Brauchtum: Der Nikolaus – ein gütiger Heiliger für düstre Zeiten?
Am 6. Dezember erinnern wir an Nikolaus, einen Bischof, der im frühen 4. Jahrhundert in Myra (heute Kale/Demre, Türkei) gewirkt haben soll. Seine Reliquien werden in Bari aufbewahrt. Was wir über ihn erz?hlen k?nnen, entstammt weitgehend der Legenda Aurea, einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem 13. Jahrhundert. Historisch gesichertes Wissen über ihn gibt es kaum. Was diese Legenden aber erz?hlen, sind Geschichten von der Wahrheit eines anderen Lebens, eines gütigen Lebens, das den Bedr?ngten auf wundersame Weise zum Recht verhilft.?
Legend?re Wunder?
Nikolaus stammte aus reichem Haus, aber seine Eltern verstarben früh. Nichts konnte ihn über den Verlust hinwegtr?sten, nur wenn er von seinem Reichtum an die Armen der Stadt austeilte, wurde ihm leichter ums Herz. Sp?ter pilgerte er in das Land, aus dem Jesus stammte und wurde nach seiner Rückkehr nach Myra Bischof und wirkte legend?re Wunder. So soll er den Bewohnern der Stadt in einer Hungersnot durch die Umlenkung von Schiffen zu Nahrung verholfen haben.
Der Heilige Nikolaus von Myra verteilt Geschenke, Joseph Fratrel
(–1783), Feder in Braun und Aquarell, wei? geh?ht, auf Vergépapier,
?Verso Stempel des St?delschen Kunstinstituts, Frankfurt am Main
(Lugt 2356), Public Domain
Unschuldige rettet er vor dem Scharfrichter und einem verarmten Nachbarn, der für seine drei T?chter den damals üblichen Brautpreis nicht zahlen konnte und sie in die Zwangsprostitution schicken wollte, warf er im Schutz der Nacht Goldkugeln ins Haus, um die Situation zu deeskalieren. In manchen Kunstdarstellungen dieser ?Jungfrauenlegende“ wirkt es, als k?nne der Heilige fliegen, wie sp?ter Santa Claus, der mit einem fliegenden Schlitten über die D?cher schwebt und Gaben durch Schornsteine gleiten l?sst.
Ein besonders wachsames Auge soll Nikolaus für die N?te von Kindern gehabt haben. So hat er drei Schülern das Leben wieder geschenkt, die ein Gastwirt aus Habgier get?tet und gep?kelt hatte. ?
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Konkurrent im roten Kapuzenmantel
Bis heute gilt Nikolaus als Patron der Kinder und Schüler*innen. Seine P?dagogik gilt aber oft als eher dunkel, lautet seine Standardfrage meist: ?Wart ihr auch recht brav?“ Nur wer das bejahen kann, erh?lt von den K?stlichkeiten, die er in einem gro?en Sack mitbringt. Um ihn, den Gütigen, von dieser Strenge zu entlasten, hat man ihm Begleiter an die Seite gestellt. Der bekannteste ist Knecht Ruprecht, eine eher spr?de Figur, die dafür verantwortlich ist, die Kinder hart zu prüfen und mit der Rute zu strafen. Weil diese strenge P?dagogik in der Aufkl?rungszeit verp?nt wurde, erwuchs dem Nikolaus mit dem gutmütigen, pausb?ckigen, manchmal auch etwas tollpatschigen Weihnachtsmann im 19. Jahrhundert zudem ein Konkurrent. Der Weihnachtsmann ist quasi ein profaner, bürgerlicher Nikolaus, der einen roten Kapuzenmantel tr?gt, w?hrend der Nikolaus mit bisch?flichem Ornat, Mitra und Stab ausgestattet ist. Mit dem Export in den US-amerikanischen Bereich nahm die Karriere des Weihnachtsmannes an Fahrt auf, vor allem als er sich in den 1930ern mit Coca-Cola verband. In Santa Claus erwuchs dem Nikolaus zu dieser Zeit noch ein weiterer Verwandter, auch im roten Mantel, aber mit Zipfelmütze und Rentierschlitten.?
Globaler Heiliger
?Der bisch?fliche Nikolaus blieb in Erinnerung wegen seiner Güte und seines Mutes, die ihn immer wieder die bestehenden Verh?ltnisse umkehren lie?en. Das demonstriert auch die mittelalterliche Praxis der Kinderbisch?fe. Am 6. Dezember übernahmen in Klosterschulen, ganz im Sinne einer ?verkehrten Welt‘, Kinder die Leitung.?
Der Nikolaus ist ein ?kumenischer, wom?glich ein globaler Heiliger. Früh fand er seinen Platz in den ?stlichen und westlichen Heiligenkalendern. In einer Litanei aus Byzanz, die wohl um 1000 n. Chr. entstand, hei?t es: ?Der Okzident wie der Orient besingen und preisen ihn. Es gibt kein Volk, kein Land, keine Stadt, keinen Flecken, keine Insel, w?re sie selbst in den entferntesten Gebieten der Welt, wo man seinen Namen nicht verehrte“. Seine Wohltaten wie seine Güte würden von Christen und Nicht-Christen gleicherma?en verehrt. Das ist vielleicht gerade in düsteren Zeiten wie den gegenw?rtigen eine tr?stliche Botschaft – an den Nikolaus als Symbol der Güte und der Gro?zügigkeit, an die verbindende Kraft des Teilens und des Verzichtens, an himmlische Wunder für die Bedr?ngten und die Kinder erinnern sich alle Menschen gern und pflegen so die Hoffnung, dass eine andere Welt m?glich ist.?
Das Zitat stammt aus: Thomas Hauschild, Weihnachtsmann. Die wahre Geschichte, Frankfurt/Main 2012, 102.
Autorin: Prof. Dr. Ruth Conrad