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Wissenschaft plant Kriegsverbrechen

Humboldt-Universit?t legt Publikation zu ihrem Umgang mit dem nationalsozialistischen ?Generalplan Ost“ vor

Die Geschichte der Friedrich-Wilhelms-Universit?t und sp?teren? Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) ist eng verwoben mit Zeiten des Aufbruchs, der Freiheit, der Innovation. Aber auch H?rigkeit gegenüber staatlicher Macht und Verstrickung in Unrecht, Rassismus, Antisemitismus und Kriegsverbrechen pr?gen die Geschichte der Humboldt-Universit?t.

Dazu geh?rt auch die wissenschaftliche Begründung und Herleitung für den sogenannten ?Generalplan Ost“. Zwischen 1940 und 1943 lie? Reichsführer SS Heinrich Himmler insgesamt fünf Varianten zur gewaltsamen Umgestaltung Osteuropas durch Wissenschaftler:innen der damaligen Berliner Universit?t entwerfen. Zusammen bildeten sie den Planungskomplex ?Generalplan Ost“. Schlüsselfigur dieser Planungen war der Nationalsozialist, Agrarwissenschaftler und Professor an der Berliner Universit?t Konrad Meyer.

Enges Verh?ltnis zwischen Wissenschaft und Nationalsozialismus

Opferverb?nde, Politiker:innen, Aktivist:innen und Bürger:innen erwarten von der Humboldt-Universit?t zu Berlin seit langem einen genauen Blick auf den Umgang mit diesem Kriegsverbrechen. Im Auftrag des Pr?sidiums sowie der Historischen Kommission der HU hat der Geschichtswissenschaftler Dr. Sven Oliver Müller – der zu 金贝棋牌 der Gewalt im Ersten und Zweiten Weltkrieg forscht – nun eine Publikation zu den Hintergründen mit dem Titel ?Wissenschaft plant Kriegsverbrechen. Der Umgang der Humboldt-Universit?t zu Berlin mit dem nationalsozialistischen Generalplan Ost“ ver?ffentlicht.

Das Buch handelt von der Entstehung des ?Generalplan Ost“ im Zweiten Weltkrieg und vom Umgang mit diesem Kriegsverbrechen nach 1945. Der massenm?rderische Plan zielte auf die Besiedlung des von NS-Deutschland eroberten und besetzten Osteuropa. Die Arbeit von Sven Oliver Müller beleuchtet im Wesentlichen zwei Aspekte. Zum einen das enge Verh?ltnis von Wissenschaft und Nationalsozialismus im Zweiten Weltkrieg. Zum anderen richtet sich der Blick auf das Interesse der Akteure in der Wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (insbesondere der HU), sich der Verantwortung für dieses Kriegsverbrechen nicht stellen zu wollen.

Wichtige Ergebnisse sind:

  1. Die T?ter:innen des Massenmordes im Zweiten Weltkrieg waren nicht nur nationalsozialistische Politiker:innen oder Offiziere. Es waren auch viele renommierte Wissenschaftler:innen an der Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu Berlin. Der Massenmord wurde auch deshalb m?glich, weil Wissenschaftler:innen die Pl?ne dafür ausarbeiteten und sich pers?nlich daran beteiligten.
  2. Mit Erfolg argumentierten Vertreter:innen der sp?teren Humboldt-Universit?t und ebenso die beteiligten Wissenschaftler:innen nach 1945, dass man die eigene Forschung zu trennen habe von dem V?lkermord der Wehrmacht und ihrer Helfer:innen in Osteuropa. Die Wissenschaft sei doch politisch unbelastet. Ein gro?er Teil der Forscher:innen arbeitete auch in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) weiter, andere setzten in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ihre Karriere fort. Ab den frühen 1950er Jahren gab es in der DDR wie in der BRD kaum noch Prozesse gegen Kriegsverbrecher:innen. Hier unterscheidet sich die HU kaum von anderen Universit?ten in Deutschland.
  3. Die Universit?t als Institution schützte sich schlie?lich nicht mehr durch ihr Schweigen. Im Jahr 2002, also 60 Jahre nach der ?bergabe des ?Generalplan Ost“ an Heinrich Himmler, gab es zwei ?ffentliche Stellungnahmen. Zum einen vom Dekan der Landwirtschaftlich-G?rtnerischen Fakult?t (Prof. Dr. Jens-Uwe Nagel) und zum anderen vom Pr?sidenten der Universit?t selbst ( Dr. Jürgen Mlynek). Beide betonten die Mitschuld und die Verantwortung der eigenen Institution und ihrer Mitglieder für die Beteiligung am Vernichtungskrieg des Deutschen Reiches. Bereits Ende 2001 gab es dazu Initiativen von Studierenden der HU.
  4. Ziel der Publikation ist es, die Debatte darüber nicht zu einem Abschluss zu bringen, sondern intensiv fortzuführen. Der Autor Sven Oliver Müller schl?gt vor, dass die HU – unterstützt von der Forschung, aber auch vom Staat und Opferverb?nden – die Chance nutzt, mehr über dieses Kriegsverbrechen zu verstehen, um der Gegenwart zu nützen. So fehlt bis heute eine Biografie über den Hauptt?ter Prof. Dr. Konrad Meyer und ebenso eine vergleichende Forschung, die den Umgang der HU mit NS-Verbrechen zu der Vergangenheitsaufarbeitung anderer deutscher Universit?ten ins Verh?ltnis setzt.

Die ehemalige Pr?sidentin der Humboldt-Universit?t Prof. Dr.-Ing. Dr. Sabine Kunst stellte in ihrer Amtszeit die Weichen für eine eingehende Untersuchung über die Rolle der HU beim ?Generalplan Ost“ – und zwar über die Z?sur 1945 hinaus. Hintergrund war, dass die Nachfragen zur Aufarbeitung aus dem ?ffentlichen und politischen Raum nicht abbrachen.

Manches ist nun durch die Publikation bekannt geworden. Gleichzeitig aber sind die Wissenslücken gewaltig und die Art und Weise des Verschweigens der Forscher:innen nach 1945 wird erst im Ansatz erkennbar.

?Die vorliegende Ver?ffentlichung liefert einen wichtigen Beitrag zum Umgang der Humboldt-Universit?t mit dem Thema nach 1945“, sagt Prof. Dr. Peter Frensch, kommissarischer Pr?sident der HU. ?Unser Selbstverst?ndnis als HU wird erst wirklich lebendig und aufrichtig, wenn es auch die ehrliche Auseinandersetzung mit den dunklen Zeiten einschlie?t. Die Aufarbeitung des Umgangs der Humboldt-Universit?t mit dem ?Generalplan Ost“ verstehen wir aber nicht nur als Blick zurück. Es geht auch um einen Blick nach vorn. Es geht darum, wie wir unserer Verantwortung künftig gerecht werden wollen und uns glaubwürdig gegen Antisemitismus, Rassismus, Krieg und Verbrechen gegen die Menschlichkeit positionieren k?nnen.“

Blick auf die Opfer in Mittel- und Osteuropa richten

Eine wichtige Aufgabe der heutigen Gesellschaft ist es, in dieser Gewaltgeschichte die T?ter:innen, den Blick auf die Opfer in Mittel- und Osteuropa und schlie?lich die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Politik genau zu analysieren. Angesichts der Zunahme an radikalen politischen Bewegungen, an Rassismus und Antisemitismus in Deutschland sollten Grundlagen und Auswirkungen des ?Generalplan Ost“ deutlicher als bislang erkannt werden.

Wissenschaftliche Visionen, rassistische Bev?lkerungspolitik, wirtschaftliche Ausbeutung und Massenmord griffen beim ?Generalplan Ost“ ineinander. Ziel war die Schaffung einer deutschen Agrargesellschaft in Polen, in weiten Teilen der damaligen Sowjetunion und im Baltikum. Deutschen Siedler:innen sollte ein neuer ?Lebensraum“ erschlossen werden, indem man die Gebiete der slawischen Bev?lkerung kolonisierte und die Menschen dort zur Arbeit zwang, deportierte oder ermordete.

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Die Publikation über den edoc-Server der HU als PDF lesen

Ein Podiumsgespr?ch an der HU mit Historiker:innen, die zum ?Generalplan Ost“ geforscht haben, beleuchtete am 15. Juni 2022 einige Aspekte von dessen Entstehung und Wirkung. Prof. Dr. Isabel Heinemann hielt einen Vortrag und Prof. Dr. Michael Wildt leitete die Diskussion zwischen Prof. Dr. Gabriele Metzler, Dr. J?rg Morré und PD Dr. Sven Oliver Müller. Diskutiert wurde, warum und auf welche Art und Weise herausragende Experten in Berlin ihr Wissen, ihre F?higkeiten und die Infrastruktur der Universit?t nutzten, um einen V?lkermord in Osteuropa zu planen.

Notwendig ist der Blick auf den Umgang mit diesem Kriegsverbrechen an der Humboldt-Universit?t zu Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Es geht dabei auch um den Wissenschaftsbetrieb in der Deutschen Demokratischen Republik wie in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei wurde auch das neue Buch von PD Dr. Sven Müller zu diesem Thema vorgestellt.

Die Podiumsdiskussion vom 15. Juni 2022 anschauen?

Pressekontakt

Hans-Christoph Keller
Pressesprecher Humboldt-Universit?t zu Berlin

Tel.: 030 2093-12710
hans-christoph.keller@hu-berlin.de