Co-Parenting: Familie gründen ohne Liebesbeziehung
Foto: Matthias Heyde
Zwei oder mehr Menschen gründen eine Familie, aber sind sich nicht in h?chstpers?nlicher Liebe verbunden. Dies wird als Co-Parenting bezeichnet und gewinnt seit einiger Zeit an Attraktivit?t. Co-Parenting kann einige Fallstricke des romantischen Liebesideals überwinden, führt aber nicht notwendigerweise zu einem Ende von Ungleichheiten. Dies ist das Ergebnis der kultur- und strukturtheoretischen Studie ?Co-Parenting und die Zukunft der Liebe“ anhand von Interviews, Literatur und anderem empirischem Material. Das von April 2019 bis M?rz 2020 laufende Projekt wurde von der Volkswagen-Stiftung gef?rdert und die Publikation vom Open Access Fonds der Humboldt-Universit?t zu Berlin unterstützt.
Ende der romantischen Liebe als Ende der Familie oder Befreiung?
Es gibt verschiedene Formen des Co-Parenting. So k?nnen zwei oder mehr Menschen gemeinsam eine Queer Family gründen. Oder Menschen, die keine dauerhafte Liebes-Paarbeziehung (mehr) eingehen wollen oder deren Partner*in keine Kinder haben m?chte, bekommen gemeinsam Kinder.
Kulturpessimistische Stimmen fürchten eine familiale Dystopie durch Co-Elternschaft. Die Elternform stellt das auf romantischer Liebe beruhende Modell der bürgerlichen Normalfamilie in Frage, das in der BRD insbesondere von den 1950er bis 1970er Jahren vorherrschte.
Genau hier setzt eine zentrale feministische Kritik an: Ist die romantische Liebe nicht nur ein sch?nes, aber unerfüllbares Ideal und eine machtvolle Erfindung des Bürgertums seit dem 18. Jahrhundert? Gerade für Frauen bedeutet/e romantische Liebe, institutionalisiert im Ern?hrermodell, oft wirtschaftliche Abh?ngigkeit und Ungleichheiten. Frauen wird hiernach die unbezahlte Fürsorgearbeit zugewiesen – verschleiert durch das zum Herrschaftsinstrument geratene romantische Liebesideal. Schlie?lich geh?rt zum romantischen Liebeskomplex auch die Butler’sche ?heterosexuelle Matrix“: Lebensformen jenseits der Hetero-Zweierbeziehung werden demnach abgewertet und ausgeschlossen.
Kinderwunsch und Kindeswohl im Co-Parenting
Fragt man nach den Beweggründen und Hoffnungen der Co-Eltern vor der Familiengründung, wird ein starker Kinderwunsch deutlich. Familie ist mit gro?en Glücksversprechen verbunden, die Eltern planen die Familiengründung genau und m?chten sich die Verantwortung teilen.
Hinsichtlich der Versprechen erlaubt es Co-Parenting mehr Menschen, eine Familie zu gründen. Es erm?glicht zudem Familienglück jenseits des Liebespaares und ohne Abh?ngigkeit von einem ?Ern?hrer-Ehemann“. Weiter kann die Beziehung zwischen den Eltern ohne romantische Ansprüche emotional entlastet werden und birgt weniger Konfliktpotential. Sehr auff?llig ist, dass sich in den Familien alles um das Kindeswohl dreht und alle ihre gro?e Liebe zum Kind betonen. Nicht zuletzt ergeben sich in Mehrelternfamilien Vorteile durch ?Bonuseltern“ und ?Bonusgro?eltern“.
Geschlechterungleichheiten und Abh?ngigkeiten auch bei Co-Parenting
Eine Herausforderung beim Co-Parenting sind die fehlenden Rollenvorbilder und Routinen. Vieles muss – auch mühsam – ausgehandelt werden. Besonders augenf?llig sind weiter bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern. Auch bei Co-Elternschaft wird die Sorgearbeit oft von Frauen* erledigt. Auch finden sich Benachteiligungen und Diskriminierungen, besonders in Mehrelternfamilien – denn rechtlich sind in Deutschland nur zwei Personen als Eltern m?glich.
Neben Co-Parenting und romantischer Liebe nennt die Studie m?gliche Alternativen und Szenarien zur Zukunft der Liebe: den Verzicht auf Kinder, konsensuell nichtmonogame Beziehungen, das Matriarchat oder Wahlverwandtschaften, Sorgegemeinschaften und freundschaftszentrierte Lebensweisen – und ein umfassendes Konzept von Liebe.
Publikation
Wimbauer, Christine (2021): Co-Parenting und die Zukunft der Liebe. ?ber post-romantische Elternschaft. Bielefeld: transcript. Link zur Studie?
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Prof. Dr. phil. Christine Wimbauer
Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftliche Fakult?t
Humoldt-Universit?t zu Berlin
Institutfür Sozialwissenschaften
Soziologie der Arbeit und der Geschlechterverh?ltnisse
Tel.: +49 30 2093 66513
christine.wimbauer@sowi.hu-berlin.de