?Auf beiden Seiten gab es viele Ungleichheitserfahrungen“

Daniel Kubiak und ?zgür ?zvatan,?Foto: Stefan Klenke
Wie kam es zu dem Podcast? Was war Ihre Motivation?
Daniel Kubiak: Wir sind beide schon relativ lange Kollegen hier am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM), und in unseren Dissertationen haben wir uns beide mit Fragen von Zugeh?rigkeit auseinandergesetzt. Da haben wir immer wieder diskutiert: Was sind eigentlich unsere Gemeinsamkeiten? Was haben wir für ?hnliche Erfahrungen gemacht? Wir sind beide in Berlin geboren und zw?lf Kilometer Luftlinie voneinander entfernt aufgewachsen, haben aber doch oft ganz unterschiedliche Geschichten in Berlin erlebt. Da haben wir gedacht, ja, lass uns das im Podcast erz?hlen, wo wir diese drei Erfahrungen – also ostdeutsch sein, Migrationsgeschichte in West-Berlin haben, in Berlin aufwachsen – mal zusammenbringen.
Was verbindet ostdeutsche und westdeutsche migrantische Erfahrung – worin besteht das Trennende?
?zgür ?zvatan: Uns hat die Mauer getrennt - eindeutig, die Mauer erst mal als physische Mauer und sp?ter eben als ?Mauer in den K?pfen“, die dann auch ihre Kontinuit?t hatte. Wir sprechen in dem Podcast auch über Konflikte, über migrantische Aversionen gegenüber Ostdeutschen. Damals war das ein g?ngiger Begriff. Hass und Hetze in Ostdeutschland gegenüber Migrantinnen, Rassismus, all das sind natürlich trennende Erfahrungen. Aber eigentlich sind die Erfahrungen doch ziemlich ?hnlich, n?mlich, dass da auf beiden Seiten viele Ungleichheitserfahrungen gemacht wurden. Die sind nicht gleichzusetzen. Aber sie k?nnen beieinander andocken. Das ist, glaube ich, ganz zentral für ost-migrantische Analogien.
Daniel Kubiak: Zum Beispiel gibt es diese gemeinsame Erfahrung im Studium an der Humboldt-Universit?t: auf Professor:innen zu treffen, die nicht die ostdeutsche Geschichte in ihrer Biografie tragen und auch keine Migrationsgeschichte. Diese 金贝棋牌 kamen auch in der Lehre sehr selten vor. Ich wei? noch ganz genau, als ich im sechsten Studienjahr, das war 2009, zum ersten Mal ein Seminar zu Ostdeutschland besucht habe. Und dieses Seminar zu Ostdeutschland ist damals von Hildegard Maria Nickel, der einzigen Ostdeutschen und auch der einzigen Frau am Institut für Sozialwissenschaften angeboten worden. Das kommt nicht von ungef?hr. Die Seminare, die sich heute am Institut für Sozialwissenschaften mit Ostdeutschland besch?ftigen, die kommen entweder von mir oder von Steffen Mau, der ebenfalls in Ostdeutschland aufgewachsen ist. Da merkt man, dass die eigene Biographie und die eigenen Erfahrungen sich durchaus in den 金贝棋牌 niederschlagen, die man lehrt und zu denen man forscht.
Für Ihre Forschung, Herr ?zvatan, spielt die Erz?hltheorie eine wichtige Rolle. Sind sie deshalb auf das Medium Podcast gekommen?
?zgür ?zvatan: Wir haben gar nicht so viel drüber gesprochen, warum wir dieses Format des gegenseitigen Erz?hlens w?hlen. Das hat sich, glaube ich, organisch entwickelt, weil wir uns im Büro st?ndig gegenseitig ost-migrantische Geschichten erz?hlen. Der Podcast war eine aufgezeichnete Weiterführung unserer Gespr?che im Büro, jedenfalls sind die ersten sechs Folgen so entstanden. Menschen ?ffnen sich für Lernprozesse erst, das sagt die Erz?hltheorie, wenn sie irritiert werden, wenn sie merken, dass etwas so wie es bisher war, nicht funktioniert. Durch erz?hlerische Irritation k?nnen sie sich von Positionen distanzieren, die sie vorher hatten: Dann schmunzel‘ ich über mein eigenes Verhalten von vor zwei Wochen und sage, wie bl?d war ich denn zu glauben, dass das so funktionieren würde? Und diese Irritation, die entsteht tats?chlich nur, wenn diese unsichtbaren Geschichten sichtbar werden, und wenn ich mir die Zeit nehmen kann, auch die Komplexit?t dieser Geschichte zu verstehen. Und das k?nnen Podcasts leisten, weil sie den Raum dafür haben.
Es geht also darum, die ?ffentlichkeit zu irritieren.
?zgür ?zvatan: Ja, absolut.
In den seit August entstandenen Folgen des Podcasts sprechen Sie nicht nur über sich, sie sprechen auch mit G?sten.
Daniel Kubiak: Ja, und Aline Abboud, unser erster Gast, ist sozusagen das Paradebeispiel. Vater aus dem Libanon, Mutter aus der DDR. Aufgewachsen in Pankow. Sie vereint in ihrer Biographie alles, was unseren Podcast ausmacht: Berlin, migrantisch und ostdeutsch. Aber in der Erz?hlung des Antagonismus würde ihre Biografie gar nicht existieren, weil Ostdeutschland als Raum ohne Migration erz?hlt wird. Oder Martin Gerlach, der sich als ?Wossi“ bezeichnet, weil er zwar im vielf?ltigen Kreuzberg aufw?chst, aber auch regelm??ig seine Verwandten in Rangsdorf in der DDR besucht. Diese facettenreichen Geschichten aus Berlin müssen erz?hlt werden.
?zgür ?zvatan: Vielleicht eine Sache noch, weil wir gerade über Irritationen gesprochen haben: Allein die Message rauszugeben, Ostdeutsche und migrantische Menschen sind ?hnlich schlecht repr?sentiert in allen Elite-Sektoren. Full stop. Allein diese Message irritiert Menschen schon, weil sie wom?glich dachten, oh ja, auf die Migranten trifft das vielleicht zu, aber doch nicht auf die Ostdeutschen. Oder anders herum. Und genau diese Irritation ist der Startschuss für die Bereitschaft offen zuzuh?ren, wie das sein kann und was es bedeutet. Die biographischen Geschichten führen dann in die Komplexit?t hinter diese Erkenntnis über Repr?sentationslücken ein. Wir versuchen also Lernprozesse bei unseren Zuh?rer:innen anzuregen – verstehen uns also durchaus als Servicepodcast der politischen Bildung für eine Gesellschaft, die ihre liberal-demokratischen Pr?missen ernster nimmt.
Wie geht es weiter mit dem Podcast?
Daniel Kubiak: Wir haben angefangen die zweite Staffel zu produzieren. Unsere G?ste sind auch wieder Leute aus Berlin und der Anspruch ist, dass sie aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen wie Medien, Politik und Zivilgesellschaft kommen. Zum Beispiel die Schauspielerin Laura Kiehne aus der Serie Babylon Berlin, die Politikerin und Autorin Sawsan Chebli oder der Ostberliner Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, der auch ukrainische Wurzeln hat.
Die Fragen stellte Kristina Vaillant.
Weitere 金贝棋牌
Zum Podcast B.O.M. – Berlin.Ost.Migrantisch
?
?
?