US-Wahlen: ?Fake News sind erkenntnistheoretisch spannend“
Dr. Romy Jaster
Foto: Matthias Heyde
Frau Jaster, wie sehr k?nnen soziale Medien demokratische Entscheidungsprozesse, beispielsweise im derzeitigen US-Pr?sidentschaftswahlkampf, durch Fake News und Desinformationen beeinflussen?
Romy Jaster: Aus der Warte der Erkenntnistheorie kann ich sagen, dass Fake News in einer derart polarisierten Gesellschaft besonders gut greifen k?nnen. Wir beurteilen die Plausibilit?t neuer 金贝棋牌 immer vor dem Hintergrund bereits bestehender ?berzeugungen. Die Anh?nger der politischen Lager in den USA haben aber, nach allem, was uns die Forschung dazu sagt, inzwischen in vielen Bereichen vollkommen unterschiedliche Weltbilder – nicht nur hinsichtlich der Bewertung von Tatsachen, sondern auch hinsichtlich der Tatsachen selbst.
Neue 金贝棋牌, die für die eine Seite vor dem Hintergrund ihres Weltbildes vollkommen unplausibel sind, sind für die andere Seite absolut überzeugend. Darüber hinaus greift der Effekt des Tribalismus: Affektive Polarisation, also die emotionale Ablehnung der anderen Seite, führt dazu, dass ?berzeugungen eine soziale Funktion bekommen. Welche ?berzeugungen eine Person hat, h?ngt dann mehr davon ab, dass sie sich einem bestimmten sozialen Lager zuordnen will, als dass es Resultat einer ergebnisoffenen Abw?gung von Gründen für oder gegen die ?berzeugung w?re. Angesichts dieser Ausgangssituation – des Drifts von ?berzeugungssystemen und der Zunahme von Tribalismus – dürften Fake News in diesem Wahlkampf besonders leichtes Spiel haben.
US-Pr?sident Donald Trump ist nicht die?einzige, aber eine?der prominentesten Personen,?die oft Fake News in den sozialen Medien postet*. Woher kommt das Bedürfnis am Verbreiten von Fake News?
Jaster:?Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann bezeichnet Fake News als ?Futter für best?tigungshungrige St?mme". Damit bringt er den Gedanken auf den Punkt, dass Politiker:innen eine bereits polarisierte Gesellschaft oder eine Gruppe, die sich weitestgehend vom Mehrheitsdiskurs abgespalten hat, durch Fake News in ihrem Weltbild weiter best?tigen kann. Und noch mehr: Fake News k?nnen eingesetzt werden, um Gruppen weiter zu radikalisieren. Jede zus?tzliche ?berzeugung pr?gt, welche weiteren ?berzeugungen wir für plausibel halten. Fake News k?nnen also eingesetzt werden, um ?berzeugungssysteme immer weiter zu verschieben.
Wie k?nnen Fake News als Symptom gesellschaftlicher Probleme effektiv bek?mpft werden?
Jaster:?Das muss sich in der empirischen Forschung zeigen. Aber schaut man sich an, wie Fake News unter einem erkenntnistheoretischen Blickwinkel funktionieren, rücken sehr schnell die sozialen Medien in den Fokus. Neben allen M?glichkeiten, die die sozialen Medien er?ffnen – man denke nur an den arabischen Frühling haben diese Medien auch eine Kehrseite: Sie befeuern eben jene Tendenzen, die zur Polarisierung beitragen.
Aus meiner Sicht zeichnet sich ab, dass Fake News sowohl Symptom als auch Treiber einer Fragmentierung von ?berzeugungssystemen sind. Alexander S?ngerlaub, der bei der Stiftung neue Verantwortung zu Fake News forscht, nutzt immer das Bild eines Eisbergs, dessen sichtbare Spitze Fake News sind, w?hrend der Gro?teil des Berges unter der Wasseroberfl?che aus grundlegenderen Problemen wie etwa den Auswirkungen des digitalen Medienwandels besteht. Wenn das richtig ist, bek?mpft man Fake News am besten, indem man diese fundamentaleren Probleme angeht: etwa durch die Regulierung der sozialen Netzwerke, St?rkung des ?ffentlichen Diskurses, Bildung und Medienkompetenz oder durch Aufkl?rung über die Psychologie der Meinungsbildung.
Was ist das faszinierende an Fake News aus philosophischer Sicht?
Jaster:?Philosophisch sind zun?chst mal begriffliche Fragen interessant: Was sind überhaupt Fake News? Was f?llt unter den Fake-News-Begriff und wie lassen sich Fake News von anderen Ph?nomenen wie etwa Lügen, Bullshit, Propaganda oder Verschw?rungstheorien abgrenzen? Wie sieht eine sinnvolle Definition aus? Diese Fragen zu kl?ren ist essentiell, denn ohne diese begriffliche Kl?rung ist der Versuch, die Verbreitung von Fake News zu erfassen oder ihre Konsequenzen zu beschreiben, aussichtslos. Man muss ja zun?chst wissen, um welches Ph?nomen es eigentlich geht, sonst messen unterschiedliche empirische Studien Unterschiedliches.
Und natürlich sind Fake News erkenntnistheoretisch spannend. In der Erkenntnistheorie geht es um die Bedingungen für Wissen und Rechtfertigung und seit einigen Jahren kommen in diesem Zusammenhang auch verst?rkt die sozialen Bedingungen für Erkenntnis in den Blick. Fake News geben uns hier eine wichtige Fallstudie, weil sie unsere Aufmerksamkeit auf die Rolle von Vertrauen, Gruppenzugeh?rigkeit, soziale Aspekte bei der Ausbildung von ?berzeugungen und dergleichen mehr richten. Die Auseinandersetzung mit Fake News hilft uns, unsere erkenntnistheoretischen Annahmen zu überprüfen.
Verschw?rungstheorien der so genannten QAnon-Bewegung, die ihren Ursprung in den USA hat,?gewinnen auch in Deutschland vermehrt?an Zulauf. Die Anh?nger?sehen Donald Trump unter anderem?als Retter der Menschheit an. K?nnen Sie aus philosophischer Sicht erkl?ren, warum Menschen an Verschw?rungstheorien glauben?
Jaster:?Ich will hier nicht spekulieren. Die empirische Forschung sagt uns, dass Menschen sich schon immer durch verschw?rungstheoretisches Denken einen Reim auf die Geschehnisse in der Welt gemacht haben. Allerdings befinden wir uns heute in einer Situation, in der solche Verschw?rungstheorien sich im Netz massenhaft verbreiten k?nnen, w?hrend die seri?sen Medien mehr und mehr ihre Torw?chterfunktion einbü?en. Diese Entwicklung w?re dann als eine Entfesselung ohnehin bestehender Neigungen zu beschreiben.
Philosophisch stellt sich eher die Frage, wie sich der Glaube an sehr weit vom g?ngigen Weltbild angesiedelte Verschw?rungen begrifflich überhaupt fassen l?sst. Haben wir es hier mit einer Pathologie zu tun? Mit einer bestimmten Form von Irrationalit?t? Mit anderen epistemischen Lastern wie etwa Leichtgl?ubigkeit? Dass epistemisch etwas schief l?uft, wenn Menschen glauben, die politische Kaste trinke das Blut von Kindern und Donald Trump rette die Menschheit vor diesen Vorg?ngen, liegt auf der Hand. Aber was genau ist eigentlich das Problem an der Art und Weise, wie die Anh?nger:innen dieser Theorien zu ihren ?berzeugungen kommen? Das ist eine Frage, die ich philosophisch sehr spannend finde.
Kann man mit Verschw?rungstheoretiker:innen anhand von?Fakten diskutieren?
Jaster:?Hier muss man unterscheiden. Wir sind ja in gewissem Sinne alle Verschw?rungstheoretiker:innen. Das Beispiel: 9/11 l?sst sich ohne die Annahme einer Verschw?rung gar nicht erkl?ren. Entweder es haben sich eine Reihe islamistischer Attent?ter verschworen, die Twin Towers durch einen Flugzeugangriff zum Einsturz zu bringen, oder Teile der amerikanischen Regierung haben sich verschworen, es so aussehen zu lassen, als sei eben das geschehen. Die meisten Menschen glauben an die erste dieser beiden Verschw?rungen. In diesem Sinne sind sie Verschw?rungstheoretiker.
Wenn wir von ?Verschw?rungstheoretikern“ sprechen, meinen wir aber meistens nicht einfach Menschen, die eine Verschw?rung annehmen, sondern wir meinen, grob gesprochen, Menschen, die eine Verschw?rung annehmen, obwohl die Belege eklatant dagegen oder jedenfalls keinerlei Belege dafür sprechen. Und zwar, wieder grob gesprochen, weil diese Menschen für Belege nicht hinreichend zug?nglich sind.?Wenn das stimmt, dann ist das Einfallstor, um mit diesen Leuten ins Gespr?ch zu kommen, nicht der Verweis auf Fakten (oder was man selbst dafür h?lt). Vielmehr muss es darum gehen, über den Umgang mit Belegen, die Bewertung von Quellen, die Bedingungen für Vertrauen und dergleichen mehr ins Gespr?ch zu kommen. Das sind aber herausfordernde Gespr?che, denn man st??t schnell an seine Grenzen: Wie gut belegt sind die eigenen ?berzeugungen eigentlich? Warum vertraut man bestimmten Quellen und anderen nicht? Hier gute Antworten zu finden, ist nicht einfach. Darum befassen sich auch immer mehr Philosoph:innen mit dieser Thematik.
Die Fragen stellte Kathrin Kirstein.
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*Anmerkung: Ein?Tweet von Donald Trump vom 23. August 2020 über angebliche Gesundheitsrisiken bei der Briefwahl?wurde von Twitter als Falschmeldung markiert:?
("We placed a public interest notice on this Tweet for violating our Civic Integrity Policy for making misleading health claims that could potentially dissuade people from participation in voting." / "Wir haben auf diesem Tweet einen Hinweis von ?ffentlichem Interesse wegen Versto?es gegen unsere Civic Integrity Policy ver?ffentlicht, um irreführende gesundheitsbezogene Angaben zu machen, die Menschen m?glicherweise von der Teilnahme an Abstimmungen abhalten k?nnten.").
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