?Argumentieren statt blo?e Meinungen zum Besten geben“
Dr. Romy Jaster ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Theoretischen Philosophie. Mit David Lanius betreibt sie das Forum für Streitkultur, wo die Beiden sich mit M?glichkeiten zur Verbesserung des politischen und ?ffentlichen Diskurses besch?ftigen.
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Frau Jaster, warum betreiben Sie das Forum Streitkultur?
Dr. Romy Jaster
Foto: Matthias Heyde
Eine g?ngige Diagnose besagt ja, wir h?tten verlernt zu streiten. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob wir als Gesellschaft irgendwann mal besser darin waren. Vielmehr stehen wir gegenw?rtig vor besonderen Herausforderungen, und die verlangen nach einer besonders guten Streitkultur. Im Internet und besonders in den sozialen Medien werden permanent starke Meinungen ge?u?ert. Die Gesellschaft polarisiert sich. Die gesellschaftlichen Herausforderungen werden immer komplexer. Der Rechtspopulismus ist auf dem Vormarsch. In solchen Zeiten sind wir in besonderem Ma?e darauf angewiesen, Wege zur ?berwindung gesellschaftlicher Gr?ben zu finden. Dafür ist eine Streitkultur unerl?sslich, die eine konstruktive Auseinandersetzung auch dann erlaubt, wenn Menschen vollkommen unterschiedliche Standpunkte zu einer Sache oder sogar v?llig unterschiedliche Weltbilder haben. Im Forum für Streitkultur versuchen wir einen Beitrag zu der Frage zu entwickeln, wie eine solche Auseinandersetzung gelingen kann.
Was kann man von Philosophinnen und Philosophen für den Streit im Alltag lernen?
Vor allen Dingen kann man lernen, das Gegenüber nicht als Gegnerin oder Gegner, sondern als Partnerin oder Partner bei der gemeinsamen Suche nach einem haltbaren Standpunkt zu betrachten. Das Gegenüber kann einem helfen, zu erkennen, wo die eigenen Argumente Schw?chen haben, wo sich vielleicht eine fragwürdige Annahme eingeschlichen hat, wo etwas nicht zusammenpasst. ?berhaupt kann man von Philosophinnen und Philosophen den Umgang mit Argumenten lernen. Philosophinnen und Philosophen bearbeiten ja hauptberuflich Fragen, die sich empirisch nicht beantworten lassen. Sie k?nnen ihre Thesen daher nur im argumentativen Diskurs mit ihren Fachkolleginnen und Fachkollegen auf den Prüfstand stellen. Dafür braucht man Handwerkszeug im Argumentieren und einige ?bung. Und man braucht eine hohe Bereitschaft, sich auf die Gedanken und die Argumente des Gegenübers einzulassen. Diese Bereitschaft ist die wichtigste Voraussetzung für einen guten, konstruktiven Streit. Sogar wenn das Ziel ist, die andere Person zu überzeugen, denn um jemanden zu überzeugen, muss man zun?chst einmal verstehen, von welchen Annahmen er ausgeht.
Wie sollen wir richtig streiten, wenn Fake News eine immer gr??ere Rolle in den gesellschaftlichen Debatten bekommen?
Gesellschaftliche Deliberationsprozesse k?nnen nur gelingen, wenn die Normen des Erkenntnisgewinns breite Anwendung finden: das Streben nach Wahrheit, die Orientierung an Tatsachen, die Suche nach Gründen. Diese Normen stehen im Augenblick unter Beschuss, auch durch die Verbreitung von Fake News. Richtig streiten hei?t in dieser Situation also unter anderem: im Streit die Normen des Erkenntnisgewinns hochhalten; argumentieren statt blo?e Meinungen zum Besten geben; Gegengründe nicht nur gegen die Position des Gegenübers, sondern auch gegen die eigene Position aktiv suchen; die Verl?sslichkeit von Quellen auf den Prüfstand stellen und die Verl?sslichkeit guter Quellen verteidigen; das Gegenüber in die Pflicht nehmen, seine Standpunkte zu begründen. Solche Diskussionstugenden sollten im Zeitalter von Fake News und Wahrheitsskepsis einen besonders hohen Stellenwert haben.?
Die Fragen stellte Hans-Christoph Keller, HU-Pressesprecher.