Die Attikaskulpturen als Geschichtszeugnis und Aufgabe
von Prof. Dr. Kai Kappel (Humboldt-Universit?t)
Die Attikaskulpturen auf den südlichen Kopfbauten des West- und Ostflügels der Humboldt-Universit?t haben eine ?erste Geschichte“: Diese begann Mitte des 18. Jahrhunderts ?u?erst repr?sentativ, auf dem Dach des friderizianischen Stadtschlosses von Potsdam. Nach der Z?sur des Zweiten Weltkrieges setzte sie sich in Notbergungen aus dem zum Abbruch freigegebenen Bau und in einer interimistischen gartenkünstlerischen Aufstellung in einem Skulpturenrondell fort.
Die ?zweite Geschichte“ dieser Skulpturen umfasst nunmehr 50 Jahre auf dem Dach der Humboldt-Universit?t. Das substanziell 1748–53 entstandene Geb?ude diente ursprünglich als Palais des Prinzen Heinrich; dessen Skulpturenprogramm, gestenreich interagierende G?tter- und Heroenpaare, bezog sich auf Ovids Metamorphosen (einer der Lieblingslektüren Friedrichs II.) beziehungsweise auf die Hochzeit des Hausherrn. Gemeinsam mit den verwandten Figuren des Opernhauses und der K?niglichen Bibliothek bildeten diese Skulpturen eine verlebendigte Dachlandschaft rund um das erdachte Forum Fridericianum.
Bis auf jene des Jason, waren alle Attikaskulpturen des HU-Hauptgeb?udes im Zweiten Weltkrieg zerst?rt worden. Im Zuge des Aufbaues der Humboldt-Universit?t kam es 1955 zur Nachsch?pfung der verlorenen Attikaskulpturen des Mittelrisalits durch Kopien (Abb. 1). Doch vermochten weder diese noch die bereits 1951/52 entstandenen Entwürfe von Waldemar Grzimek und Fritz Koelle für zeitgen?ssische Skulpturen auf dem HU-Hauptgeb?ude zu überzeugen. War zun?chst geplant, von den etwas kleineren Attikaskulpturen des Potsdamer Stadtschlosses Kopien für die Seitenrisalite des HU-Hauptgeb?udes zu fertigen, entschied man sich schlie?lich für eine Translozierung dieser Skulpturen selbst. Diese 1967 durchgeführte Ma?nahme (Abb. 2) fand am Institut für Denkmalpflege wie auch in der Stiftung Preu?ische Schl?sser und G?rten als eine geschichtsbewusste, auch in den stilistischen Details überzeugende L?sung Gefallen. Evident ist ein politischer Zusammenhang mit dem Aufbau des Boulevards Unter den Linden und des Forum Fridericianum in Hinblick auf die damals anstehende 20-Jahrfeier der DDR.
Es ist die erkl?rte Absicht der Humboldt-Universit?t, die in ihrer denkmalgeschützten Architektur eingeschriebenen Zeitschichten deutlich ablesbar zu bewahren. Dabei ist der letzte historisch gewachsene Zustand des Baudenkmals HU-Hauptgeb?ude als Ausgangspunkt aller künftigen konservatorischen Ma?nahmen zu sehen. Leitende Kriterien sind die Unwiederholbarkeit von Geschichte wie die ?berzeugung, dass Rekonstruktionen als konstruierte Geschichtsbilder nicht zu einer Verdr?ngung beziehungsweise ?berschreibung von in situ befindlichen historischen Kontexten führen sollten. Weil historische Amnesien jeglicher Art für eine Universit?t unangemessen sind, wird in diesem Kontext ausdrücklich auch die (im Einzelfall technisch m?gliche) Neusch?pfung verlorener Skulpturen nach Fotografien abgelehnt. Daher tritt die Humboldt-Universit?t mit Entschiedenheit für die Bewahrung der Attikaskulpturen an ihrem jetzigen Standort ein. Sie wei? sich diesbezüglich mit den Voten des Landesdenkmalamtes und des Landesdenkmalrates in Berlin wie auch mit dem Beirat der Stiftung Preu?ische Schl?sser und G?rten einig. Das Kolloquium von 2016 soll Ansto? sein zu den erforderlichen Sicherungs- und Sanierungsma?nahmen, zur weiteren historischen Erforschung wie auch zu einer verst?rkten Wahrnehmung der Attikaskulpturen als Shared Heritage.