?Die Polizei in Frankreich tritt aggressiver auf“
Proteste im November 2018 auf den Champs-?lysées in Paris.
Foto: L. Nicollet (Romainville, France)
Seit November kommt es in Frankreich bei den Gelbwesten-Protesten immer wieder zu Ausschreitungen – und zu Gewalt von Polizistinnen und Polizisten gegenüber Demonstrierenden. Handgranaten und Hartgummigeschosse werden eingesetzt. Der Politikwissenschaftler Fabien Jobard, 47, und der Soziologie Jérémie Gauthier, 39, forschen zu Polizei und Polizeigewalt in Frankreich und in Deutschland.
Hunderte Menschen sind bei den Gelbwesten-Protesten in Frankreich durch Polizeigewalt verletzt worden. Wieso agiert die Polizei so harsch?
Jobard: ?Das hat vor allem eine Erkl?rung, n?mlich die zunehmende Bewaffnung der Polizei im Lauf der letzten 20 Jahre. Die Bereitschaftspolizei wurde in Frankreich nicht entmilitarisiert, wie es den 70er- und 80er-Jahren in Deutschland passiert ist. Dadurch ist die Bewaffnung der franz?sischen Einheiten, die auf Demos geschickt werden, viel h?rter.“
Deshalb gibt es in Frankreich auch mehr Verletzte?
Jobard: ?Im Endeffekt sind solche Verletzungen wie der Abriss eines Fu?es oder einer Hand in Deutschland nicht mehr zu sehen, weil es die Waffen nicht mehr gibt. So einfach ist das.“
Tritt die franz?sische Polizei anders auf als die deutsche?
Gauthier: ?In Frankreich basiert die Polizeiarbeit sehr auf Repression, w?hrend sie sich in Deutschland an Pr?vention orientiert. Daher ist das Handlungsrepertoire der Polizei in Frankreich viel aggressiver als in Deutschland.“
Z?hlen die Hartgummigeschosse auch zu dieser Aggression?
Jobard: ?Die sind neu. Sie wurden 1995 in ein paar Polizeieinheiten eingeführt und werden jetzt bei Demos und politischen Protesten eingesetzt. Ursprünglich sollten sich Polizist:innen bei Eins?tzen in franz?sischen Vorst?dten, den Banlieues, damit verteidigen, wenn ihr Leben in Gefahr war. Dass jetzt mehrere Tausend solcher Hartgummib?lle auf Demonstrierende geschossen wurden, ist absolut unverh?ltnism??ig.“
Ist diese Polizeigewalt in Frankreich allt?glich?
Gauthier: ?Was wir grade erleben ist ziemlich neu. Zum einen wegen der Dauer der Proteste. Sie dauern jetzt schon seit November an. Auch was die H?rte der Repression betrifft: Solch eine Gewalt haben wir seit Mai 1968 nicht mehr erlebt, seit den Auseinandersetzungen und Ausschreitungen zwischen Studierenden und der Polizei in Paris. Die Polizei reagiert sehr repressiv."
Ist es vorstellbar, dass eine ?hnliche Situation in Deutschland so eskaliert?
Jobard: ?Um die Handlung der franz?sischen Polizei gegenüber den Gelbwesten aus deutscher Sicht besser zu verstehen, muss man an G20 im Juli 2017 zurückdenken. Das Einsatzkonzept der franz?sischen Polizei ist so ?hnlich wie das der Polizei in Hamburg damals, die sogenannte Hamburger Linie. Auch dort schienen bestimmte Entscheidungen, die fast zur Eskalation geführt haben, unverh?ltnism??ig. Ich denke an die Entscheidung am Donnerstagnachmittag, auf der ,Welcome to Hell‘-Demo das Vermummungsverbot durchzusetzen. Das hat dazu geführt, dass die Polizeieinheiten den Demozug direkt angegriffen haben. Das hat die Teilnehmer:innen für die n?chsten zwei Tage radikalisiert. So etwas geh?rt zur Struktur der Polizeihandlungen in Frankreich.“
Was kann die Polizei noch tun?
Jobard: ?Man k?nnte differenzierter handeln und sagen: Diese Gruppe, die gewaltbereit ist, müssen wir von der Masse abtrennen. Das ist schwierig. Aber wenn man kein Mittel zum Dialog hat, kann man nichts tun als den ganzen Demozug mit Gewalt zu behandeln. Was man auf den Champs ?lysées mehrmals beobachtet hat, ist eine Angliederung der nicht gewaltt?tigen Demonstrierenden an die gewaltt?tigen und eine damit verbundene Eskalation: eine Spirale der Gewalt, die sehr früh angefangen hat. Die Bereitschaft der Polizei, auch mit gewaltbereiten Gruppen den Dialog zu w?hlen, ist in Deutschland gr??er als in Frankreich. Es gibt solche 金贝棋牌teams von der Polizei, die auch in Antifademos zu finden sind.“
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Das Interview führte Christina Spitzmüller.
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