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Begeisterter und Getriebener: Schliemann als Medienstar

Der Kaufmann und Arch?ologe Heinrich Schliemann (1822–1890) jagte dem Homermythos hinterher, um Troja zu finden. Er selbst sorgte dafür, seine Grabungen und Funde in der ?ffentlichkeit wahrgenommen wurden. Eine Ausstellung im Lichthof-Ost der Humboldt-Universit?t wirft deshalb einen Blick auf die mediale Selbstinszenierung dieses ambivalenten Charakters. Claudia Tiersch, Professorin für Alte Geschichte an der Humboldt-Universit?t zu Berlin, hat die Schau gemeinsam mit Studierenden gestaltet.

Frau Tiersch, was macht den Medienstar Schliemann aus? Wie hat er sich inszeniert?

Prof. Dr. Claudia Tiersch:?Zum einen hatte er ein starkes Interesse daran, seine Resultate mit anderen zu teilen. Er wollte nicht im stillen K?mmerlein bleiben, sondern etwas Spektakul?res leisten. Ein Stück weit ist er wohl mit den homerischen Heroen, denen er hinterhergrub, mental verwandt. Er war als Kaufmann sehr reich geworden, aber stellte an einem bestimmten Punkt seines Lebens fest: Das genügt nicht mehr. Japan, China und Kalifornien hatte er bereist und lange in Russland gelebt. In die griechische Kultur tauchte er regelrecht ein. Besonders in den Homermythos, dem er hinterherjagte, um Troja zu finden. Seine Unternehmungen kommunizierte er an Presseorgane – und setzte diese teilweise unter Druck, seine Texte zu publizieren. Er wollte in der deutschen ?ffentlichkeit wahrgenommen und gepriesen werden, aber auch Rückmeldung von Fachkollegen bekommen. Teilweise fiel es ihm schwer, von falschen Zuschreibungen abzurücken, also von der leichtfertigen Deutung von arch?ologischen Befunden durch die Dichtung Homers. Er war beispielsweise wild davon überzeugt, den Schatz des Priamos und das Grab des Agamemnon gefunden zu haben und hat erst allm?hlich kapiert, dass diese Zuschreibungen gar nicht stimmen konnten. Grabungsarch?ologie hatte damals gar nicht so ein gutes Standing in der ?ffentlichkeit, vor allem nicht in der akademischen ?ffentlichkeit.?

Er hat es also geschafft, mit einem wenig popul?ren Fachbereich an die ?ffentlichkeit zu dringen. Hat er nachhaltiges Interesse an arch?ologischen Grabungen geweckt?

Tiersch:?Definitiv. Anfangs ist die ?ffentlichkeit in Deutschland z?gerlich gewesen, was auch an seinen sehr vereinfachten Zuschreibungen gelegen hat. Anfangs war es so: Er nahm sich den Homer und ging dann zu einem Ort, von dem er vermuten konnte, dass dort Troja liegt, und versuchte es zu ergraben. Er musste allerdings feststellen, dass die arch?ologische Befundlage nicht so einfach mit Homer zusammenzubringen ist. Durch seine Beharrlichkeit und eine riesige Medienoffensive hat er es trotzdem geschafft, die ?ffentlichkeit von seinem Vorhaben zu überzeugen. Er hatte zwar in Paris studiert und einen Doktortitel aus Rostock, aber anfangs nahmen ihn die Fachkollegen nicht ernst. Das ?nderte sich vor allem durch die Pr?sentation seiner Funde aus Troja in England, die die ?ffentlichkeit stark faszinierten. Als er dort auf positive Resonanz stie?, ist auch die deutsche ?ffentlichkeit offener geworden. Zudem zog er verst?rkt Fachkollegen zu Rate und bezog deren wissenschaftliche Expertise mit ein. Deshalb verbesserte sich auch seine Wahrnehmung in Deutschland allm?hlich. Besonders gewürdigt wurde er vor allem deshalb, weil er Begeisterung für die Grabungsarch?ologie geweckt und die Bronzezeit als eigene historische Epoche sichtbar gemacht hatte. Schliemann hat seine Funde dem deutschen Volk geschenkt, um sie auszustellen. Ein gro?er Teil des Schatzes ist heute im Moskauer Puschkin-Museum zu sehen. Einige Stücke sowie zahlreiche Nachbildungen werden jedoch im Neuen Museum zu Berlin im ?Schliemannsaal‘ pr?sentiert, ab dem 12. Mai 2022 zusammen mit Leihgaben im Rahmen der Ausstellung ?Schliemanns Welt‘.

Schliemann hat Begeisterung entfacht, aber er war auch eine ambivalente Figur. Wie würden Sie seine Selbstinszenierung als Wissenschaftler heute bewerten??

Tiersch:?Teil seiner damaligen Inszenierung war, dass er als Reiseschriftsteller sehr lebendige Zeitungsberichte und Bücher geschrieben hat. Dabei hat er durchaus auch von seinen Zweifeln berichtet – und von den Mühen und Schwierigkeiten der Ausgrabungen. Seine Art des Umgangs mit seinem Funden, die ihm damals auch schon ?rger eingebracht hat, ginge heute natürlich gar nicht mehr. Er hat sie teilweise einfach eingepackt und au?er Landes geschafft. Das würde nicht nur den Lizenzverlust, sondern v?llig zurecht enorme Proteste ausl?sen. Auch damals ist er vom Osmanischen Reich verklagt worden und konnte sich erst nach Zahlung einer Geldbu?e sowie ?berlassung sp?terer Grabungsfunde den Konflikt mit den Osmanischen Beh?rden l?sen. Heute finden Grabungen so statt, dass es gleichberechtigte Kooperationen mit Kollegen aus den jeweiligen L?ndern gibt. Aber auch Schliemanns eigenes Bild hat sich verschoben. Seine Faszination für andere Kulturen war immer da, aber sein Respekt ist gr??er geworden – sowohl, was die Grabungsmethodik anging, als auch, dass er gelernt hat: Wenn ich in anderen L?ndern graben will, muss das zu Bedingungen passieren, mit denen beide Seiten zufrieden sind.??

Hat Schliemann unseren Blick auf die Antike ver?ndert?

Tiersch:?Ich würde sagen: ja. Dabei ist er aber sicher nicht der einzige gewesen. Im 19. Jahrhundert kommen mehrere Entwicklungen zusammen. In Nordeuropa entsteht ein Interesse an Heimatarch?ologie, wie beispielsweise an den Pfahlbauten am Bodensee. Der Blickwinkel ?nderte sich. Bis dahin haben die Arch?ologen in Europa einen gewissen ?Klassikblick“ gehabt, der auf Italien und Griechenland fokussiert war. Dieser hat sich dann geweitet –?beispielsweise auch durch Gertrude Bell und ihre Reisen in den Irak sowie die Begegnung mit der ?gyptischen Kultur. Schliemann hat gerade wegen seiner medialen Pr?senz den Blickwinkel enorm erweitert und mit Troja eine Kultur in den Blickpunkt gerückt, die am Schnittpunkt unterschiedlicher regionaler und kultureller Entwicklungen lag – erkennbar zum Beispiel in ihren 金贝棋牌en zur hethitischen Kultur oder zum Balkan. Heute haben uns postkoloniale Str?mungen enorme Impulse gegeben, um von diesem vermeintlichen Zentrumsblick wegkommen und uns dem zuzuwenden, was wir früher als ?Peripherien“ verstanden haben. Daran hatte auch Schliemann seinen Anteil.?

Inwieweit hat er Berlin als Kultur- und Wissenschaftsort gepr?gt?

Tiersch:?Für Schliemann war Berlin von enormer Bedeutung –?auch wenn er russischer und amerikanischer Staatsbürger war. Er ist Teil einer sich zunehmend globalisierenden Welt des 19. Jahrhunderts. Es gab durchaus Angebote, seine Funde langfristig in London zu pr?sentieren, aber er wollte nach Deutschland, weil er dort die Anerkennung suchte, die er lange nicht bekommen hatte. Berlin hatte für ihn enorme Bedeutung, vielleicht auch, weil er selbst aus Norddeutschland kam – vor allem aber, weil die Stadt mit Gründung des Deutschen Kaiserreichs zunehmend Wissenschafts- und Kulturmetropole wurde. Schliemann selbst nahm gro?en Einfluss darauf, da? seine Funde wirkungsvoll in zwei separaten S?len pr?sentiert wurden, zuerst im Kunstgewerbemuseum, dann im pr?historischen Teil des Museums für V?lkerkunde Berlin. Die Schau wurde zu einem Besuchermagneten.?

Sie haben die Ausstellung gemeinsam mit Studierenden konzipiert. Wie lief die Auseinandersetzung mit einem so schillernden Charakter??

Tiersch:?Die Auseinandersetzung war sehr intensiv, weil Schliemann natürlich als Person ambivalent ist. Er ist ein Begeisterter, aber auch ein Getriebener. Er hat seine Umgebung – darunter auch seine Frau – ein Stück weit gezwungen, in seine Tr?ume und Visionen einzutauchen. Die Ambivalenz betrifft auch die Art, wie er anfangs ausgegraben hat, also den berühmten Schliemann-Graben: Er hat erst einmal einen Schnitt in den Berg hineingezogen und damit bestimmte Funde zerst?rt. Schliemann hat dann seine Methode weiterentwickelt, weil er gemerkt hat, dass die Art, wie er grub, ihn nicht zufriedenstellte. Ein wichtiges Thema für die Studierenden war natürlich auch die Frage, wie Schliemann mit Funden umging –?gerade im Zuge heutiger Raubkunstdebatten.

Was ist in der Ausstellung zu sehen?

Tiersch:?Auf mehreren Postern gehen wir der Frage nach: Was trieb Schliemann zu seinen Entdeckungen an, wie inszenierte er sich in den Medien? Uns ging es jedoch auch darum zu zeigen, dass diese Entdeckungen nur durch bestimmte technische und mediale Entwicklungen im 19. Jahrhundert m?glich wurden – und so beispielsweise neue Formen des Reisens und der Nachrichtenübermittlung erm?glichten. Seine Resonanz beruhte jedoch auch darauf, dass die Zahl an Lesekundigen, die sich brennend für Berichte aus anderen Kulturen und anderen L?ndern interessierten, im Lauf des 19. Jahrhunderts erheblich zunahm. Selbstverst?ndlich interessierte uns jedoch auch die Frage nach dem Schicksal des ?Priamosschatzes‘ sowie die Bedeutung von Troja heute, die keineswegs nur die wissenschaftliche Debatte betrifft, sondern auch die Popul?rkultur. Deshalb werden in einigen Vitrinen auch Bücher, Briefmarken, Spiele und Videos zum Thema Troja pr?sentiert sowie ein Schaukelpferd.

Die Fragen stellte Inga Dreyer.

Hinweise zur Ausstellung

?ffnungszeiten (ab 02.10.2021 bis 23.10.2021):
Mo-Fr: 10-21 Uhr
Sa: 10-17 Uhr

Ort: Humboldt Universit?t zu Berlin,
Unter den Linden 6, Lichthof-Ost,
10117 Berlin

Der Eintritt ist frei.

Link zur Ausstellung

Eine gekürzte, digitale Version der Ausstellung wird ab Mitte Oktober über?ddb-Studio?abrufbar sein.