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?Wir wünschen uns, dass Korngold als Teil der Moderne wahrgenommen wird“

Erstmalig entsteht eine Werksausgabe des Komponisten Erich Wolfgang Korngold. Im Interview sprechen die Projektleiter:innen Prof. Dr. Friederike Wi?mann (hmt Rostock) und Prof. Dr. Arne Stollberg (HU) über das Gro?projekt.

Erstmalig soll eine Ausgabe der Werke des Komponisten Erich Wolfgang Korngold entstehen. In den kommenden 25 Jahren arbeiten Forscher:innen der Humboldt-Universit?t zu Berlin, der 金贝棋牌 für Musik und Theater Rostock und der Goethe-Universit?t Frankfurt daran. Ein Gespr?ch mit den Projektleiter:innen Prof. Dr. Friederike Wi?mann (hmt Rostock) und Prof. Dr. Arne Stollberg (HU).

Was genau erforschen Sie für die Werkausgabe? Und wie ist die Zusammenarbeit zwischen den Institutionen organisiert?

Prof. Dr. Friederike Wi?mann: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, eine Werkausgabe, also das Gesamtwerk von Erich Wolfgang Korngold herauszubringen. Publiziert wird die Ausgabe durch den Verlag Schott Music. Wir haben bei der Konzeption dieses umfangreichen Projektes drei Arbeitsstellen mit unterschiedlichen Schwerpunkten vorgesehen. Arne Stollberg ist weltweit einer der renommiertesten Korngold-Forscher mit dem Schwerpunkt Oper, da lag es nahe, dass an der Humboldt-Universit?t das Musiktheater ediert wird. An der Goethe-Universit?t Frankfurt soll vor allem die Filmmusik im Zentrum stehen, und zwar mit dem Ziel der Entwicklung multimedialer Formate. An der 金贝棋牌 für Musik und Theater Rostock soll schwerpunktm??ig die Instrumentalmusik ediert werden.

Prof. Dr. Arne Stollberg: Das Projekt hat eine sehr komplexe Anlage. Finanziert werden wir von der Union der deutschen Akademien. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften betreut die Arbeitsstellen in Berlin und Rostock, die Arbeitsstelle in Frankfurt ist der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz zugeordnet. Au?erdem verfolgen wir eine enge Zusammenarbeit mit dem Zentrum Musik ? Edition ? Medien (ZenMEM) der Universit?t Paderborn und der Musikhochschule Detmold.

Welche Vorteile bringt eine hybride Werkausgabe?

Wi?mann: Für jede Werkausgabe stellen die unterschiedlichen Fassungen und Lesarten innerhalb der Stücke eine Herausforderung dar. In analogen Editionen mussten noch alle Varianten in gedruckten Listen geführt werden, was es unglaublich mühsam macht, Vergleiche anzustellen. Die digitale Edition bietet uns innovative M?glichkeiten insbesondere bei der Filmmusik, da man durch Verlinkung sehr gut Stellenkorrespondenzen aufzeigen und anschaulich machen kann. Wenn es gut l?uft, dann provoziert unsere Edition bei den Benutzer:innen ein kritisches Lesen.

Stollberg: Au?erdem werden die autographen Quellen, auf denen unsere Ausgabe basiert, online zug?nglich sein. Das hei?t, die Benutzer:innen haben die Handschrift des Komponisten vor sich und k?nnen diese direkt anklicken, sich selbst ein Bild machen und auch unsere Arbeit überprüfen. Das bietet gegenüber den gedruckten Lesartenverzeichnissen einen h?heren Grad an Transparenz.

Welche Zielgruppe m?chten Sie mit der Werkausgabe erreichen?

Wi?mann: Allen voran wünschen wir uns interessierte Leser:innen, die Lust haben, mit uns auf Spurensuche zu gehen. Wir m?chten auch explizit die musikalische Praxis adressieren, weil wir es bei Korngold mit einem Komponisten zu tun haben, der über lange Jahre nicht selbstverst?ndlich zum Repertoire geh?rte. Es gibt viele 金贝棋牌bereiche bei Korngold, die noch auf eine Aufarbeitung warten, und wir freuen uns, mit der Werkausgabe die Grundlage hierfür bereitzustellen.

Korngolds sorgte bereits in seiner Kindheit für Aufsehen. Weshalb geriet er in Vergessenheit?

Stollberg: Korngold hat schon in sehr jungen Jahren erstaunlich reif komponiert. Er schrieb im Grunde mit zehn Jahren so, wie er es als 40-J?hriger auch noch tun sollte. Die ?Handschrift“ ist immer erkennbar, bereits bei den Werken, die im Kindesalter entstanden sind. Sp?ter hat man ihm allerdings genau dies zum Vorwurf gemacht: das Fehlen einer Entwicklung. In unserer Ausgabe werden wir eine Reihe von Werken zur Erstver?ffentlichung bringen, die noch vollkommen unbekannt sind. Das betrifft zum gro?en Teil sehr frühe Klavierstücke, so dass es m?glich sein wird, die Entwicklung des jungen Korngold besser nachzuvollziehen.

Wi?mann: Als jüdischer Komponist flüchtete er 1938 ins Exil in die USA. Korngold hat, wie viele Komponisten in der Emigration, Filmmusik geschrieben und konnte als Oscar-Preistr?ger gro?e Erfolge verbuchen. Er versuchte zwar nach 1945, wieder in Europa Fu? zu fassen, doch entsprach seine Musik zu dieser Zeit nicht den Erwartungen. Hierbei spielt der Avantgarde-Begriff eine gro?e Rolle. Tonale Musik war fast verp?nt und galt als reaktion?r.

Das Festhalten an der Tonalit?t, der Verdacht, sich für die Filmindustrie brauchbar gemacht zu haben, und ein unterschwelliges Fortwirken antisemitischer Vorurteile: diese ganz unterschiedlichen Felder haben dazu beigetragen, dass Korngolds Comeback-Versuch in den europ?ischen Konzerts?len und Opernh?usern scheiterte. Es lohnt sich, solche Stereotype genauer in den Blick zu nehmen und kritisch zu hinterfragen.

Wo k?nnen wir Korngolds Einfluss auf die Filmmusik heute noch sehen?

Stollberg: Korngold hat als Wiener Komponist ganz viel nach Hollywood getragen. Wenn er Filmmusik schrieb, wollte er keinen Unterschied zu anderen Gattungen gelten lassen. Die Filmmusik sah er nicht als zweitklassig oder minderwertig an, sondern als Kunstform eigenen Rechts. Er sorgte mit seinen anspruchsvollen Partituren für Aufsehen. Durch ihn ist ein symphonischer Stil in Hollywood angekommen, der pr?gende Wirkung entfalten sollte. Der ?Hollywood Sound“ war geboren – und lebt bis heute.

Was erhoffen Sie sich von der Werkausgabe?

Wi?mann: Wir wünschen uns, dass Korngold als Teil der Moderne wahrgenommen wird und dass damit ein Bild der Moderne entsteht, dass deren künstlerische Vielf?ltigkeit sichtbar macht.

Stollberg: 25 Jahre ist eine lange Zeit. Bei Fertigstellung der Ausgabe sind wir beide in Pension – ein seltsamer Gedanke. Wir werden sehen, was sich bis dahin noch alles tut, auch hinsichtlich neuer Perspektiven auf die Musikgeschichte. Wenn man sich anschaut, was allein in den letzten 30 Jahren geschehen ist, dann muss man mit Blick auf Korngold von einer fast explosionsartigen Entwicklung ins Positive sprechen. Dem Komponisten wird das mehr als gerecht.

Das Gespr?ch führte?Cosima Kopp.

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