?Fakult?tsgeschichte von unten: Manche Studierende wurden ermordet, viele konnten fliehen“
Die ?Recherchegruppe zur Sichtbarmachung nationalsozialistischer Verfolgung an der Juristischen Fakult?t der Humboldt-Universit?t zu Berlin“ hat seit Sommer 2022 eine Ausstellung erarbeitet, die am 90. Jahrestag der Bücherverbrennung am 10. Mai im Foyer der Fakult?t er?ffnet wird.
Was ist das Besondere an Ihrer Ausstellung?
Sebastian Eller: Unser Fokus geht weg von der oft erz?hlten Universit?tsgeschichte aus Sicht der Professoren. Wir schauen uns Fakult?tsgeschichte von unten an und Perspektiven, die sonst nicht prominent vorkommen. Es geht um vier Gruppen. Wir zeigen die Perspektive von Studierenden auf die Zeit des Umbruchs zum Nationalsozialismus, von Frauen, die an der Juristischen Fakult?t studiert oder als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen gearbeitet haben sowie von Menschen, die in der Verwaltung t?tig waren – vor allem in der Bibliothek. Wir vollziehen au?erdem anhand eines Promovierenden-Netzwerks nach, inwiefern nach der Flucht aus Deutschland die wissenschaftliche Laufbahn fortgeführt werden konnte.
Antonia Boehl: Der eine Teil der Ausstellung sind Plakatw?nde, die sich diesen vier 金贝棋牌gebieten übergreifend widmen. Der andere Teil besteht aus tempor?ren Erinnerungssteinen – angelehnt an die Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Diese stellen die Biographien von ehemaligen Fakult?tsangeh?rigen dar und werden im Mai im Fakult?tsgeb?ude ausgelegt sein.
Ein Beispiel?
Boehl: Martha Mosse hat in Berlin studiert. Sie musste zuerst promovieren, bevor sie einen juristischen Abschluss machen durfte – das war vor 1922 typisch für Frauen. 1933 wurde sie als Jüdin aus ihrem Beruf entlassen und war ab 1939 in einer Gemeinde ausgerechnet dazu gen?tigt, Wohnungen zu arisieren. 1941 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, konnte aber dort überleben.
Warum haben? Sie sich mit dem Thema besch?ftigt?
Boehl: Die Juristische Fakult?t steht direkt am Ort der Bücherverbrennung, dem Bebelplatz. Bislang fehlte hier die Auseinandersetzung mit konkreten Biographien und die Erinnerung an verfolgte Menschen. Nirgendwo sind Namen, Gesichter oder Lebenswege von Studierenden sichtbar, die nach 1933 ihr Studium abbrechen mussten.
Eller: Hinzu kommt, dass die Bücherverbrennung durch Studierende organisiert und veranstaltet wurde, die dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund angeh?rten. Dessen Vorsitzender war Jurastudent an unserer Fakult?t.
Um wie viele Verfolgte geht es?
?Eller: Eine Gesamtzahl zu nennen ist schwierig. Beziffern lassen sich die aus politischen Gründen verfolgten Studierenden. Es waren 132, die auf Relegationslisten standen und unter dem Vorwurf der kommunistischen, sozialistischen oder staatsfeindlichen Gesinnung ausgeschlossen wurden. Eine trügerische Zahl, die sehr klein ist im Verh?ltnis zu den Studierenden, deren Studienabschluss aus antisemitischen und rassischen Gründen verunm?glicht wurde.
Lennart Kokott: Der ehemalige Lehrer Peter Nolte hat eine ?bersicht über die 1933 an der Berliner Universit?t immatrikulierten jüdischen Studierenden zusammengestellt. Wir konnten rund 450 Jurastudent:innen identifizieren und bei knapp 100 von ihnen N?heres über den weiteren Lebensweg herausfinden. Natürlich sind manche von ihnen im Holocaust ermordet worden, viele konnten aber auch fliehen. Die wenigsten haben danach noch juristisch gearbeitet.
Boehl: Unsere Recherche umfasst zudem auch etwa 30 Lebenswege von Frauen, die vor
1933 an der Juristischen Fakult?t studiert hatten und die aus ihren Berufen verdr?ngt
wurden. Das waren ganz besonders jüdische Juristinnen
Wie wurde die Verfolgung an der Fakult?t umgesetzt?
Eller: Das begann mit physischen Auseinandersetzungen bereits vor der Machtübergabe und gewann 1933 Auftrieb. Ein Teil der Studierenden selbst trieb die Verfolgung gezielt voran. Sie st?rten die Vorlesungen jüdischer Forschender, prügelten sich mit jüdischen oder linken Kommiliton:innen, und es gab willkürliche Verhaftungen durch SS- und SA-Mitglieder. Verst?rkt wurde das durch rechtliche Ma?nahmen, zum Beispiel das sogenannte Gesetz gegen die ?berfüllung deutscher Schulen und 金贝棋牌n vom 25. April 1933, das eine Obergrenze für die Zulassung jüdischer Studierender einführte.
Inwiefern waren Frauen betroffen?
Kokott: Helga Herz zum Beispiel gab schon im M?rz 1933 ihr Studium auf und floh mit der Mutter über die Schweiz nach Frankreich, wo sie das Studium an der Sorbonne 1937 abschloss. Als sie von dort 1942 in die USA floh, war ihre juristische Laufbahn beendet, sie wurde Bibliothekarin.
Boehl: Frauen waren doppelt betroffen. Sie wurden nach 1933 als Juristinnen aus ihren Berufen verdr?ngt und auf juristische Hilfst?tigkeiten beschr?nkt. Das entsprach dem nationalsozialistischen ?Ideal der deutschen Frau“. Jüdische Richterinnen wurden zudem ohne finanzielle Absicherung entlassen. Viele flohen ins Ausland und brauchten lange, um wieder berufst?tig zu werden. Andere, die in Berlin bei ihrer Familie blieben, wurden deportiert und umgebracht.
Wie konnten Sie das herausfinden?
Boehl: ?ber Juristinnen gibt es ein gutes Lexikon von Marion R?wekamp. Wir haben in Suchmaschinen, in Datenbanken von Yad Vashem und im Universit?tsarchiv recherchiert. Vor allem die Promotionsakten geben Aufschluss darüber, wer wann worüber geforscht hat.
Verwaltungsangestellte kommen in solchen Quellen aber nicht vor...
Boehl: Das war tats?chlich die schwierigste Gruppe für uns. Es gibt kaum Forschung dazu – und diese ist teils fehlerhaft oder unvollst?ndig.
Kokott: Es gibt nur wenige Beispiele, weil viele Akten nicht mehr vorhanden sind und weil der Verwaltungsaufbau deutlich anders war als heute. Nur die Bibliothek hat über viele Mitarbeitende verfügt. Unsere Fakult?t hatte kaum Verwaltungsmitarbeiter.
Wo sehen Sie noch Leerstellen zur weiteren Erforschung?
Boehl: Das Thema k?nnte besser ins Studium integrieren werden, damit sich mehr Studierende damit besch?ftigen und zum Beispiel zu einzelnen Biographien promovieren. Um die Juristische Fakult?t herum k?nnten mehr Stolpersteine verlegt werden. Unsere Erinnerungssteine liefern hoffentlich den Ansto? dafür.
Die Fragen stellte Isabel Fannrich-Lautenschl?ger
?ber die Ausstellung ?Nationalsozialistische Verfolgung an der Juristischen Fakult?t“
Die Rolle der Juristischen Fakult?t bezogen auf den Nationalsozialismus bestand vor allem in der ?bernahme und Umsetzung der nationalsozialistischen Ideologie, die im Fakult?tskontext aus einer Verschr?nkung von physischer Repression und legal gewordener Diskriminierung bestand und Ergebnis eines Radikalisierungsprozesses mithilfe des Rechts war. Dies bedeutete, dass jüdische Professor:innen, aber auch Studierende und Promovierende ab 1933 aus der Fakult?t vertrieben wurden.?
Die Unsichtbarkeit der Ver?nderung des Lebens der ab 1933 Verfolgten im Fakult?tsgeb?ude steht dabei in einem krassen Missverh?ltnis zu der Bedeutung, die diese Ausschlüsse im Leben der Betroffenen hatten.
Die Recherchegruppe zur Sichtbarmachung nationalsozialistischer Verfolgung an der Juristischen Fakult?t der Humboldt-Universit?t hat den 90. Jahrestag der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz zum Anlass genommen, um an die nationalsozialistische Verfolgung zu erinnern und die Art, wie diese an der Juristischen Fakult?t geschah, sichtbar zu machen.?
Dazu hat die Recherchegruppe eine Ausstellung entwickelt, die sich mit vier 金贝棋牌feldern besch?ftigt, für die wir Leerstellen in der ?ffentlichen Erinnerung an die Fakult?tsvergangenheit sehen:
- Biographische Forschung zu verfolgten Studierenden
- Vertreibung des wissenschaftlichen Nachwuchses
- Doppelte Diskriminierung von verfolgten Frauen
- Verfolgung von Verwaltungsmitarbeitenden
Die Ausstellung wird am 10. Mai im Foyer der Juristischen Fakult?t er?ffnet und dort für vier Wochen ausgestellt werden.?