Theoretische Biologie deckt neuen Mechanismus der Flugsteuerung in Fruchtfliegen auf

?Fruchtfliege im Flug. Foto:?Silvan Hürkey
Um ihren kleinen K?rper zum Abheben zu bringen und in der Luft zu halten, müssen Fruchtfliegen extrem schnell mit ihren Flügeln schlagen. Dabei bedienen sie sich eines im Tierreich weit verbreiteten Tricks: die Nervenzellen halten nicht mit dem Tempo der Flügel mit, sondern jede Nervenzelle erzeugt nur etwa jeden zwanzigsten Flügelschlag einen elektrischen Puls, mit dem die Flugmuskeln angesteuert werden. Dieser Puls ist jedoch pr?zise auf das Zusammenspiel mit anderen Nervenzellen abgestimmt. In einem kleinen Schaltkreis aus wenigen Nervenzellen werden dabei besondere Aktivit?tsmuster generiert: jede Zelle feuert zwar regelm??ig Pulse, jedoch nicht zeitgleich zu den anderen Zellen, sondern in festen zeitlichen Abst?nden zueinander.
In der Fruchtfliege sind solche Aktivit?tsmuster bereits seit den 70er Jahren bekannt. Ihr Entstehen wurde bislang auf eine Verschaltung der Nervenzellen mittels chemischer Synapsen zurückgeführt. Es wurde angenommen, dass auf Pulse hin hemmende Botenstoffe zwischen Nervenzellen ausgeschüttet werden und die Zellen sich so gegenseitig an der zeitgleichen Erzeugung von Pulsen hindern. Mittels mathematischer Analysen konnte das Team um Prof. Susanne Schreiber nun allerdings zeigen, dass eine solche puls-verteilte Aktivit?t auch auftreten kann, wenn die Nervenzellen nicht chemisch, sondern direkt elektrisch – also ohne den Einsatz von Botenstoffen - verschaltet sind. Die Zellen müssen dabei eine besondere Art von Puls erzeugen, bei dem sie sich gegenseitig sehr gut ?zuh?ren“ - insbesondere dann, wenn sie selbst gerade aktiv waren. Bei ?normalen“ Pulsen ist dies nicht der Fall und daher ist dann bei rein elektrischer ?bertragung auch keine puls-verteilte Aktivit?t zu erwarten.
Experimentelle Nachweise für die von den Berliner Forschenden vorhergesagte Art der Pulserzeugung wurden in der Arbeitsgruppe von Prof. Carsten Duch erbracht. Die Mainzer Wissenschaftler:innen verst?rkten oder schw?chten bestimmte Ionenstr?me in den Zellen der Fruchtfliege, um die Art der Pulse zu ver?ndern. Sie konnten zeigen, dass dadurch die Aktivit?tsmuster im Flugschaltkreis – genau wie im mathematischen Modell vorausgesagt – beeinflusst wurden. Zudem wiesen sie nach, dass die Verschaltung der Zellen tats?chlich elektrisch erfolgt und auch eine St?rung dieser Kopplung die erwarteten Auswirkungen auf Aktivit?tsmuster und Flügelschlag der Tiere hat.
Der Befund des Berlin-Mainzer Teams ist besonders überraschend, da man bisher davon ausging, dass eine elektrische Verschaltung dazu dient, die zeitgleiche Aktivit?t von Nervenzellen zu f?rdern. Die mittels elektrischer Synapsen erzeugten Aktivit?tsmuster zeigen?
neue Prinzipien der Informationsverarbeitung in Nervensystemen auf. Der gleiche Mechanismus k?nnte nicht nur bei Tausenden anderen Insektenarten, sondern auch im menschlichen Gehirn zum Einsatz kommen, wo die Funktion von elektrischer Verschaltung noch weitgehend unverstanden ist.
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Publikation
Hürkey S*, Niemeyer N*, Schleimer J-H, Ryglewski S, Schreiber S#, Duch C# (2023): Gap junctions desynchronize a neural circuit to stabilize insect flight. Nature. https://doi.org/10.1038/s41586-023-06099-0
*Equal contribution. #Shared corresponding authors.
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Bild
Fruchtfliege im Flug, Copyright: Silvan Hürkey
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Dr. Jan-Hendrik Schleimer
Tel.: 030 2093-98407
E-Mail: jh.schleimer@hu-berlin.de
Nelson Niemeyer
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Prof. Dr. Susanne Schreiber
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