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Forschen in Kriegszeiten

Die litauische Ethnologin Dr. Kristina Jonutyt? wurde mit dem Caroline von Humboldt-Preis 2023 ausgezeichnet
Alternativtext

Dr. Kristina Jonutyt?,?
Foto:?Max-Planck-Institut für
ethnologische Forschung

Ihr Interesse für weit entfernte Regionen in Russland erkl?rt Kristina Jonutyt? ohne gro? überlegen zu müssen: Sie wurde 1989 in Litauen geboren, ein Jahr bevor das Land sich von der Sowjetunion für unabh?ngig erkl?rte, zwei Jahre, bevor es – nach gewaltt?tigen Repressionen – tats?chlich in die Eigenst?ndigkeit entlassen wurde.

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht die Republik Burjatien, die im südlichen Sibirien liegt und an die Mongolei grenzt. Für ihre Doktorarbeit hielt sie sich ein Jahr lang in der Hauptstadt Ulan-Ude auf. Dort untersuchte sie das postsowjetische Erstarken des Buddhismus im st?dtischen Raum, befragte M?nche und Laien zu ihrer religi?sen und ethnischen Identit?t.

Um Ethnologin zu werden, musste Kristina Jonutyt? ins schottische Edinburgh ziehen, in Litauen war das Fach noch nicht universit?r verankert. Begonnen hatte sie nach der Schule zun?chst mit Philosophie: ?Mich haben gesellschaftliche Zusammenh?nge, aber auch das individuelle Handeln interessiert“, erz?hlt die 34-J?hrige: ?Wie treffen Menschen Entscheidungen? Wie spiegeln sich philosophische ?berlegungen im allt?glichen und ethischen Handeln wider?“

In Edinburgh lernte die Studentin w?hrend ihres Studiums Russisch. Und hielt nach ihrem Abschluss gezielt nach einem Promotionsstipendium Ausschau, um in einem russischsprachigen Gebiet der früheren Sowjetunion weiter forschen zu k?nnen. Fündig wurde sie am ?Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung“ in Halle/Saale. Dort arbeitete eine Forschergruppe von Prof. Christoph Brumann zu ?Buddhistischen Tempel?konomien im urbanen Asien“. Das fand sie interessant: ?Ich wusste lange nicht, dass es buddhistische Regionen in Russland gibt. Das ist auch generell kaum bekannt.“ Das Jahr in Burjatien war nicht leicht, erz?hlt die Wissenschaftlerin, die perfekt Englisch und Russisch spricht. Feldforschung und Ethnologie waren dort nahezu unbekannt, man sei ihr zun?chst mit Misstrauen begegnet. ?Stress machte au?erdem, dass Russland kurz zuvor die Krim besetzt hatte und in den Medien eine Kampagne gegen die baltischen Staaten startete.“ Als Litauerin habe sie die Vorurteile beim ersten 金贝棋牌 zu spüren bekommen. ?Im Laufe des Gespr?chs lie?en sie sich aber überwinden.“

Nach Beendigung ihrer Doktorarbeit in Halle ging Jonutyt? nach Litauen zurück und bekam bald danach ein Kind. Wie lassen sich Karriere und Familienleben miteinander verbinden? ?Mein Mann und ich haben entschieden, dass wir unseren Lebensmittelpunkt in Vilnius behalten.“ Dennoch versucht die Ethnologin, die mehrere Forschungsstipendien und Preise erhalten hat, ihre Lehrt?tigkeiten an den Universit?ten in Vilnius und Kaunas so gut wie m?glich mit kurzen Forschungsreisen ins Ausland zu verbinden. Zweimal war sie bereits in Cambridge, drei Monate an der Universit?t Zürich liegen gerade hinter ihr, und im kommenden Jahr steht Helsinki auf dem Programm.

Dass die Ethnologie mittlerweile in Litauen etablierter ist, daran hat Jonutyt? einen wesentlichen Anteil, war sie doch an der Gründung der ?Litauischen Ethnologischen Vereinigung“ beteiligt. Den Austausch mit rund 40 Kollegen und Kolleginnen empfindet sie als ?hnlich belebend wie ihre universit?ren Gastaufenthalte im Ausland: ?Dort habe ich Zeit, an meinem Projekt zu arbeiten und ich vernetze mich mit anderen, die zu ?hnlichen 金贝棋牌 forschen.“

Auch das neue Projekt kreist um Burjatien genauer: um russische Minderheiten und die burjatische Identit?t in Zeiten des Krieges. Jonutyt? wird es als Caroline von Humboldt-Preistr?gerin teilweise auch bei Manja Stephan-Emmrich, Professorin am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der HU, realisieren. Nach der russischen Mobilmachung im September 2022 flohen tausende M?nner aus Burjatien vor ihrer Einberufung zum Milit?r in die benachbarte Mongolei.

Die engagierte Wissenschaftlerin lie? alles stehen und liegen und war einen Monat sp?ter in der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatur, um mit den Geflüchteten zu sprechen. ?Das war dramatisch“, betont sie: ?Die M?nner sind ganz normal zur Arbeit gegangen. Dort lag der Einberufungsbefehl auf dem Tisch, und manche sind nicht einmal mehr nach Hause gegangen, sondern haben noch am selben Tag das Land verlassen.“ Ihre Feldforschungen zur ethnischen Minderheit der Burjaten wird sie nicht in der russischen F?deration machen k?nnen, sondern in den L?ndern, wohin diese geflüchtet ist.

Dass Kristina Jonutyt? den diesj?hrigen Caroline von Humboldt-Preis erh?lt, hat ihr Doktorvater Doktorvater Christoph Brumann sehr befürwortet. Er bezeichnet die Nachwuchswissenschaftlerin als ?ausgesprochen gründliche, engagierte, kreative und klarsichtige Wissenschaftlerin, von der ich eine gro?e Karriere erwarte, zumal sie auch als freundlicher und verl?sslicher team player zu überzeugen wei?“.

Für die Litauerin ist die Preisverleihung nicht nur ?eine Ehre“, wie sie sagt, sondern zugleich der Einstieg in ein akademisches Jahr, das sie auch in Berlin verbringen wird. Mal wird dann ihr Mann, der ebenfalls Wissenschaftler ist, mal ihre Mutter dabei sein – mitsamt Kind. ?Es ist nicht leicht, das alles unter einen Hut zu kriegen“, sagt Kristina Jonutyt? lachend. ?Aber man sollte sich nicht den M?glichkeiten verschlie?en zu reisen und neue Erfahrungen zu machen.“

Von Isabel Fannrich-Lautenschl?ger

?ber den?Caroline von Humboldt-Preis

Der Caroline von Humboldt-Preis, der mit 15.000 Euro dotiert ist, wird j?hrlich an eine exzellente Postdoktorandin aus dem In- oder Ausland vergeben. Er ist einer der h?chstdotierten Preise seiner Art in Deutschland. Mit dem Preisgeld wird der Preistr?gerin die Durchführung eines Forschungsprojekts im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes an der Humboldt-Universit?t erm?glicht.

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