?Die Fremdheit des Rechts. Eine philosophische Spurensuche zur souver?nit?tskritischen Logik der Rechtssemantik“
Für seine Dissertation an der Juristischen Fakult?t erh?lt Benedict Vischer den Humboldt-Preis 2021.
Recht konfrontiert uns mit einem Anspruch, der?die individuelle und kollektive?Willkür überschreitet. Dem?Rechtsbegriff?ist eine?Gerechtigkeitsbehauptung eingeschrieben, die?beliebige Anordnungen?verbietet. Dieser semantischen?Entzogenheit?entsprechenvielf?ltige Formen?der?Handlungsunterbrechung. Paradigmatisch?widersteht?Recht?der unmittelbaren Willensausübung?durch diesperrige Form geschriebener Gesetze und die?nachprüfenden Verfahren unabh?ngiger Gerichte.?
Diese?charakteristische?Fremdheit des Rechts?gegenüber unserem souver?nen Tun?stellt eine Zumutung für das?moderne?Selbstverst?ndnis dar und erregt?in jüngerer Zeit besonderes Unbehagen. In unterschiedlicher Gestalt wird erstrebt, die Eigensinnigkeit rechtlicher Strukturen zu z?hmen. Postuliert wird, das Rechtssystem konsequenter dem politischen Willen zu unterwerfen?(zum Beispiel?durch?den?Abbau von Verfassungsgerichten)?und?Recht?durch flexiblere Formen einer freieren Steuerung zug?nglich zu machen?(insbesondere?durch?soft?law).?In der Tat?birgt die?Entzogenheit?des Rechts gegenüber dem gesellschaftlichen Verfügen bedenkliche Entfremdungstendenzen. Allerdings liegt?in dieser souver?nit?tskritischen Disposition auch ein vitales emanzipatorisches Potential. In der fortw?hrenden Unterbrechung unbefangenen Handelns n?hrt Recht einen anhaltenden Sinn für das Andere, Ausgeschlossene und Ungeh?rte herrschender Verh?ltnisse.
Vor dem Hintergrund?aktueller?Rechtsstaatlichkeitskrisen unternimmt die Dissertation?eine Besinnung auf das?fragile?Versprechen rechtlicher Fremdheit.?Nachgezeichnet wird die Kraft?des Rechts, den Blick für das?uneinholbare?Andere aufzutun, aber auch die stete Tendenz, rechtliche Macht?der Befragung?zu?entziehen.?Oppressiv wird die Fremdheit?des Rechts,?wo?Recht?vorbehaltlos?mit bestimmten Instanzen?– seien es Gerichte, Volksmehrheiten oder Expertengremien –?identifiziert wird.?Gegen solche Prozesse der Domestizierung sind??ffentliche R?ume auszubilden, in denen institutionelle und gesellschaftliche Instanzen fortlaufend um den Sinn des Rechts ringen und die geschichtliche Uneinholbarkeit rechtlicher Bedeutung wachhalten.
Die Studie entfaltet?das?Motiv rechtlicher Fremdheit,?seine prek?re Ambivalenz und sein?unabgegoltenes?Versprechen durch die Rekonstruktion einer unterbelichteten Theorielinie modernen Rechtsdenkens. Diese Linie führt?vom?Deutschen Idealismus?(Kant,?Hegel)?über die Dialektische Theologie Karl Barths zum franz?sischen?Alterit?tsdenken?(Lévinas, Derrida)?und?wird?im Kontext juristischer?Pluralismusdiskurse?fortgedacht.
Publikation
Benedict Vischer,?Die Fremdheit des Rechts. Aufzeichnungen eines fragilen Versprechens,?Weilerswist:?Velbrück?2021.?