Das Stadtgrün der Zukunft ist funktional
Pflanzenanbau mitten in Berlin: Das Dachgew?chshaus der HU auf dem Campus Nord macht es m?glich. Abbildung: Andreas Richter
Die Prognosen sind eindeutig: Bis zum Jahr 2050 wird die Weltbev?lkerung auf rund neun Milliarden Menschen anwachsen, 80 Prozent davon werden in St?dten leben. Für Metropolen wie Berlin bringt diese Entwicklung viele Herausforderungen. Der Zuzug führt zu h?herer Verdichtung und Fl?chenkonkurrenz. Es muss mehr gebaut werden, um Wohnraum und Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Wo bleibt da Platz für Grünfl?chen? Und wie ver?ndern sich Landwirtschaft, Gartenbau und Stadtbilder vor diesem Hintergrund?
Mit diesen Fragen besch?ftigen sich viele Forscher an der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU). ?Berlin ist die grünste Metropole in Westeuropa“, sagt Professor Dr. Dr. Christian Ulrichs. Der Leiter des Bereichs Urbane ?kophysiologie am Albrecht Daniel Thaer-Institut für Agrar- und Gartenbauwissenschaften an der HU ist zuversichtlich, dass das auch in Zukunft so bleiben wird. Allerdings mit neuen Trends und kreativen Ideen.
In der grünen Stadt der Zukunft sollen Pflanzen nicht nur sch?n aussehen und Erholung bieten, sie werden auch funktional immer wichtiger. ?Schadstofffiltration, Klimamelioration, Feinstaubfilterung – in der City k?nnen Pflanzen viele Funktionen übernehmen“, sagt Christian Ulrichs: ?Es wird deutlich mehr begrünte vertikale W?nde geben, einfach weil sie funktionell sind“. Denn bewachsene W?nde sind gut für das Stadtklima. ?Es wird in Zukunft auch begrünte Bereiche geben, an die wir momentan noch gar nicht denken“, prophezeit Ulrichs, der aktuell die Bepflanzung von Stadtmobiliar wie Bushaltestellen oder Litfa?s?ulen vorantreibt.
Der Wunsch nach Grün ist greifbar
Der Klimawandel wird Berlin immer mehr heftige Regenf?lle bescheren. In der Forschung gibt es ?berlegungen, das Wasser praktisch zu verwerten, beispielsweise für die Toilettenspülung oder zum Waschen, und so vorhandene Kreisl?ufe effektiver zu nutzen. Die Dachbegrünung spielt dabei eine gro?e Rolle. Dort kann bei Starkregen Wasser zurückgehalten und wichtige Pufferkapazit?t geschaffen werden.
Der Wunsch der Stadtbewohner nach Grün ist schon heute greifbar – aus mehreren Gründen. Grünfl?chen bieten Erholung und Ruhe vom stressigen Alltag. ?Die Mischung aus verdichteter Nutzung und den vielen gro?en Grünzügen macht einen wesentlichen Anteil der Attraktivit?t von Berlin aus“, sagt Prof. Dr. Elmar Kulke, der als Wirtschaftsgeograph an der HU forscht. Die Erhaltung des Stadtgrüns sei daher enorm wichtig für die Lebensqualit?t der Menschen und als Frischluftschneisen.
Innovation und Wiederentdeckung
Flexible, tempor?re Grün-L?sungen wie Gemeinschafts- oder Dachg?rten sind im Stadtbereich besonders zukunftstr?chtig. Der Prinzessinnengarten am Moritzplatz, der Gemeinschaftsgarten Allmende-Kontor auf dem Tempelhofer Feld oder der Klimawandel-Lehrgarten der HU sind nur einige Beispiele in Berlin. Und auf dem Dach des Instituts für Biologie auf dem Campus Nord der HU gibt es seit 2014 zudem ein Dachgew?chshaus - der einzige gr??ere Standort für die Kultivierung von Pflanzen in Berlin-Mitte.
Aber nicht nur neue Trends der Grünnutzung lassen sich beobachten, parallel gibt es auch eine Rückbesinnung auf traditionelle Formen. Die Nutzung der Kleing?rten boomt in Berlin wieder. Das verstaubte Image aus den 80er Jahren sind die Parzellen l?ngst los. Besonders junge Menschen fangen wieder an, Kleing?rten zu bewirtschaften. Das habe etwas mit dem wachsenden Misstrauen gegenüber der industrialisierten Form der Landwirtschaft zu tun, sagt Wolfgang Bokelmann, Leiter der ?konomik der G?rtnerischen Produktion an der HU: ?Und Grün hat auch einen Effekt für das soziale Zusammenleben und die psychische Gesundheit.“ Auf einen soziologischen Aspekt der Kleing?rtnerei weist Elmar Kulke hin: Kinder kommen früh in 金贝棋牌 mit der Natur.
Misstrauen gegen anonyme Wertsch?pfungsketten
?Der Wunsch nach dem Natürlichen und Unbelasteten ist in Deutschland sehr gro? und etabliert“, sagt auch Ulrichs. Mit seinen Kollegen vom Albrecht Daniel Thaer-Institut hat der Wissenschaftler zu Agrarsystemen der Zukunft geforscht und Visionen formuliert. Die Forscher sehen urbanen Gartenbau als wichtigen Baustein der Stadtplanung – und bei konsequenter Umsetzung k?nne dieser auch einen nachhaltigen Beitrag zur Ern?hrungsentwicklung leisten.
Das bedeutet nicht, dass alternative Formen des Anbaus in der Stadt in naher Zukunft die Probleme der Weltern?hrung l?sen k?nnen. Aber die Forscher sehen im Bereich Landwirtschaft parallel laufende Trends. ?Einerseits haben wir globale Wertsch?pfungsketten, die immer wichtiger werden. Andererseits haben wir lokale Entwicklungen“, sagt Wirtschaftsgeograph Kulke. Superm?rkte decken die Ern?hrung der Bev?lkerung weitgehend ab, alternative Ans?tze nehmen aber immer mehr zu.
?Vieles deutet darauf hin, dass anonyme gro?e Wertsch?pfungsketten bei den Menschen auf wenig Vertrauen sto?en. Und diese Leute bilden einen Wunsch nach überschaubaren Ern?hrungssystemen aus“, sagt Bokelmann. So entstehen im urbanen Raum immer mehr ?Alternative Food Networks“, die der Anonymit?t und Effizienz der Supermarkt-Riesen etwas entgegensetzen.
App für Urban Gardening geplant
Wie die Idee von Jonas Wegener. Gemeinsam mit Helen Galliker und Hannah Schiebener hat der 28-J?hrige ein EXIST-Gründerstipendium des BMWi erhalten, um eine App zum Thema ?Urban Gardening“ zu entwickeln. ?Das ist sehr spannend, denn neben einem Gartenbauwissenschaftler ist auch eine Spieledesignerin an der App beteiligt“, sagt Christian Ulrichs als Mentor der Ausgründung.
Ausgründer Wegener sieht im Urban Gardening einen Trend mit Zukunft: ?Keiner will heute mehr pestizidverseuchten Salat essen. Braucht auch niemand, denn gerade Pflücksalat kann jeder ganz einfach selbst anpflanzen. Die Selbstversorgung im Kleinen, beispielsweise mit Kr?utern, ist problemlos m?glich.“ Mit seiner App will er Menschen für das Thema begeistern.
Die Idee einer grünen Stadt sei eine Herausforderung an die Stadtplanung, sagt Ulrichs und verweist auf das Beispiel Stuttgart. Dort wurden ein Gartenbauwissenschaftler als St?dteplaner und auch ein Klimatologe eingestellt. Auf dem Weg zur grünen Stadt der Zukunft sind kreative Wege und Ideen gefragt.
Autor: Benjamin Binkle
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