?Esther Bejarano. Zeitzeugin, Künsterin und Antifaschistin. Eine politische Biografie“
Für seine Masterarbeit am Institut für Geschichtswissenschaften erhielt Benet Lehmann den Sonderpreis ?Judentum und Antisemitismus“ des Humboldt-Preises 2022.
Esther Bejarano ist in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens zu einer Ikone geworden. Im Juli 2021 starb die jüdische Auschwitz-?berlebende mit 96 Jahren in Hamburg. Die mediale Resonanz auf ihren Tod erstreckte sich auf die gesamte Presse, in den Tageszeitungen fanden sich seitenlange Nachrufe auf sie. Denn seit den ausgehenden 90ern entwickelte sich Bejarano zur Grande Dame der deutschsprachigen Zeitzeug*innen.
In der Biografie besch?ftige ich mich mit den einzelnen Episoden ihres Lebens aus einer kulturwissenschaftlich-historischen Perspektive. Ein erster Teil beinhaltet Bejaranos Leben in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und in der BRD bis in die 1970er Jahre. Ihre Kindheit in einer bürgerlichen, sozialdemokratischen und jüdischen Familie bildet den biografischen Beginn, der Ausschluss durch das Konzept der Volksgemeinschaft und der Rassegesetze den ersten Bruch. 1943 wird sie nach Auschwitz deportiert, hier muss sie in dem ?Auschwitzer M?dchenorchester“ Akkordeon spielen. Durch eine ?Arisierung“ gelangt sie nach Ravensbrück und kann auf dem Todesmarsch kurz vor Kriegsende entfliehen. Sie emigriert nach Pal?stina, doch die Integration in die israelische Gesellschaft der 50er Jahre f?llt ihr schwer. Als?sozialistisch denkende ?berlebende und in Partnerschaft mit einem Mizrachi?hat sie in der jungen Gesellschaft keinen leichten Stand. Die Entscheidung zur Remigration in das ?Land der T?ter“ 1960 sowie der damit verbundene Ausschluss aus der zionistischen Gesellschaft Israels f?llt ihr dennoch nicht leicht. In Deutschland w?hlt sie die Abgeschiedenheit von der nichtjüdischen Gesellschaft, die sich durch das Trauma der Verfolgung?erkl?rt, genauso wie durch die auch nach 1945 reale Gefahr, Opfer antisemitischer und rassistischer Attacken zu werden.
Im zweiten Teil der Biografie steht Bejarano als politisch aktive Zeitzeugin im Fokus. 1978 bricht sie ihr Schweigen, als sie in ihrer Stra?e einen Stand der NPD kritisiert und dabei von der Polizei angegriffen wird – so ihr erz?hlter Initialmoment. Von da an beginnt?ihre T?tigkeit als Zeitzeugin.?Im politischen Kontext der Friedensbewegungen, Geschichtswerkst?ttenbewegung und Zeitzeugengespr?che festigt sich ihre linkspolitische Haltung. Diese wird ihr posthum oft abgesprochen, macht jedoch einen entscheidenden Teil ihrer T?tigkeit als Zeitzeugin aus. Mit der Gründung des Auschwitz-Komitees 1986 sichert sie sich eine m?chtige Position in der deutschen Erinnerungskultur. Ihrem Selbstverst?ndnis als ?berlebende und Antifaschistin folgend, kritisiert sie die Bestrebung rechtskonservativer Geschichtspolitik die Shoah zu relativieren, w?hrend sie gleichzeitig früh auf die entstehende rechte Gewalt in der ehemaligen DDR und die prek?re Lage migrierter Menschen aufmerksam macht. Nach 1989/90 gewinnt sie an Popularit?t in Antifa-Gruppen ebenso wie in der verstaatlichten Erinnerungskultur; bezeugt durch zahlreiche Auszeichnungen. Mit ihrem Selbstverst?ndnis als in Deutschland lebende Jüdin und ihrem Eintreten für postmigrantische Erinnerungskulturen ger?t sie seit 2000 immer wieder in geschichtspolitische Spannungsfelder.
Es war die Verknüpfung ihrer pers?nlichen Lebensgeschichte mit gewaltleidenden Menschen heute, die ihre politische Botschaft als Zeitzeugin,?Künstlerin und Antifaschistin?so wirksam machten.