Presseportal

Fisch, ich wei?, wo du gerade steckst

Das Leben der Fische ist geheimnisvoll. Bis vor kurzem war es technisch unm?glich, sie über l?ngere Zeitr?ume in Gew?ssern zu beobachten. In der Zeitschrift Science stellen Verhaltens?kologen unter Beteiligung von Forschenden des Leibniz-Instituts für Gew?sser?kologie und Binnenfischerei (IGB) und der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) nun Methoden vor, die hochaufl?sende Ortungs-Technologien mit Big-Data-Analysen kombinieren, um die Bewegungen von Fischen und anderen Tieren exakt nachzuvollziehen. Ein Team um Professor Robert Arlinghaus hat einen ganzen See in Brandenburg mit einem modernen Ortungs-System ausgestattet, das rund um die Uhr Einblicke in die Welt der Fische erm?glicht.

Empfangsstationen unter Wasser detektieren die Fischbewegungen.
Das Bild stammt von einer Forschungskooperation mit dem IMEDA
Institut in Mallorca. Foto:?Josep?Alós

Robert Arlinghaus, Professor für Integratives Fischereimanagement an der Humboldt-Universit?t zu Berlin (HU) und dem Leibniz-Institut für Gew?sser?kologie und Binnenfischerei (IGB), erforscht das Verhalten von Fischen, um das Management und den Schutz von Fischpopulationen zu verbessern. Sein Team hat in einem Brandenburger See das deutschlandweit einzige Ganzsee-Fischortungssystem installiert, das die Positionen aller markierten Fische alle paar Sekunden auf wenige Meter genau bestimmen kann. Und das, je nach Sendertyp und Laufzeit der Batterie, über mehrere Jahre und für zahlreiche Fischarten gleichzeitig. Der Forschungssee wird zum Aquarium.

Verhaltensstudien unter natürlichen Bedingungen in Seen und Flüssen sind selten, aber wichtig. Die meisten Untersuchungen finden im Labor statt oder basieren auf relativ grob gerasterten Positionierungen. ?Was die Fische genau den ganzen Tag machen, wie und mit wem sie interagieren, wie verschiedene Individuen auf Gefahr und neue Situationen reagieren, ist für die meisten natürlichen Gew?sser und Arten g?nzlich unbekannt. Wir kennen das Verhalten von L?wen, Schimpansen und Elefanten besser als das der heimischen Fische im Dorfteich“, erl?utert Robert Arlinghaus.

Der Fischerei?kologe brachte die Erkenntnisse aus dem Brandenburger Forschungssee als Koautor in eine aktuelle Science-?bersichtsstudie ein, in der ein internationales Team von Verhaltens?kologen und Statistikern den aktuellen Wissensstand zur hochaufl?senden Ortung von Wildtieren zusammengefasst. Die Autor:innen sprechen von einer regelrechten Revolution in der Erforschung von Tierbewegungen.

GPS versagt unter Wasser und kostet zu viel Energie

Einfach ist die Analyse der Fischbewegungen im Wasser n?mlich nicht. ?W?hrend die GPS-Technologie die Analyse der Landlebewesen insbesondere auf globaler Ebene erheblich vorangetrieben hat, gibt es für den Einsatz unter Wasser auf kleinen r?umlichen Skalen keine derart hochaufl?senden Methoden. Denn unterhalb der Wasseroberfl?che versagt die GPS-Ortung, sie kostet überdies zu viel Energie, sodass entweder nur grob gerasterte Lokalisationen m?glich sind oder die Sender zu gro? für die meisten heimischen Fische w?ren. Akustische Telemetrie mit Unterwasser-Hydrophonen war unsere L?sung", erkl?rt Prof. Dr. Thomas Klefoth von der 金贝棋牌 Bremen, der bereits als Doktorand im Team von Robert Arlinghaus an der Entwicklung und Installation des Ganzsee-Ortungssystems für Fische beteiligt war und auch als Koautor an der Studie mitgewirkt hat.

Einblicke wie in ein natürliches Aquarium

Die akustische Telemetrie, bei der ein Sender im Fisch Schallwellen aussendet, wurde mit einem Netz von Unterwasser-Empfangsstationen gekoppelt. Viele Jahre lang erzeugte diese Technologie jedoch nur sehr grobe Signale an weit verstreuten Empfangsstationen.??Wir haben die Zahl der Empf?nger im Wasser erh?ht und aus den minimalen Zeitunterschieden beim Eintreffen der Schallwellen an den Empfangsstationen die Positionen der Fische errechnet. Da die akustischen Sender im Unterschied zur GPS Technologie sehr energiesparend sind, konnten einzelne Fische über mehrere Jahre und mehrmals in der Minute mit extrem hoher Genauigkeit geortet werden. Fortschritte in der Elektrotechnik erm?glichen heute das Besendern von kleinen Fischen von 10 Zentimeter L?nge über viele Monate. Dadurch k?nnen soziale Netzwerke zwischen Fischen und andere Wechselbeziehungen nun sichtbar gemacht werden“, erg?nzt Robert Arlinghaus. Die Installation und Erhaltung einer solchen Ortungsanlage, oder gar die Replizierung über mehrere Gew?sser, ist aber technisch extrem aufw?ndig und teuer, daher gibt es derzeit auch nur eine Handvoll dieser Ganzseeprojekte weltweit.?

Soziale Karpfen und asoziale Hechte

Die neue Technik erlaubt ganz neue Einsichten in das Fischverhalten unter Wasser.??So zeigte die Analyse des Verhaltens einer Karpfenpopulation, dass die Fische gerne in Gruppen umherschwimmen und vor allem im Sommer soziale Netzwerke bilden, in denen einzelne Tiere, ?hnlich einer losen Freundschaft, wiederholt mit ganz bestimmten Artgenossen auf Nahrungssuche gehen. Im Winter l?sen sich diese stabilen Beziehungen auf. Zur ?berraschung der Forschenden schwammen die Karpfen dann in gr??eren Schw?rmen ?hnlich eines Heringsschwarms aktiv im Freiwasser umher. Bisher war man davon ausgegangen, dass Karpfen als w?rmeliebende Fische im Winter eine Art Winterschlaf halten und die tiefen Seeregionen aufsuchen. Im Unterschied dazu zeigten sich Hechte als isolierte Einzelg?nger. Kein Wunder, Kannibalismus ist bei Hechten weitverbreitet.?

Tiere mit Pers?nlichkeit: Ob schüchtern oder draufg?ngerisch zeigt sich schon beim Jungfisch?

Auch konnte die Existenz von Verhaltenstypen – sogenannten Pers?nlichkeiten – bei allen untersuchen Fischarten im See oder Küstenbereichen nachgewiesen werden. Damit sind Individuen der gleichen Art gemeint, die systematisch bestimmte Eigenschaften zeigen. Das Team von Robert Arlinghaus kombinierte Verhaltensdaten mit Daten zur Ern?hrung und Fortpflanzung. Dabei zeigte sich, dass Barsche, die in der Jugend schnell wuchsen, auch als ausgewachsene Fische ein anderes Fress-, Jagd- und Reproduktionsverhalten zeigten und dass Verhaltensmerkmale, Wachstum, Lebensgeschichte und Ern?hrung eng gekoppelt sind.

Effekte von Auswildern, Umweltver?nderungen oder Fischerei werden messbar

Neben der Grundlagenforschung sind die Erkenntnisse für den Natur- und Artenschutz relevant. ?Wir konnten feststellen, dass beim Angeln vor allem die vielschwimmenden Hechte selektiv entnommen werden. So entsteht eine Auslese auf schüchtere Fische. Zusammen mit Erkenntnissen über die Aktivit?tsr?ume der Fische, erlaubt die Ortung bessere Planung von Managementma?nahmen, wie die Ausdehnung von Schutzgebieten oder l?ngenbasierte Fangbeschr?nkungen“, erkl?rt Dr. Christopher Monk, Wissenschaftler am Institut für Meeresforschung in Norwegen, der über dieses Thema seine Doktorarbeit bei Robert Arlinghaus geschrieben hat.

In einer aktuellen Studie von Christopher Monk und Kollegen wurde die g?ngige Methode des Fischbesatzes zur Stabilisierung von Fischbest?nden nachgestellt. Es zeigte sich, dass sich ortsfremde Hechte, die in den Versuchssee ausgesetzt wurden, schlechter anpassten und weniger erfolgreich fortpflanzten. Eingesetzte Welse zeigten im Vergleich zu heimischen?Artgenossen über Monate unterschiedliches Verhalten. Fischbesatz ist also mitunter nicht erfolgreich und kann die Fischpopulationen sogar schw?chen.

Schüchternheitssyndrom: Fische lernen, die Angel zu meiden

Viele Fische kommen im Laufe ihres Lebens mit einem Angelhaken in Berührung, zum Beispiel wenn sie als junge, noch zu kleine Fische gefangen und dann wieder ins Wasser gesetzt werden. Beangelte Fische lernen aus ihren Erfahrungen: Sie gehen schlechter an die Angel und schwimmen weniger aktiv umher – ein Ph?nomen, das das Team um Robert Arlinghaus als ?Schüchternheitssyndrom" bezeichnet. ?Karpfen sind besonders lernf?hig. Angelversuche im Forschungssee belegten die rapide Abnahme der F?ngigkeit, obwohl sich die Karpfen durchaus in unmittelbarer N?he der Angelhaken aufgehalten hatten. Kameraaufnahmen zeigten, dass die Karpfen schnell lernten, zwischen K?dern mit und ohne Haken zu unterscheiden und die K?der mit Haken einfach ausspuckten.

Revolution in der Bewegungs?kologie

Hochaufgel?ste Ortungsverfahren werden nach Meinung des Autorenteams die Verhaltensforschung in der Natur erheblich verbessern, weil detaillierte Experimente m?glich sind und die Verhaltensantworten und das Leben von wildlebenden Tieren im Detail untersucht werden k?nnen. Dabei helfen internationale Netzwerke wie das European Tracking Network oder das Lake Telemetry Network. So lassen sich Beschr?nkungen, wie die nur regionale oder gew?sserbezogene Abdeckung mit Empfangsstationen, zum Teil überbrücken. Durch intelligente Kooperationen und l?ngerfristige Projekte lassen sich auf der Grundlage der modernen Ortungstechnologie die Auswirkungen von Umwelt- und Klimaver?nderungen auf die Fischwelt besser verstehen und auf dieser Basis der Natur- und Artenschutz voranbringen.?

Publikation

Nathan, N, Monk, C., Arlinghaus, R. et al. (2022): Big-data approaches enable increased understanding of animal movement ecology. Science, in press.

Link zur Publikation

Zur IGB-Forschungsgruppe Integratives Angelfischereimanagement:

Unsere Forschungsaktivit?ten sind auf die Erarbeitung von belastbaren Grundlagen zur nachhaltigen Bewirtschaftung von wildlebenden Fischbest?nden im Kontext der Angelfischerei in Binnengew?ssern ausgerichtet. Wir verfolgen einen inter- und transdisziplin?ren Forschungsansatz bei der Analyse der Angelfischerei als gekoppeltes sozial-?kologisches System. Wir bauen Brücken zwischen der Fischerei?kologie, der Fischverhaltens?kologie, der Fischereievolution und den angewandten Sozialwissenschaften. Neben der Fischpopulationsdynamik nehmen wir auch die Einstellungen und Verhaltensweisen der Angler und der Entscheidungstr?ger in Vereinen und Beh?rden in den Fokus. Unsere praxisorientierte Forschungsarbeit gründet auf theoretisch motivierten Analyserahmen und nutzt sowohl empirische als auch Modellierans?tze. Wir kooperieren mit vielf?ltigen Universit?ten und Arbeitsgruppen im In- und Ausland. Unsere Praxispartner umfassen Angelvereine, -verb?nde und die beh?rdliche Verwaltungspraxis sowie die Weltern?hrungsorganisation der Vereinten Nationen.