Presseportal

Vom staubigen Boden zum Friedensbrot: Roggenaussaat auf dem ehemaligen Mauerstreifen

Zum 20. Mal haben Agrarwissenschaftler*innen der Humboldt-Universit?t Roggen auf dem ehemaligen Mauerstreifen ges?t. Es symbolisiert das europ?ische Zusammenwachsen und erinnert an die Bedeutung von Frieden.

In Berlin liegt der weltweit einzige Acker im Zentrum einer Metropole. ?Hier sieht man im st?dtischen Umfeld, dass wir uns nicht nur in wissenschaftlichen Tempeln bewegen, sondern als Universit?t auch universell unterwegs sind“, sagt Michael Baumecker, Leiter der Lehr- und Forschungsstation Freiland auf den Versuchsfeldern der HU in Dahlem und Thyrow. Das Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften der Lebenswissenschaftlichen Fakult?t unterstützt freiwillig die Aussaat, Pflege und Ernte von Roggen auf zwei Feldern links und rechts der Kapelle der Vers?hnung, auf dem ehemaligen Mauerstreifen. Baumecker hat am 17. September zum 20. Mal Roggen ausges?t. ?Wir haben den Acker als HU immer unterstützt, um der st?dtischen Bev?lkerung Landwirtschaft mal mitten in ihrem urbanen Umfeld zu zeigen. Viele Berliner und auch viele ausl?ndische Besucher sind v?llig überrascht, dass so etwas mitten in der deutschen Hauptstadt m?glich ist.“

Im Krieg gibt es keine Landwirtschft

Baumecker ist seit Beginn des Projekts 2006 dabei, das 2005 als Kunstauktion von einem Bildhauer konzipiert worden war. ?Seitdem gelingt es uns, das Projekt auf dem Gel?nde der Gedenkst?tte Berliner Mauer durchzuführen, die uns auch finanziell unterstützt.“ Auch der Verein FriedensBrot e.V. ist daran beteiligt, der von einem Teil der Ernte zusammen mit Getreide aus anderen L?ndern Europas sein ?Friedensbrot“ aus Roggen backen l?sst. ?Der Acker wird zunehmend als Symbol für das europ?ische Zusammenwachsen gesehen, für die friedliche Nutzung eines ehemaligen Konfrontationsstreifen zwischen zwei milit?rischen Bl?cken, zwischen Ost und West“, sagt der Agrarwissenschaftler. ?Krieg in Europa war bis vor kurzem v?llig unvorstellbar. Daher ist es wichtig, der Gesellschaft bewusst zu machen, dass Frieden keine Selbstverst?ndlichkeit ist. Im Krieg kann keine Landwirtschaft durchgeführt werden und dann gibt es auch kein Brot.“ Das Roggenfeld auf dem ehemaligen Todesstreifen versinnbildliche das. ?Mit diesem Acker wollen wir das Symbol für diesen Zusammenhang in die Gesellschaft senden.“

Herausforderung st?dtischer Boden

Die HU-Mitarbeiter hatten den letzten Roggen im Juli geerntet und danach die Stoppeln eingearbeitet. Am 17. September haben sie mit einem kleinen grünen Traktor und einer kleinen grünen Drillmaschine mit zehn S?scharen den n?chsten Roggen ausges?t, die Sorte Conduct, mit 300 K?rnern pro Quadratmeter. Wenn der Roggen w?chst und es grün wird, fahren sie mit dem Unkrautstriegel über das Feld und im Frühjahr streuen sie Mineraldünger, damit das Getreide auf dem sehr wenig fruchtbaren Boden auch wachsen kann. Denn 1985 war hier die ehemalige Vers?hnungskirche abgerissen worden, die mitten auf dem Mauerstreifen stand. Daher ist der Boden die gro?e Herausforderung für die Agrarwissenschaftler: ?Wir haben hier einen st?dtischen Boden, der durch die urbane Nutzung natürlich kein typischer Ackerboden ist, sondern ein sehr anthropogen beeinflusster.“

Biodiversit?t auf ehemaligem Grenzstreifen

Darin liegen die Schuttreste der ehemaligen Backsteinkirche. ?Die machen dem Roggen das Leben natürlich nicht unbedingt einfacher“, sagt Baumecker. Au?erdem befinde sich der Acker teilweise auf dem alten Weg der Grenztruppen, die hier ihre Kontrollfahrten gemacht haben. ?Da haben wir natürlich das besondere Problem, dass das Wasser nicht versickern kann und wir nach Regen nasse Stellen haben.“ Um die die Qualit?t des schwierigen Bodens zu verbessern, bauen die HU-Mitarbeiter im August auf einem Drittel des Ackers blau-violett blühende Luzerne an, die Stickstoff bindet. ?Dazu kommt noch ein weiterer Effekt“, sagt Michael Baumecker. ?Die Luzerne ist sehr attraktiv für Bienen und Schmetterlinge und tr?gt dazu bei, die Biodiversit?t im urbanen Raum zu erh?hen.“

Vom staubigen Boden bis zum Friedensbrot

Jetzt im September sieht man nur staubigen Boden, sagt Baumecker. ?Nach der Aussaat wird er den Winter über eine sch?ne grüne Farbe haben.“ Ende Februar, Anfang M?rz beginnt der Roggen zu wachsen und einen Monat sp?ter k?nnten sich schon kleine Hunde im Feld verstecken, weil das Getreide schon 20 bis 30 Zentimeter hoch sei. Ende Mai ist er dann ausgewachsen und rund anderthalb Meter hoch. Wenn die Pollenschüttung losgeht, wehen kleine Staubwolken über das Feld. Dann wachsen die K?rner, bis zu hundert K?rnern kann eine ?hre entwickeln. Danach setzt der Reifeprozess ein, das Korn wird trockener und verf?rbt sich ins Gelbliche. ?Diese Gelbreife ist meist so Ende Juni erreicht. Anfang Juli werden auch die Halme gelb und die K?rner hart und graugrün. Und wenn dann eine Restfeuchte von 14 Prozent im Korn erreicht ist, ist es Zeit mit dem M?hdrescher im Feld zu sein, um die K?rner dann aus den ?hren zu dreschen.“ Ein Teil der Ernte wird dann wieder zu Friedensbrot verbacken.

Autorin: Vera G?rgen