Theodor Zlocisti – Die multiplen Zugeh?rigkeiten eines Zionisten
Albrecht Spranger promovierte an der philosophischen Fakult?t der Humboldt-Universit?t. Für seine Dissertation wurde er mit dem Humboldt-Preis 2019 ausgezeichnet.
Zusammenfassung
Die Dissertation behandelt erstmals die Biografie des deutschen Zionisten Theodor Zlocisti (1874–1943). Zlocisti wuchs in Berlin als Sohn osteurop?isch-jüdischer Migranten auf. Hier verlebte er eine Kindheit zwischen verschiedenen Welten: dem proletarischen Umfeld im Berliner Nord-Osten, der traditionell-orthodoxen Ausrichtung des Elternhauses, der Pr?gung durch die osteurop?isch-jüdische Kultur, aber auch dem Integrationsstreben der Familie in Deutschland. Der in Schule und Alltag erlebte Antisemitismus machte aus Zlocisti bereits in jungen Jahren einen Zionisten. Er geh?rte zu den Gründerv?tern der Bewegung und stieg schnell zu einem Protagonisten auf. Nachdem die Auswanderung nach Pal?stina zun?chst keine Rolle in seiner pers?nlichen Lebensplanung spielte, ?nderte sich diese Einstellung einige Jahre nach der Jahrhundertwende. 1920 emigrierte Zlocisti schlie?lich als einer der ersten deutschen Zionisten nach Pal?stina. Dort lebte er in Tel Aviv, wo er sich in der Stadtverwaltung und in Organisationen deutschsprachiger Emigranten engagierte. Mitte der 1930er Jahre zog er nach Haifa, wo er 1943 verstarb.
Auf den ersten Blick scheint Zlocistis Biografie geradlinig verlaufen zu sein: ein junger Jude, der Zionist wird und aus dem antisemitischen Europa nach Pal?stina auswandert. Doch diese teleologische Linie trügt und verdeckt die Widersprüche und Eigenheiten, die Zlocistis Leben kennzeichneten. In der zionistischen Bewegung stand Zlocisti immer wieder zwischen den Stühlen und l?sst sich nur unzureichend mit den g?ngigen Kategorisierungen der Forschung fassen. Zudem begriff er sich auch als Zionist weiterhin der deutschen Kultur zugeh?rig. In seiner Auffassung des Zionismus fusionierten zwei Kulturen: unter dem Banner der nationaljüdischen Idee wandte er sich der Frage zu, was in einer modernen Welt noch jüdisch sei. Zugleich verstand Zlocisti den Zionismus als einzig m?gliche Ant?wort auf den Antisemitismus. Er blieb dabei aber tief in zeitgen?ssischen Diskursen der deutschen Gesellschaft verankert. Auch wollte er keineswegs das jüdische Leben gewaltsam aus der deutschen Kultur herausrei?en. Noch in Pal?stina fühlte er sich vielmehr dieser deutschen Kultur verbunden.
Zlocistis Biografie behandelt deshalb die multiplen Zugeh?rigkeiten deutscher Zionisten. Sie gibt damit Aufschluss über die Konfliktlinien innerhalb des deutschen Judentums, zwischen Juden und der deutschen Gesellschaft sowie der deutsch-jüdischen Emigranten zur entstehenden israelischen Gesellschaft. Dabei knüpft die Arbeit an aktuelle Forschungen im Bereich der Jüdischen Studien und der Geschichtswissenschaften an, die den deutschen Zionismus als Teil der der deutschen Geschichte interpretieren. Indem Zlocistis Leben in Pal?stina miteinbezogen wird, findet diese Perspektive erstmals auf transnationaler Ebene Anwendung. Das Konzept multipler Zugeh?rigkeiten nimmt zugleich Bezug auf aktuelle Debatten der Migrationssoziologie und kulturelle Identit?tsdiskurse. Mit Hilfe dieser methodischen Herangehensweise erz?hlt die Arbeit keine gegl?ttete, lineare Geschichte des Zionismus, sondern eine der Ambivalenzen und Widersprüchlichkeiten.
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