Ausstellung zur Erotik der Dinge
Die Ausstellung "Erotik der Dinge"
Foto: Olivia Kwok
Wie hat sich der gesellschaftliche Umgang mit Sexualit?t entwickelt? Und wie ver?ndert sich dadurch unsere erotische Wahrnehmung? In der Ausstellung Erotik der Dinge: Sammlungen zur Geschichte der Sexualit?t, erkundet ein interdisziplin?res Forschungsteam der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) zusammen mit dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge, die verschwimmenden Grenzen von Alltag und sexueller Phantasie. Ein Gespr?ch mit den Co-Kuratoren Prof. Dr. Andreas Kra? und Hannes Hacke.
In Kooperation mit dem Werkbundarchiv – Museum der Dinge – stellen Sie erotische Objekte aus internationalen Privatsammlungen aus. Wie kamen Sie auf dieses polarisierende Thema?
Prof. Dr. Andreas Kra?: Die Ausstellung ist Teil eines Forschungsprojektes der Forschungsstelle Kulturgeschichte der Sexualit?t zur Sammlung der amerikanischen Kunstsammlerin Naomi Wilzig und steht zudem in Verbindung mit Magnus Hirschfeld, einem Sexualwissenschaftler, dessen Institut und Sammlung 1933 von den Nationalsozialisten vernichtet wurde. Er hatte verfügt, dass für den Fall, dass seine Stiftung aufgehoben werden sollte, das Stiftungsverm?gen an die Universit?t Berlin fallen sollte. Dieser Fall trat mit der Zerschlagung des Instituts ein, aber die Berliner Universit?t schlug damals dieses Erbe aus. Zu seinem 150. Geburtstag bietet die Ausstellung also die Gelegenheit, sein kulturelles Verm?chtnis zu würdigen. Es ist bemerkenswert, dass die Kunstsammlung von Naomi Wilzig, einer Jüdin und Ehefrau eines Holocaust-?berlebenden, nun an die Humboldt-Universit?t kommt.
Erotik ist noch immer ein Signalwort. Haben Sie mit dem Thema der Ausstellung die bewusste gesellschaftliche Provokation gesucht? Oder handelt es sich hier um einen Aufkl?rungsversuch?
Hannes Hacke: Wir sehen darin keineswegs eine Provokation. Es geht uns um die Spurensuche nach der Bedeutung einer Erotik der Dinge. Wir m?chten nicht erkl?ren, was Erotik ist. Gerade deshalb stellen wir Gegenst?nde nicht unter der Pr?misse `Das ist Erotik.? aus, sondern fragen nach den verschiedenen Blickwinkeln auf Objekte. In der Rückschau l?sst sich erkennen, dass sich Erotik stets im Wandel befindet. Dinge, die wir heute als erotisch empfinden, wurden früher als pornografisch verboten.
Genauso ist das, was für die einen Erotik ist, für Andere vielleicht der Ausdruck einer patriarchalen, sexistischen Alltagsrealit?t. Au?erdem ist die Beziehung zu Objekten – Form, Materialit?t, Oberfl?chen, Darstellung – immer auch vom individuellen Betrachter abh?ngig.
Was ist für diese Beziehung wichtiger? Der pers?nliche Blickwinkel oder der Kontext, in dem wir Objekte wahrnehmen?
Prof. Dr. Andreas Kra?: Ich betrachte die Beziehung als wechselseitig. Es gibt keinen privaten, pers?nlichen Blick unabh?ngig vom kulturellen Kontext, in dem man sich bewegt. Neben Magnus Hirschfeld und Naomi Wilzig zeigen wir auch Ausstellungsstücke von Alfred Kinsey, einem Sexualwissenschaftler aus den USA. Hier wird klar, dass es uns in der Ausstellung auch um die Sammlungsmotivation dieser Menschen geht. Warum gerade `erotische Dinge?? Was finden wir in diesen Sammlungen an Ding-Typen und wie lassen sich diese klassifizieren? Das sind Dinge, die eine biomorphe Form haben, das sind Objekte in Form von K?rperteilen, Dinge mit Darstellungen von Sexakten oder auch Alltagsgegenst?nde, die zur eigenen oder gemeinschaftlichen Lusterzeugung genutzt werden. Damit sind nicht nur Sex-Toys gemeint, sondern auch zweckentfremdete oder fetischisierte Dinge.
Aber es muss doch auch eine biologische Komponente geben?
Hannes Hacke: Eine erotische Beziehung zu Dingen ist eine affektive Beziehung. Deshalb haben wir zum Beispiel eine interaktive Station des sensing materials lab in die Ausstellung integriert. Dies ist ein Gemeinschaftsprojekt der Wei?ensee Kunsthochschule Berlin, dem Bereich Experimentelle Materialforschung und der Stiftung Bauhaus Dessau. An dieser Station kann man hands on erkunden, welche unterschiedlichen Materialien eine erotische Qualit?t haben. Hier wird deutlich, dass bestimmte Materialien und Oberfl?chen wie Haar, Fell, Lack, Leder, Latex, Schleim etc. h?ufiger als andere erotisiert werden, wie zum Beispiel Wolle.
Es scheint, als befinde sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Erotik und Sexualit?t heute mehr denn je im Umbruch.
Hannes Hacke: Für Naomi Wilzig galt: Sexualit?t ist ein Menschenrecht und gerade deshalb muss das Thema enttabuisiert werden. Heute haben sich die Grenzen unserer Sensibilit?t verschoben. Das hat auch mit einer gr??eren Akzeptanz von verschiedenen Sexualit?ten zu tun, au?erdem schaffen neue Medien auch neue Reize.
Prof. Dr. Andreas Kra?: Nehmen wir das Beispiel des nackten Fu?kn?chels. Dieser galt über Jahrhunderte hinweg als Sinnbild skandal?ser Sexualmoral. Heute nehmen wir ihn nicht mehr als obsz?n wahr. Dafür die Aubergine, die vor hundert Jahren niemand mit Erotik in Verbindung gebracht h?tte.
Wieso Aubergine?
Weil sie als Emoji in der Online-Kommunikation als Code für den Penis fungiert. Wo verl?uft für die Gesellschaft die Grenze zwischen Erotik, Pornographie und Kunst? Der Aufkl?rungsprozess der Gesellschaft ist nicht eindimensional, sondern erstreckt sich über viele Darstellungsformen.
Inwieweit spielt Humor in ihrer Ausstellung eine Rolle?
Hannes Hacke: Wir haben uns dem Thema hier und da selbstverst?ndlich auch humorvoll gen?hert. Ein Beispiel ist eine Zuckerdose der Firma Kahla, die von Barbara Schmidt entworfen wurde. Ein scheinbar harmloses Alltagsobjekt, welches in den USA aufgrund seiner angeblich phallischen Form aber nicht vertrieben werden durfte. Wir haben sie in einer Art Peep-Show inszeniert, um die Absurdit?t dieser Tatsache hervorzuheben. Auch die Ausstellung von Alltagsgegenst?nden soll zum Schmunzeln anregen. Denn diese haben einen ganz unschuldigen, praktischen Zweck. Aber man k?nnte sie auch anders benutzen.
Die `Erotik der Dinge? ist also weniger skandal?s, als es der Titel auf den ersten Blick vermuten l?sst?
Prof. Dr. Andreas Kra?: Ich glaube, diesem Thema wird zu wenig zugetraut. Wann immer das Thema Geschlecht und Sexualit?t ins Spiel kommt, ist man als Person selbst komplett involviert, weil man sich stark darüber definiert. Man l?uft hier Gefahr, schnell weniger komplex zu denken. W?hrend man anderen 金贝棋牌 analytisch und distanziert begegnet, mischen sich in diesem Bereich schneller Scham und Angst mit ins Urteilsverm?gen. Aber gewiss ist: Wenn die HU eine Ausstellung zu diesem Thema macht, wird sie nicht zum Sündenbabel. Die Erotik der Dinge ist eine intellektuell wertvolle Auseinandersetzung mit dem Gegenstand. Keine Berührungs?ngste, bitte!
Das Interview führte Hannah Nieswand.
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Die Ausstellung ist noch bis zum 1. Oktober 2018 im Werkbundarchiv – Museum der Dinge zu sehen.