?Die Geisteswissenschaften tragen entscheidend zum Renommee der Humboldt-Universit?t bei“
Die Kunsthistorikerin Eva Ehninger und die Sozialanthropologin Sharon Macdonald leiten das K?te Hamburger Kolleg ?Heritage in Transformation“ (InHerit) an der Humboldt-Universit?t, das kürzlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung bewilligt und ab 2024 gef?rdert wird.
Mit ?InHerit“ stellen sie die Vorstellung von Geschichte, die man passiv ?erbt“, und die eindeutig bestimmt, wohin man geh?rt, auf den Kopf. Sie verstehen Heritage als eine Aktivit?t, die unterschiedlichste Prozesse und Akteure an weit verstreuten Orten einschlie?t, und die dem st?ndigen Wandel unterliegt. Im Interview berichten die Forscherinnen, über den Antragsprozess, Inhaltliches und die Bedeutung der Geisteswissenschaften. ?
Frau Ehninger, Frau Macdonald, Sie haben kürzlich den Zuschlag für das K?te Hamburger Kolleg ?Heritage in Transformation“ (InHerit) bekommen, das 2024 beginnen wird. Erst einmal herzlichen Glückwunsch! Waren Sie überrascht über den Erfolg?
Macdonald: Wir wussten, dass der Wettbewerb sehr hart ist, und es ist immer am besten, wenn man nicht erwartet, erfolgreich zu sein, dann kann man positiv überrascht werden! Wahrscheinlich haben sich fast alle Universit?ten in Deutschland mit einem oder zwei Vorschl?gen beworben, und wir wussten, dass nur sehr wenige Kollegs vergeben werden würden – in dieser F?rderrunde waren es zwei. Insofern waren wir überrascht. Aber wir waren gleichzeitig überzeugt von unserer Idee und unserer Bewerbung und fanden, dass sie eine F?rderung auf jeden Fall verdient h?tte. Insbesondere, da im Bereich der Heritage-Forschung kein Vorhaben mit ?hnlichem Umfang existiert.
Für alle, die solche Antr?ge nicht stellen, wie kann man sich den Arbeitsprozess hinter dem Antrag vorstellen? Wie beginnt so ein Antrag, wie ist der Prozess und wie integriert man ihn in die t?gliche Arbeit?
Ehninger: In diesem Fall war der erste Schritt eine Skizze, die wir im Januar 2022 eingereicht haben. Obwohl sie ziemlich kurz war, steckte viel Arbeit darin, aber auch Spa? – vor allem unsere regelm??igen Gespr?che und das gemeinsame Ausarbeiten der Ideen haben uns viel Freude gemacht. Dann wurden wir eingeladen, im April 2022 eine Pr?sentation zu halten. Die Vorbereitungszeit dafür war sehr knapp bemessen und der Termin ungünstig, da er direkt nach den Osterferien auf dem ersten Tag des Sommersemesters lag. Insgesamt war das BMBF nicht sehr familienfreundlich in seiner Planung. Im n?chsten Schritt mussten wir bis zum 15. August einen Vollantrag erstellen. Nach einem arbeitsreichen Semester und mehreren Konferenzreisen waren wir damit w?hrend unserer Sommerferien besch?ftigt, in unz?hligen Zoom-Calls zwischen Berlin, der Toskana und Irland. Der letzte Schritt war schlie?lich die ?berarbeitung des Vollantrags auf der Grundlage der ?nderungswünsche des BMBF im Oktober 2022 – wieder mit knapper Deadline und wieder in den Herbstferien. Ende Dezember haben wir dann den ersehnten Bescheid erhalten, ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.
Macdonald: Wir haben insgesamt anderthalb Jahre an der Beantragung gearbeitet und den Antrag neben unseren weiteren Verpflichtungen konsequent weiterentwickelt. Es gab sehr intensive Arbeitsphasen und wir hatten das gro?e Glück, von Dr. Irene Hilden, meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, unterstützt zu werden. Ihre Hilfe insbesondere bei der Eingabe der Antragsdaten in die komplizierte und launische Maske des BMBF war absolut entscheidend. Wir alle haben uns dieses Jahr einen gro?en Urlaub verdient!
Zum Inhaltlichen. Im Kolleg geht es um ?Heritage“, unser kulturelles Erbe, aber nicht nur. An welchen Fragen werden Sie und Ihre Kolleg:innen konkret forschen???
Ehninger: Wir verstehen Heritage nicht lediglich als ?unser kulturelles Erbe‘. Stattdessen nehmen wir ?Heritage‘ als Ausgangspunkt, um über derartige Fragen von Identit?t und Differenz, Zugeh?rigkeit und Eigentum nachzudenken. Darüber hinaus beziehen wir das ?natürliche“, ?intellektuelle“ oder ?genetische“ Erbe in unsere Forschung ein und m?chten die Wechselwirkungen dieser unterschiedlichen Facetten erforschen. Wir untersuchen die sozialen, politischen, kulturellen, juristischen, technischen, ?konomischen und ?kologischen Prozesse, denen Heritage unterworfen ist.
Macdonald: Als Aktivit?t verstanden schlie?t ?Heritage“ unterschiedlichste Prozesse und Akteure an weit verstreuten Orten ein. Entsprechend werden die spezifischen fachlichen und geographischen Expertisen und unterschiedlichen Heritage-Konzepte der internationalen Fellows die Grundlage unserer Forschung bilden. Zugleich würden wir uns sehr freuen, Kolleg:innen, die in diesem Bereich forschen, in die Kollegarbeit einzubinden und so einen lebendigen Ort des wissenschaftlichen Austauschs an der Humboldt-Universit?t zu schaffen.
Das Kolleg erh?lt rund acht Millionen Euro für vier Jahre. Wie setzen Sie das Geld ein?
Macdonald: Die Zuwendung betr?gt 8,5 Millionen Euro für vier Jahre. Wir haben zudem die M?glichkeit, uns zweimal um eine jeweils vierj?hrige Verl?ngerung des F?rderzeitraums zu bewerben. Der gr??te Teil der F?rdersumme flie?t in die Bezahlung des Kernteams bestehend aus Forscher:innen und einem administrativen Stab, sowie in die Finanzierung des Fellow-Programms für zehn bis fünfzehn internationale Fellows pro Jahr. Au?erdem werden Mittel für Forschungsreisen, wissenschaftliche 金贝棋牌 sowie die Entwicklung neuer Formate für die künstlerische Forschung und den Wissensaustausch bereitgestellt.
Drittmittel sind nicht immer nur ein Segen. H?ufig bringen sie nicht nur zus?tzliches Geld, sondern auch Kosten, wenn die Zuschüsse nicht die realen Kosten abdecken. Steigende Raummieten, Geh?lter oder Energiekosten erfordern h?ufig Ressourcen aus dem Grundetat der 金贝棋牌n. Macht Ihnen das Sorgen?
Ehninger: Wir haben diese Fragen sorgf?ltig mit dem Servicezentrum Forschung, dem Vizepr?sidenten für Forschung und unseren Fakult?ten besprochen, bevor wir den Antrag gestellt haben, so dass hoffentlich alle Kosten abgedeckt sind. Glücklicherweise gibt es in diesem Fall eine Projektpauschale von 20 Prozent der F?rdersumme – über 1,4 Millionen Euro über den vierj?hrigen F?rderzeitraum hinweg. Natürlich machen uns die steigenden Preise Sorgen, aber sie sind ja nicht projektspezifisch, sondern grunds?tzlich ein Problem für die Universit?t, das hoffentlich auf politischer Ebene angemessen adressiert wird.
Mit den K?te Hamburger Kollegs wird interdisziplin?re geistes- und sozialwissenschaftliche Spitzenforschung in neuen, nicht allt?glichen Zusammenh?ngen gef?rdert. Die geistes- und sozialwissenschaftlichen F?cher waren in der Vergangenheit immer wieder einem Legitimationsdruck ausgesetzt. Helfen solche Programme, den Ruf der Geistes- und Sozialwissenschaften zu verbessern?
Macdonald: Wir sind ganz im Gegenteil davon überzeugt, dass die Geisteswissenschaften einen hervorragenden Ruf haben und entscheidend zum internationalen Renommee der Humboldt- Universit?t beitragen! Vor dem Hintergrund aktueller global-gesellschaftlicher und ?kologischer Umw?lzungsprozesse dürfte zudem niemandem entgangen sein, wie wichtig die kritische, transdisziplin?r orientierte und transkulturell informierte Reflexion von Geschichts- und Wirklichkeitskonstruktionen ebenso wie von Konzepten wie Identit?t, Erbe, Kultur oder Natur ist. Sicherlich hilft das Format des K?te Hamburger Kollegs aber, der traditionell starken Forschung zur Erinnerungskultur an der Humboldt-Universit?t und in Deutschland insgesamt zu mehr Sichtbarkeit im internationalen Forschungskontext ebenso wie in der Gesellschaft zu verhelfen. Das Thema Heritage wird intensiv von der ?ffentlichkeit begleitet. Es ist relevant, anschlussf?hig und erlaubt den lebendigen Austausch über grundlegende und hochaktuelle gesellschaftliche Transformationsprozesse. Dieser Tatsache wollen wir Rechnung tragen, indem wir innovative?künstlerische und kuratorische Formate?in die Kollegarbeit einbinden, die auch die interessierte ?ffentlichkeit ansprechen werden.?
Die Fragen stellte Ljiljana Nikolic.