Kaspar Renner
Humboldt-Preis für seine Magisterarbeit
"Das Gesetz innerer Verwandschaft". Ursprung, Ged?chtnis und Evolution des Rechts. Studien zu Friedrich Carl von Savigny und Jacob Grimm
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Zusammenfassung
Meine Magisterarbeit unternimmt den Versuch, eine gemeinsame Wissenschaftsgeschichte der Philologie und der Jurisprudenz zu schreiben. Im Mittelpunkt steht dabei eine Konstellation um Jacob Grimm und Friedrich Carl von Savigny. Heute gelten diese Gelehrten als Gründerv?ter zweier Wissenszweige, die sich disziplin?r ausdifferenziert haben. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts sind historische Sprach- und Rechtsgelehrsamkeit jedoch noch eng verbunden. Dies ist das ?Gesetz innerer Verwandtschaft“ (Friedrich Carl von Savigny: System des heutigen r?mischen Rechts) zwischen beiden Disziplinen, das die Arbeit aufzeigen will: Sowohl Grimm als auch Savigny arbeiten an einem gemeinsamen Projekt, das darauf zielt, die Quellen einer kollektiven Vergangenheit zu erschlie?en und ihnen Sinn für die Gegenwart zu verleihen. In ihrem Rückgang auf kulturelle Ursprünge entwickeln beide Forscher jene Verfahren der Hermeneutik und Kritik, die bis heute grundlegend für die historischen Geisteswissenschaften sind. Die Arbeit rekonstruiert diese geschichtliche Entwicklung, um zugleich Perspektiven zu er?ffnen, wie philologische und juristische Fakult?t in Zukunft kooperieren k?nnten.
Den Ausgangspunkt meiner Darstellung bildet der Jahreswechsel 1802/1803: Savigny h?lt damals an der Universit?t Marburg eine Vorlesung über ?Juristische Methodologie“, die im H?rsaal von einem ?stud. iur.“, sp?teren ?stud. phil.“ mitgeschrieben wird, der Jacob Grimm hei?t. In diesem Transfer des gesprochenen Worts in die Schrift ist bereits eine doppelte Transformation vorgezeichnet, die das Rechtswissen in der ersten H?lfte des 19. Jahrhunderts vollziehen wird. So entwickelt Savigny von seiner Vorlesung ausgehend zwei wesentliche Techniken, auf die sich seine Philologie des Gesetzes gründet: Einerseits textkritische Verfahren, die das r?mische Recht in seiner ursprünglichen Gestalt rekonstruieren sollen, andererseits eine Hermeneutik, die m?gliche Lücken des Gesetzes schlie?t und Widersprüche aufl?st. Savignys Auslegungslehre erweist sich als überaus modern, da sie das Verstehen unmittelbar an die Anwendung bindet: Die Regeln der richtigen Auslegung sollen erst aus dem Gesetzesvollzug gewonnen werden. Ein universit?rer Ort, an dem dieses anwendende Verstehen eingeübt werden kann, ist das Spruchkollegium der Berliner Universit?t, an dessen Neubegründung Savigny federführend beteiligt ist.
W?hrend sich in der Exegese der r?mischen Quellen die Konturen eines geschlossenen Rechtssystems herausbilden, das bis in die Gegenwart wirksam ist, entwickelt Jacob Grimm unter Rückgriff auf die Zeugnisse des germanischen Rechts eine Wissensform, die heute fast vergessen scheint. Sowohl in seinem frühen Aufsatz ?Von der Poesie im Recht“ (1816), in dem nichts weniger als die Gleichursprünglichkeit von Recht und Poesie behauptet wird, als auch in seinem sp?teren Werk der ?Deutschen Rechtsalterthümer“ (1828) stellt Grimm ein Korpus von Quellen zusammen, das die Historiographie lange nicht berücksichtigt hatte: Neben dem geschriebenen Gesetz rückt das gesprochene Wort in den Fokus, das Gericht wird als konkrete ?rtlichkeit erkundet, Grimm erschlie?t die Sph?re symbolisch vollzogener Rechtshandlungen und erstellt ein Archiv ganz handgreiflicher Rechtsdinge. Somit führt Grimms ?alterthumskunde“ nicht nur die ?antiquarische“ Gelehrsamkeit des 18. Jahrhunderts fort, sondern weist bereits auf ?arch?ologische“ Projekte des 20. Jahrhunderts voraus: In seinen Schriften ist skizziert, woran Grenzg?nger im interdisziplin?ren Dreieck von Philologie, Jurisprudenz und Kulturwissenschaft w?hrend der letzten Jahrzehnte gearbeitet haben: Eine gegenw?rtige Kulturtheorie des Rechts.
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