Herbst soll ein erster Entwurf des Leitbilds fertig sein und auf den Weg in die Gremien gehen. ?Aber damit sind wir noch nicht fertig“, betont Friederici. ?Danach müssen wir schauen, wie wir das Leitbild mit Leben füllen, welche Ma?nahmen und Projekte wir daraus ableiten.“ Für den gesamten Prozess veranschlagt die Projektleiterin etwa ein Jahr. Ein Leitbild Lehre, das allen Lehrenden und Lernenden als Kompass dient, soll am Ende dieses Weges stehen.
Nach der Arbeit ist vor der Arbeit
Nach vier Stunden leeren sich die Veranstaltungsr?ume und Kathrin Friederici ist zufrieden mit dem Ergebnis. ?Es gibt einen gro?en Bedarf, sich über alle Ebenen hinweg auszutauschen, andere Perspektiven zu h?ren und die eigene ?u?ern zu k?nnen“, sagt sie. Diese Vielfalt sichtbar zu machen, sei mit dem Format gelungen. Dennoch müsse noch weiter daran gearbeitet werden, die noch nicht ausreichend vertretenen Gruppen zu erreichen. Bevor das Leitbild Lehre in etwa einem Jahr auf zwei bis drei Seiten und mit erg?nzendem Zusatzmaterial Schwarz auf Wei? die Grunds?tze des Studiums, die Anforderungen an Studierende, Lehrende und unterstützende Strukturen artikuliert, wartet noch viel Arbeit auf alle beteiligten Humboldtianer:innen. ?Aber heute haben wir damit angefangen", freut sich Niels Pinkwart über die aktive Teilnahme der Humboldtianer:innen.
Autorin: Heike Kampe