Einordnung der Ereignisse
Chronologie des 10. Mai 1933
Prof. Dr. Michael Wildt
Die Aktion am 10. Mai begann um 19 Uhr mit der Antrittsvorlesung des neu berufenen Professors für Philosophie und politische P?dagogik Alfred Baeumler. Der überzeugte Nationalsozialist rief die Studenten auf, Hitler zu unterstützen. Umrahmt von einer Abordnung von SA-Studenten, die mit Hakenkreuzfahnen neben dem Vortragspult Aufstellung genommen hatten, erkl?rte er am Schluss seiner Rede: ?Sie ziehen jetzt hinaus, um Bücher zu verbrennen, in denen ein uns fremder Geist sich des deutschen Wortes bedient hat, um uns zu bek?mpfen. [...] Was wir heute von uns abtun, sind Giftstoffe, die sich in der Zeit einer falschen Duldung angesammelt haben. Es ist unsere Aufgabe, den deutschen Geist in uns so m?chtig werden zu lassen, da? sich solche Giftstoffe nicht mehr ansammeln k?nnen.“
Danach zog eine Demonstration vom Hauptgeb?ude der Universit?t zum Studentenhaus in der Oranienburger Stra?e, wo Lastkraftwagen mit rund 25.000 Büchern warteten, die studentische Gruppen in den Tagen zuvor bei den Volksbibliotheken und ?ffentlichen Bücherhallen eingesammelt hatten. Mehrere tausend Studenten h?rten die Rede des Führers des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes in Berlin und Brandenburg, Fritz Hippler, der sp?ter Reichsfilmintendant unter Goebbels werden sollte, und marschierten dann mit brennenden Fackeln im str?menden Regen über das Brandenburger Tor zum Opernplatz. Tausende Schaulustige, Professoren in ihren Talaren s?umten den Weg.
Dort war bereits ein Scheiterhaufen errichtet worden, der wegen des Regens von Feuerwehrleuten mit Benzin übergossen worden war, damit er hell aufloderte. Mit den Worten ?Ich übergebe dem Feuer die Schriften von....“ warfen die Studenten die Bücher von Bertolt Brecht, Sigmund Freud, Erich K?stner, Irmgard Keun, Heinrich und Klaus Mann, Anna Seghers, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky und vielen anderen Autorinnen und Autoren ins Feuer. K?stner, der sich in der Menschenmenge verborgen hatte, verfolgte die Bücherverbrennung in Berlin pers?nlich und musste zusehen, wie seine Werke in Flammen aufgingen.
Zum Abschluss der Aktion sprach um Mitternacht Joseph Goebbels und beschimpfte hasserfüllt ?Asphaltliteraten“, ?jüdischen Intellektualismus“, ?Marxismus“, ?Untermenschentum“. Die geistige Grundlage der ?Novemberrepublik“ sei zu Boden gesunken und ein neuer Geist steige wie ein Ph?nix aus der Asche der verbrannten Bücher hervor.
Schon im Kaiserreich war der Antisemitismus an deutschen Universit?ten virulent. In der Weimarer Republik führte die Deutsche Studentenschaft eine heftige Auseinandersetzung mit dem preu?ischen Kultusministerium darüber, ob jüdische Studierende ihr angeh?ren sollten. Linke und jüdische Professoren wurden angegriffen, ihre Vorlesungen gesprengt. Seit 1928 errang der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund zunehmend Erfolge bei den Studentenparlamentswahlen und wurde zur dominierenden politischen Kraft lange vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten im Reich. 1931 wurde erstmals ein Nationalsozialist an die Spitze der Deutschen Studentenschaft gew?hlt.
Die Bücherverbrennung war zwar nicht vom Propagandaministerium oder der NSDAP-Führung angeordnet worden, sondern geschah auf Initiative nationalsozialistischer Studenten. Aber etliche Stellen in Berlin unterstützten die studentische Aktion. Innerhalb der Berliner Bibliotheken hatte sich bereits im M?rz 1933 ein Ausschuss gebildet, der systematisch schwarze Listen mit unliebsamen Autoren aufstellte. Mit diesen Listen wurden die ?ffentlichen Büchereien ?ges?ubert“, die aussortierten Bücher holten Studenten der Berliner Universit?t für ihre Bücherverbrennung ab. Schon im April hatte sich die Deutsche Studentenschaft mit einer Plakataktion ?12 Thesen wider den undeutschen Geist“ hervorgetan, mit der zum Kampf gegen den ?jüdischen Geist“ aufgerufen und eine ?Auslese von Professoren und Studenten“ gefordert wurde. These 4 lautete: ?Unser gef?hrlichster Widersacher ist der Jude, und der, der ihm h?rig ist.“
Bücherverbrennung, Plakataktion, Entlassung jüdischer und linker Wissenschaftler und anderer Universit?tsangestellter, Relegation von jüdischen und sozialistischen Studierenden – all das wurde der Berliner Universit?t nicht von oben aufgezwungen, sondern geschah aus ihr selbst heraus. Es waren Professoren und Studenten, die in der antisemitischen und antimarxistischen ?Selbstreinigung“ der Universit?ten die Unabh?ngigkeit der Wissenschaft zerst?rten, den wissenschaftlichen Ethos ausmerzten. Daran will die Humboldt-Universit?t heute, 80 Jahre nach der Bücherverbrennung, erinnern, sich ihrer Verantwortung stellen und zugleich mit gegenw?rtigen Bedrohungen von Wissenschaft auseinandersetzen. Das Motto der Gedenkwoche mit zahlreichen 金贝棋牌 ist deshalb als Frage formuliert: ?Verbranntes Wissen?“ Die Bücherverbrennungen 1933 waren als Akt der Vernichtung von Wissen gedacht, als Ausl?schung von denkenden und schreibenden Menschen. Lie? sich deren Wissen wirklich zerst?ren? Gelang den Nationalsozialisten, dass diese Autorinnen und Autoren vergessen wurden? Knüpfen wir an ihr Wissen an? Gibt es gegenw?rtig Verh?ltnisse, in denen Wissen vernichtet werden soll? Was hei?t es heute für uns, an die Bücherverbrennungen 1933 zu erinnern? Die Gedenkwoche ist daher sowohl ein Akt der Erinnerung an die Verfolgten, als auch ein Moment der Selbstreflexion über das eigene Tun.
Prof. Dr. Michael Wildt
Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universit?t zu Berlin
Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt im Nationalsozialismus