?Die ?kologische Transformation wird keine harmonische Veranstaltung“
Am 3. M?rz 2023 hat die Klimaschutzbewegung Fridays for Future erneut zu einem globalen Klimastreik aufgerufen. Seit 2018 gehen vor allem junge Menschen regelm??ig freitags auf die Stra?e, um wirksamen Klimaschutz und die Einhaltung des Pariser Klimaschutzabkommens zu fordern. Inzwischen haben sich auch andere Gruppen formiert und nutzen drastischere Formen des Protests: Sie blockieren Stra?en und Flugh?fen oder greifen symbolisch wertvolle Gem?lde an. Die Auseinandersetzungen werden sch?rfer und intensiver.
Auf der einen Seite sitzen die Aktivisten, die sich auf die Stra?e kleben, um ihre Forderungen nach wirksamen und schnellen Klimaschutzma?nahmen durchzusetzen. Auf der anderen Seite stehen wütende Autofahrer und Politikerinnen und Politiker, die von ?Klimaterroristen“ sprechen. Der Sozialwissenschaftler Dr. Vincent August schaut sich solche Auseinandersetzungen aus der wissenschaftlichen Perspektive an. Seine Forschungsgruppe ??kologische Konflikte“ startet im Mai 2023 mit drei Promotionsstipendien.
Herr Dr. August, Sie erforschen das Konfliktgeschehen um ?kologische Fragen mit einer eigenen Arbeitsgruppe. Warum ist dieses Forschungsthema für Sie so interessant?? ??
Dr. Vincent August untersucht in einer Arbeitsgruppe
?kologische Konflikte. Foto: Falk Wei?
Dr. August: Die ?kologische Transformation ist der Schlüssel für gegenw?rtige und künftige Gesellschaften. Es wird mit zunehmender Sch?rfe darüber gestritten, welche Ver?nderungen notwendig sind und wie sie umgesetzt werden sollen. Die Sozialwissenschaften k?nnen und sollten auch dazu beitragen, diesen Transformationsprozess besser zu verstehen und zu begleiten. Dass uns ein Verst?ndnis für Konflikte fehlt, konnten wir gut in der Corona-Pandemie beobachten. Anfangs dachten viele, dass aus dieser fürchterlichen Situation eine solidarischere Gesellschaft entstehen k?nnte. Wenige Monate sp?ter waren sie massiv entt?uscht. Denn das ist nicht passiert. Stattdessen gab es scharfe Konflikte, wie es eben auch jetzt bei Klima- und Umweltschutzfragen zu beobachten ist. Uns fehlt bisher noch das Verst?ndnis dafür, wie diese Konfliktprozesse ablaufen.
Um welche Fragen geht es dabei?
Das gro?e Thema ist, wie in den ?kologischen Konflikten unserer Zeit die Konturen der kommenden Gesellschaft ausgehandelt werden. Das schauen wir uns auf drei Ebenen an. Die Institutionenebene umfasst Fragen wie: Wer oder was soll politisch und rechtlich repr?sentiert werden? Sollen zukünftige Generationen im politischen Prozess fest institutionalisiert eingebunden werden? Sollen Flüsse oder Berge eigene Rechte bekommen? Auf Ebene der sozialen Gruppen untersuchen wir, welche Akteure sich gegenüberstehen, welche Gruppen sich neu bilden, was ihre Ziele sind. Prominentes Beispiel ist hier natürlich Fridays for Future, die beanspruchen, für die ?zukünftige Generation“ zu sprechen. Uns interessiert, wann und von wem diese Gruppen als Repr?sentanten anerkannt und akzeptiert werden. Und drittens untersuchen wir, wie die Konflikte ausgetragen werden. Welche Dynamiken beobachten wir? Welche Erinnerungen – Stichwort ?Grüne RAF“ – werden aufgerufen, um die eigenen Ziele zu erreichen? Was wird als legitim betrachtet?
Wie untersuchen Sie diese Fragen?
Wir haben die schon erw?hnten drei Forschungsebenen, die wir auf drei verschiedene Konfliktgeschehen anwenden: Den von der Kohlekommission erarbeiteten Weg zum Kohleausstieg und daraus entstehende Konflikte wie etwa die Proteste in Lützerath, das sogenannte Klimaurteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Regierung mit Blick auf zukünftige Generationen zu mehr Anstrengungen im Klimaschutz verpflichtet, und Konflikte um die kommende Weltklimakonferenz. Diese F?lle untersuchen wir genauer und analysieren dafür Diskurse und Netzwerke, schauen uns die Berichterstattungen, Flyer, Videos und Protestaufrufe an, beobachten Proteste vor Ort und führen Interviews.
Wie unterscheiden sich die von Ihnen betrachteten ?kologischen Konflikte von anderen Konflikten?
Grunds?tzlich haben wir es derzeit mit einer ganzen Reihe von Konflikten zu tun, in denen die moderne Gesellschaft mit den Folgesch?den ihres eigenen Handelns konfrontiert wird. Wir haben eine koloniale und patriarchale Vergangenheit und erleben heute harte Konflikte um Gleichstellung, Migration oder Rassismus. Die moderne Gesellschaft hat aber auch industrielle Wurzeln und kommt nun an die materiellen Grenzen ihrer Wirtschaftsweise. Unsere Art der Ressourcennutzung kann für die Zivilisation, wie wir sie kennen, gef?hrlich werden – darüber ist sich die Wissenschaft sehr klar. Nun kommen pl?tzlich einige gut etablierte soziale Gruppen und Organisationen der industriellen Moderne unter einen Rechtfertigungsdruck, den sie vorher so nicht kannten. Das betrifft natürlich Industrieverb?nde, Unternehmen, aber auch Gewerkschaften, die emotional die Kohlekumpel hochhalten. Was über lange Zeit als gut und richtig galt, was man auch in Erz?hlungen und Symbolen verdichtet wiederfindet, das wird infrage gestellt und umgewertet. Das führt zu scharfen Reaktionen, weil man sich angegriffen fühlt. Auf der anderen Seite entstehen neue Solidargruppen, die Anspruch auf einen bestimmten Strukturwandel erheben. In den aktuellen Umweltkonflikten geht es nicht mehr um enge Sachfragen, sondern es geht ums Ganze, um den Status und die Institutionenordnung der Gesellschaft. Das l?sst niemanden kalt.
Welche Akteure treffen in den Auseinandersetzungen aufeinander und wie setzen sie ihre jeweiligen Standpunkte durch?

Die Forschungsgruppe ??kologische Konflikte“ untersucht unter anderem,
welche Akteure sich mit welchen Zielen beteiligen. Foto: Falk Wei?
Das wollen wir natürlich untersuchen, aber was wir bereits beobachten ist: Wir haben die Klimabewegung, die sehr heterogen ist, aber insgesamt auf eine gewisse Eskalation setzt. Das macht jede Protestbewegung so und das muss sie auch, denn sonst geht das Thema unter und verschwindet von der Agenda. Sehr erfolgreiche Massenproteste, wie wir sie vor Corona mit Fridays for Future erlebt haben, lassen sich selten über einen langen Zeitraum mit der gleichen Intensit?t aufrechterhalten. Dann braucht man eine andere Organisations- und Aktionsform, die auf kleinere, koh?sivere Gruppen und aufmerksamkeitsorientierte Aktionen setzt, so wie es die Letzte Generation tut. Auf der anderen Seite nutzen eher konservative Politikerinnen und Politiker, aber auch Medien, ebenfalls Eskalationsstrategien.
Sie bezeichnen die Aktiven als ?Klimachaoten“, rücken sie sogar in die N?he des Faschismus oder warnen vor einer ?grünen RAF“. Das Ziel ist auch hier, den Konflikt zu versch?rfen, dabei aber den Diskurs weg vom Klimawandel hin zu einer vermeintlichen Bedrohung der guten Ordnung zu verschieben. Man kann sich dann als Repr?sentant dieser guten Ordnung positionieren.
Und dann haben wir noch eine dritte Gruppe, die überhaupt nicht daran interessiert ist, dass der Konflikt eskaliert und thematisiert wird. Das sind Akteure der industriellen Moderne wie etwa Kohle- und ?lunternehmen. Diese Gruppe schweigt am liebsten dazu. Alternativ kommuniziert sie so, dass der Diskurs weg vom Klimawandel hin zu Sicherheitsthemen geschoben wird, wo mit mehr Unterstützung zu rechnen ist. Das konnte man auch an RWE beim Lützerath-Protest gut beobachten. Und diese Gruppe f?hrt Desinformationskampagnen. Wir wissen ja schon l?nger, dass etwa ExxonMobil bereits in den 1970er Jahren von der Erderw?rmung durch Treibhausgasemissionen wussten, und sp?testens seit diesem Jahr wissen wir auch, dass die errechneten Prognosen sehr genau waren. ?ffentlich wurde das aber sehr lange geleugnet und Zweifel gestreut.
Erwarten Sie, dass sich Bewegungen wie die ?Letzte Generation“ oder ?Extinction Rebellion“ weiter radikalisieren werden und dass es zu Gewalt kommt?
Man muss zun?chst einmal dieses ?weiter“ hinterfragen. Denn von einer Radikalisierung kann hier eigentlich noch keine Rede sein. Es wird die Polizei informiert, wenn Klebeaktionen geplant sind, es werden Gem?lde mit Suppe beworfen, die durch eine Glasscheibe geschützt sind. Das sind keine Merkmale einer Radikalisierung. Es handelt sich auch im Vergleich mit anderen Protesten um eher moderate Formen. Man kann schwer sagen, was zukünftig passieren wird, weil Konflikte mit Ungewissheiten aufseiten der Akteure einhergehen, die neue Dynamiken ausl?sen k?nnen. Mit aller Vorsicht erwarte ich aber keine Radikalisierung im starken Sinn. Wir haben es nicht mit einer revolution?ren Bewegung zu tun, die auf den Umsturz des politischen Systems setzen würde.
Gibt es Gefahren für unsere Demokratie bei zunehmenden Konflikten um ?kologische Fragen?
Konflikte – auch wenn sie sehr intensiv ausgetragen werden – sind erst einmal nicht grunds?tzlich gef?hrlich. Es werden die Konturen der kommenden Gesellschaft neu ausgehandelt. Der Begriff ?Aushandlung“ klingt sehr harmonisch, aber von dieser Vorstellung müssen wir uns verabschieden. Das wird es ganz klar nicht werden. Wir werden scharfe, langanhaltende Konflikte sehen, mit parallelen Dynamiken auf emotionaler, sozialer und sachlicher Ebene. Es gibt hier noch keine ritualisierten Regelungen wie etwa bei Tarifverhandlungen. Aber dass Konflikte intensiver werden, hei?t nicht, dass wir eine Spaltung der Gesellschaft haben.
Eine Polarisierung der Gesellschaft ist aus den Daten, die wir dazu auch hier am Institut haben, nicht zu erkennen. Wir sehen keine Lagerbildung mit zwei sich gegenüberstehenden Positionen, sondern wir haben viele heterogene, gem??igte Positionen und sich kreuzende Konfliktlinien. Die Rede von der Polarisierung verdeckt, dass mit Konflikten auch eine andere ?Gefahr“ einhergeht, n?mlich die einer Ernüchterung und Abwendung von der Politik, weil es ihr nicht gelingt, den Konflikt in L?sungsans?tze zu kanalisieren. Die Gefahr liegt dann eher darin, dass wir es nicht schaffen, den Klimawandel abzubremsen und uns auf die Folgen vorzubereiten.
Sehen Sie in diesen Konflikten auch Chancen für unsere Demokratie?
Konflikte haben h?ufig sehr produktive Folgen für eine Gesellschaft. Erstens sind sie ganz oft Frühwarnsysteme für Probleme, zweitens generieren sie unterschiedliche Alternativen und L?sungsans?tze. Und drittens bef?rdern sie oft Integration und Teilhabe. Bei den ?kologischen Konflikten sehe ich die gro?e Chance, dass wir uns ernsthaft mit dem Thema besch?ftigen müssen. Wie l?sen wir die Probleme, die mit Klimawandel und Biodiversit?tsverlust auf uns zukommen? Was müssen wir dafür umstellen und wie tief müssen wir in die gesellschaftlichen Routinen eingreifen? Das ist bisher offensichtlich noch nicht hinreichend geschehen. Die ?kologischen Herausforderungen konfrontieren unsere Gesellschaft mit sich selbst, mit unangenehmen Folgen ihres eigenen Handelns, die auch die eigenen Erfolgsgeschichten infrage stellen. Das ist nie einfach. Aber ohne die Konflikte wird es auch keine Antwort auf die Herausforderungen geben.
Die Forschungsgruppe ??kologische Konflikte“ wird von Dr. Vincent August von der Humboldt-Universit?t zu Berlin und von Prof. Dr. André Brodocz von der Universit?t Erfurt geleitet. Sie wird von der Gerda-Henkel-Stiftung mit rund 240.000 Euro gef?rdert.
Das Interview führte Heike Kampe.