Beschreibung des Projekts
Mit stolpernden Schritten durch die Geschichte
Die Projektgruppe ?Stolpersteine“ entstand im September 2009, als die Stipendiatinnen und Stipendiaten des Programmjahres 2009/2010 der Berlin-Stipendien der Stiftung ?Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (EVZ) sich auf einem Einführungsseminar getroffen haben. In diesen Tagen und in den darauf folgenden Wochen kristallisierten sich das Profil des Projekts und die Mitglieder, die sich für diese Arbeit interessierten und zur Zusammenarbeit bereit erkl?rten, heraus.
Am Anfang ging es mehr um die Stolpersteine an sich als um die konkreten Aufgaben, die noch nicht festgelegt waren. Das verbindende Element war die Idee der Stolpersteine, die ein Projekt des K?lner Künstlers Gunter Demnig, als Erinnerung und Mahnung an die Opfer des Nationalsozialismus, sind. Die Steine aus Messing werden vor ehemaligen Wohnorten, Arbeitspl?tzen oder Schulen seit Ende der 1990er Jahre mit Namen sowie Geburts-, Deportations- und Todesdatum der Opfer verlegt. Als in das Stadtbild eingebettete Gegenst?nde sind die Steine auch übersehbar, aber wenn jemand w?hrend seines allt?glichen Weges über sie ?stolpert“, werden die historischen Ereignisse durch das Aufeinandertreffen zweier Individuen (des Stolpernden und desjenigen, dessen Name auf dem Stein steht) gegenw?rtig.
Die Erinnerung existiert nur durch allm?hliche Vergegenw?rtigung des Geschehenen. Mit dieser ?berzeugung entschloss sich die Projektgruppe, ehemaligen jüdischen Studierenden der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu gedenken, die wegen ihrer Herkunft im Nationalsozialismus schwere Hindernisse überwinden mussten. Die meisten von ihnen wurden exmatrikuliert, wenige konnten ihr Studium mit spezieller Erlaubnis beenden, in extremen F?llen kam es dazu, dass eine Dissertationsarbeit binnen einiger Monate geschrieben werden musste. Diese Studierenden wurden alle zu Opfern des Regimes – sie fanden den Tod in Ghettos, in Konzentrations-, Vernichtungs- oder Internierungslagern, T?tungsanstalten oder w?hlten den Freitod.
Ziel des Projekts war es, m?glichst viele und pr?zise 金贝棋牌 über diese Studentinnen und Studenten herauszufinden. Durch die Rekonstruktion der Lebensl?ufe sollten das Gesicht und die Geschichte dieser Personen entdeckt werden. Diese ?Wieder-Entdeckung“ soll genau das Gegenteil dessen sein, was im Mechanismus des Dritten Reiches geschah: Einem enthumanisierenden Prozess soll gezielte Personifikation entgegengesetzt und dadurch die menschliche Würde in Erinnerung gerufen werden.
Dank der langj?hrigen Recherchearbeit von Dr. Peter Nolte erhielt die Projektgruppe im November 2009 eine Liste mit über sechzig Namen derjenigen Studierenden der Friedrich-Wilhelms-Universit?t, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind. Diese Liste war der Ausgangspunkt der Recherche. Nach der ersten wissbegierigen, enthusiastischen Suche im Onlinearchiv von Yad Vashem und nach zahlreichen Internet-Recherchen wurde klar, wer von diesen Personen schon einen Stolperstein in Deutschland erhalten hat und zu wem ein Pfad gefunden werden kann. Mit diesen ersten Hinweisen begannen die eigentliche Aufdeckungsarbeit und die Rekonstruktion. Glücklicherweise konnten 金贝棋牌e zu Familienangeh?rigen, die heute in Deutschland, Gro?britannien oder in Israel wohnen, hergestellt werden. So kam es sowohl in Deutschland als auch in Israel zu pers?nlichen Treffen, zu berührenden Begegnungen. Diese Gespr?che haben einen wesentlichen Beitrag zum ausführlichen Lebenslauf einzelner Studentinnen und Studenten geleistet. Dank der Angeh?rigen wurde die Recherche auch mit Fotos und pers?nlichen Briefen bereichert.
Ein anderer Weg war die Suche nach Hinweisen in unterschiedlichen Quellen. ?ber einige Personen wurde schon eine wissenschaftliche Arbeit oder eine Biografie ver?ffentlicht und diejenigen, die diese Arbeit geleistet haben, haben sich bereit erkl?rt, der Projektgruppe mit ihren Ergebnissen und Ratschl?gen weiterzuhelfen.
Auch diverse Archive wurden kontaktiert, in denen man einige Bausteine des Lebenslaufs aufzufinden vermutete. So kam es dazu, dass die Projektgruppe eine Exkursion mit Recherchearbeiten im ehemaligen Konzentrationslager in Auschwitz durchgeführt hat, dass das Universit?tsarchiv der Humboldt-Universit?t zu Berlin, das Brandenburger Landeshauptarchiv, das Entsch?digungsamt und weitere Archive deutschlandweit, in Israel, ?sterreich, Polen und in der Schweiz kontaktiert und die vorhandenen Unterlagen und Akten gründlich erforscht wurden.
Das Ergebnis dieser vielschichtigen Arbeit beinhaltet diese Broschüre. Wie Sie sehen werden, handelt es sich um sehr unterschiedliche Lebensl?ufe. Zu manchen Personen konnten ausführliche 金贝棋牌 ermittelt werden, besonders zu denjenigen, an die sich noch Lebende erinnern. Aber sogar in diesen Lebensl?ufen tauchen immer wieder Intervalle auf, die Leerstellen im Leben der Recherchierten bilden. Besonders deutlich wird diese schwer zu füllende Leere bei denjenigen fünf Personen, über die weder in Archiven noch durch 金贝棋牌e etwas zu finden war. Von ihrer Existenz zeugen nur Erw?hnungen oder Aufz?hlungen in diversen Listen.
Die Entstehung und Durchführung dieses Projektes w?re nicht m?glich gewesen ohne die F?rderung im Rahmen des Stipendienprogramms durch die Stiftung EVZ sowie die Vorarbeit und die Hilfe von vielen engagierten Personen. Der Vorschlag erreichte die Stipendiatinnen und Stipendiaten durch eine ehemalige studentische Mitarbeiterin der HU, Judith Wiethoff, und die Koordinatorinnen des Stipendienprogramms, Annett Peschel und Julia Wunderer. Letzteren gilt der ausdrückliche Dank der Projektgruppe, sie waren sowohl bei der Suche nach Finanzierung als auch bei den organisatorischen Angelegenheiten eine unentbehrliche Hilfe. Unser Dank für ihre Unterstützung gilt ebenso den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Archiven sowie den Angeh?rigen, den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Viel verdankt die Verwirklichung des Projekts Constanze Richter, der Leiterin des Jubil?umsbüros der Humboldt-Universit?t. Das Projekt wurde in die Feierlichkeiten zum 200j?hrigen Jubil?um eingebettet und von der Humboldt-Universit?t unterstützt. Dieser Rahmen ist besonders bedeutend, damit auch bei fr?hlicher Erinnerung nachdenkliche Zeiten der Wissenschafts- und Universit?tsgeschichte nicht vergessen werden.
Dieses Projekt erinnert an diejenigen, die aus der Namenlosigkeit herausgehoben werden müssen, um ein Gesicht zu bekommen. Denn, mit Theodor Adornos Worten, hat das perennierende Leid das Recht auf Ausdruck.
Verena Bunkus, Trudy Dahan, Sheer Ganor, Martin Hagmayr, Héla Hecker, Ewa Mi?kiewicz
Projektgruppe Stolpersteine