Humboldt-Universit?t zu Berlin

Nora Markard

Humboldt-Preis für ihre Dissertation

Herausforderungen an die Flüchtlingskonvention: Gewalt gegen die Zivilbev?lkerung in "neuen Kriegen"

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Zusammenfassung

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Bewaffnete Konflikte, so das Paradigma der ?neuen Kriege“, haben sich ver?ndert: Statt politischer Ziele stehen nun entweder ethnische Spannungen oder wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, eine Vielzahl nichtstaatlicher Gewaltakteure bereichert sich gemeinsam an Ressourcen und h?lt die Zivilbev?lkerung durch Terror in Schach. Solche Konflikte bilden eine der Hauptursachen für internationale Fluchtbewegungen. Doch ist, wer solche Gewalt flieht, Flüchtling im Rechtssinne? Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 verlangt hierfür die Furcht vor Verfolgung wegen der ?Rasse, Religion, Nationalit?t, Zugeh?rigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen ?berzeugung“, schlie?t also Kriege nicht aus. Doch sie ist bisher von einem Friedensparadigma gepr?gt, wonach Kriegsgewalt nicht unter die Konvention f?llt, weil sie willkürlich und ungezielt sei – ein Stereotyp, wie meine Arbeit zeigt.

Meine Arbeit bereitet zun?chst interdisziplin?r die Diskussion um die ?neuen Kriege“ auf und arbeitet deren Verkürzungen und Verzerrungen, aber auch wichtigen Neubewertungen heraus. Zudem bezieht sie die Erkenntnisse der Geschlechterforschung zu Gewaltdynamiken ein, die in dieser Diskussion regelm??ig unberücksichtigt bleiben. Im zweiten Schritt zeige ich, dass bei solch differenzierter Betrachtung die Flüchtlingskonvention Kriegsflüchtlingen weit reichenden Schutz bieten kann.

Bei der Auslegung der Konvention orientiert sich die Arbeit nicht nur an menschenrechtlichen Standards, sondern auch am humanit?ren V?lkerrecht und am internationalen Strafrecht, stets unter Beachtung geschlechtsspezifischer Dimensionen. Damit formuliert sie den in Kriegszeiten ma?geblichen Rechtskorpus für den Verfolgungsbegriff. Zudem er?ffnet die konsequente Einbeziehung antidiskriminierungsrechtlicher Rechtsentwicklungen flüchtlingsrechtlich neue Anerkennungsm?glichkeiten im Hinblick auf die Kausalit?t der Konventionsgründe für die Verfolgungsfurcht (?wegen der Rasse, Religion, Nationalit?t, Zugeh?rigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen ?berzeugung“).

In Deutschland wurde die Flüchtlingskonvention lange vernachl?ssigt. Entsprechend gro? ist der rechtsdogmatische Nachholbedarf, seit eine EU-Richtlinie sie 2004 in konkretisierter Form zum unionsrechtlichen Ma?stab machte. Aufgrund der langen Dominanz des verfassungsrechtlichen Asylrechts nach Art. 16a GG bestehen jedoch noch immer Rezeptionsbarrieren, die insbesondere Kriegsflüchtlinge betreffen: Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure oder in einem umk?mpften Staat fiel nicht unter den Asylbegriff. Daher erweist sich der rechtsvergleichende Blick in L?nder als fruchtbar, die schon lange mit der Konvention arbeiten und deren Rechtsprechung die EU-Richtlinie ma?geblich gepr?gt hat.

Neue Rechtsfragen wirft die europ?ische Harmonisierung des sogenannten subsidi?ren Schutzes für solche Kriegsflüchtlinge auf, die auch nach meiner Auslegung nicht unter die Konvention fallen. Diese Rechtsfragen werden erst nach und nach durch die mitgliedstaatlichen Gerichte und den Europ?ischen Gerichtshof bearbeitet, hier besteht nach wie vor gro?e Unklarheit. Meine Arbeit verwebt auch hier Unionsrecht und Menschenrechte und entwickelt durch Orientierung an der UN-Anti-Folterkonvention und der Europ?ischen Menschenrechtskonvention, die schon lange Auffangschutz für Kriegsflüchtlinge leisten, eine konsistente schutzorientierte Auslegung. Gleichzeitig zeigt sie auf, wie gerade Kriegsflüchtlinge aufgrund des Friedensparadigmas in diesen schw?cher ausgestatteten Schutzstatus ?abrutschen“ k?nnen. Durch ihre enge Orientierung an menschenrechtlichen Standards bietet meine Arbeit daher eine wichtige Anleitung für die noch sehr uneinheitliche Rechtspraxis, die noch zu oft genuinen Konventionsflüchtlingen nur subsidi?ren Schutz zuerkennt.