Humboldt-Universit?t zu Berlin

?Jedes noch so kleine Wegstück spielt eine Rolle“

Der Kunstm?zen Heinz Berggruen über seine Zeit als Student ?Unter den Linden“ und die Kunst als Lebensweg

Ausschnitte aus dem Video-Interview

?

Das Interview in voller L?nge

Heinz Berggruen (1914 - 2007) galt als einer der bekanntesten Kunstsammler Europas. 1932 begann er ein Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu Berlin, der heutigen Humboldt-Universit?t. Sp?ter emigrierte er nach Frankreich und in die Vereinigten Staaten. W?hrend des Zweiten Weltkrieges kam er mit der US-Army nach Deutschland zurück. Berggruen war ein Freund Picassos. Im Jahr 2000 konnte die Stiftung Preu?ischer Kulturbesitz mit Mitteln des Bundes und des Landes Berlin die auf 750 Millionen Euro gesch?tzte Sammlung für einen wesentlich geringeren Betrag erwerben. Im Gespr?ch erz?hlte er über sein Leben und darüber, welche Bedeutung die Berliner Universit?t für ihn hatte.

Professor Berggruen, wenn Sie heute von der Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu Berlin h?ren, was ist Ihre st?rkste Erinnerung?

Ich fürchte, da f?llt mir nicht viel ein. Nicht nur, weil es schon lange her ist, sondern, weil es auch eine sehr kurze Zeit war. Ich war sehr unruhig war, weil ich noch nicht wusste, was genau ich machen wollte. Die Universit?t war überlaufen, so wie sie es wohl auch heute noch oder gerade wieder ist. Und ich hatte meinen Platz noch nicht gefunden.

Aus diesem Grund streifen diese Zeit in Ihrer Autobiographie wohl gar nicht?

Sechs Monate sind halt nur eine sehr kurze ?bergangszeit.

Wie kam es dazu, dass Sie sich in Germanistik einschrieben? Sie stammen aus einem eher amusischen Elternhaus.

Ich hatte das Abitur gemacht und wie sich das so in bürgerlichen Familien geh?rt, kam nun das Studium. Ich hatte bald das Gefühl, ich brauchte eine andere Umgebung, um mich so zu schulen, wie ich es beabsichtigte. Dann bin ich nach Frankreich gegangen. Also, nicht aus politischen Gründen oder, wie man damals vielleicht gesagt h?tte, aus rassischen Gründen. Ich bin nach Frankreich gegangen, weil ich auf der Schule Franz?sisch lernte. Ich war auch sehr an franz?sischer Literatur, an Romanistik, interessiert.

Warum sind Sie nicht schon nach dem Abitur 18-j?hrig nach Frankreich gegangen?

Damals war mir noch gar nicht klar, was Universit?t bedeutet. Das habe ich dann erst mitbekommen, wie ich mich inscrebiert habe Unter den Linden bei der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universit?t. Und dann habe ich aber gemerkt, ich wollte ein gr??eres, weiteres Feld als das, was mir da geboten wurde. Die Idee nach Frankreich zu gehen hat mich stimuliert.

K?nnen Sie sich an das Procedere der Einschreibung an der Friedrich-Wilhelms-Universit?t erinnern?

Nichts Feierliches, nur Routine. Man schrieb sich ein, wie man sich für eine Wahl einschreibt. Es war alles viel zu unpers?nlich und viel zu anonym. Man ging als Individuum dabei unter. Es hatte nichts Individuelles. Das ist wahrscheinlich recht oft so bei einer gro?en Universit?t.

Wie war das Verh?ltnis zu Ihren Dozenten?

Es war beinahe abstrakt. Das hat wahrscheinlich auch dazu beigetragen, dass ich so schnell Berlin und die Universit?t hier verlassen habe. Es fehlte die Art von 金贝棋牌, nach dem ich mich wohl sehnte und den ich dann tats?chlich sehr schnell, obwohl als Ausl?nder mit einer begrenzten Sprachkenntnis, erfolgreich fand.

Heinz Berggruen in seinem Arbeitszimmer Sie gingen nach Frankreich, erst nach Grenoble, dann nach Toulouse.

Ja, das war ein Riesenunterschied. Denn pl?tzlich waren keine Eltern mehr da. Ich war auf mich gestellt, aber ich habe sehr schnell gute 金贝棋牌e gefunden, vor allem zu franz?sischen Studenten. Ich hatte neun Jahre Franz?sisch auf der Schule. Es war nicht aufregend gut, aber es war doch gut genug. Ich habe eine ganze Clique von Kommilitonen in Toulouse gehabt, mit denen ich dann zusammen sa? und zusammen arbeitete und zusammen diskutierte. Und zusammen Dummheiten machte.

Aber nach zwei Jahren hat Sie dann Ihre Mutter wieder zurück geholt nach Berlin.

Richtig. Mein Vater traf mich in Paris, um mit mir ans Meer zu gehen. Ferien. Und dann fuhr er zurück und ich blieb noch ein bisschen in Paris und meiner Mutter hat das nicht gepasst. Für die war ich noch ein Kind, obwohl ich ja da schon 20 Jahre alt war. Sie hat mich zurück geholt. Sie hat mich richtig zurück geprügelt: So jetzt langt's. Du treibst dich hier rum, statt ein vernünftiger Mensch zu werden.

Was war denn Ihr Berufsziel?

Ich wollte Journalist werden. Schriftsteller. Eindeutig.

Und das hat Ihrer Mutter nicht gefallen?

Das h?tte Ihr schon gefallen. Im Gegenteil. Aber für sie war Paris ein Sumpf. Sie wollte ihren Sohn nicht in einem Sumpf haben. Ich hatte einen Vater, der sehr, sehr sanftmütig war und eine h?chst energische Mutter. Das war genau 1934/35 und Hitler war schon an der Macht, wie man wei?. Aber ich hab das überhaupt nicht ernst genommen. So wie viele andere jüdische Menschen. Sonst w?re ich ja nicht zurück gekehrt. Man glaubte eben, dass es ein Spuk sei, der vorbei geht.

Dann haben Sie die Bücherverbrennung im Mai 1933 auf dem Platz vor der Universit?t nicht erlebt?

Genau da war ich nicht da. 1933 war ich in Toulouse und ganz mit der franz?sischen Literatur befasst und das war alles noch weit weg von mir. Aber dass ich den Plan hatte, selber in die Literatur einzusteigen und zu schreiben, Journalist zu werden, das war schon eindeutig. Und das habe ich dann auch getan, als ich nach Berlin zurück kam. Ich schrieb für die Frankfurter Zeitung. Ich bin ganz sicher ihr ?ltester lebender Mitarbeiter. Ich habe 1935 meine ersten Feuilletons für die FAZ geschrieben, damals hie? sie Frankfurter Zeitung.

Heinz Berggruen, Foto: Heike Zappe Sie waren bis 1936 in Berlin und haben sich aber dann entschlossen, in die USA zu gehen.

In dieser Zeit habe ich diese Feuilletons geschrieben. Aber ich merkte, ich hatte keine Zukunft hier.

Was ist vorgefallen?

Mich hat man nie angegriffen, angespuckt oder was wei? ich. Es war alles noch vor der Reichskristallnacht. Noch vor der Zeit, zu der, auf Anregung der Schweizer übrigens, jüdische Menschen einen jüdischen Vornamen in ihren Pass eintragen mussten, die Frauen ?Sarah“ und die M?nner ?Israel“. Ich merkte es, als ich von der Frankfurter Zeitung h?rte, sie würden gerne weiter meine Feuilletons ver?ffentlichen, aber nicht unter meinem Namen. Er k?nnte als jüdisch interpretiert werden: Berggruen. Sie haben dann die Artikel tats?chlich nur mit meinen Initialen erscheinen lassen: h.b.. Da spürte ich, das sind Einschr?nkungen, auf die ich mich nicht einlassen m?chte. Ich sah einfach keine Zukunft. Ich wollte eine intensive, sch?ne Zukunft haben. Und da bin ich besser aufgehoben, wenn ich weggehe.

Sie haben Ihre Memoiren ?Hauptweg und Nebenwege“ genannt. Nach dem Titel eines Bildes von Paul Klee. Ein Hauptweg war offensichtlich die Emigration nach Amerika?

So würde ich nicht sagen, nein. Der Hauptweg war die Kunst. In Frankreich war ich zu sehr mit franz?sischer Literatur befasst. Das Interesse für die Bildende Kunst kam erst, als ich in Amerika war. Das Ganze wurde über die Jahre eine Art Besessenheit. Die Beziehung zur Malerei hat sich st?ndig verdichtet. Es hat sich so ergeben.

War das ein sinnliches Gefühl oder schon der Intellekt, da passiert etwas Gro?artiges?

So kann man es ausdrücken. Es ist ein absolut sinnliches Gefühl. In San Franzisco habe ich einen gro?en Freskenmaler kennen gelernt: Diego Rivera. Die Beziehung zu ihm war für mich sehr wichtig. Ganz zu schweigen von seiner Frau Frida Kahlo. Das waren Erlebnisse, die mich sehr in diese Richtung bewegt haben, die bildende Kunst. Das hat sich dann noch sehr viel st?rker entwickelt, als ich durch den Krieg nach Europa zurück kam und mich in Frankreich etablierte, meiner damaligen Wahlheimat.

Warum haben Sie nach dem Studium nicht den Weg des Wissenschaftlers eingeschlagen?

Ich habe keine besondere Begabung, was Wissenschaft betrifft. Keine ausgesprochenen Kenntnisse, auch keine intensive Neugier. Die Wissenschaft ist eine ferne Welt für mich. Die Kunst nicht.

Aber die Kunstwissenschaft vielleicht?

Das ist mir dann wieder zu trocken, zu abstrakt, zu theoretisch. Die Beziehung, die ich zur Kunst habe, ist, um Ihr Wort zu gebrauchen, eine rein sinnliche.

Haben Sie selbst gemalt?

Nein. Ich wei? einfach, dass ich nicht malen kann. Wenn andere das Bedürfnis haben - es gibt ja so unendlich viele, die das Bedürfnis haben, sich durch Malerei auszudrücken -, dann sollen sie es tun. Aber die meisten haben nicht viel zu sagen.

Heinz Berggruen vor Picassos Dora Maar
Heinz Berggruen Heinz Berggruen
Der Kunstsammler Heinz Berggruen im Interview, Fotos: Heike Zappe

Sie sind w?hrend des Zweiten Weltkriegs wieder zurück gekommen nach Europa als US-Soldat, ?hnlich wie Stefan Heym. Wie haben Sie das Nachkriegsdeutschland erlebt?
Das Nachkriegsdeutschland habe ich noch als amerikanischer Soldat erlebt in Trümmern. In einem elenden Zustand. Es war kaputt. Es ist war ein gro?er Steinbaukasten, der zertrümmert ist, fertig.

Und die geistigen Trümmer?

Da war Verwirrung, Zerst?rung, Hilflosigkeit und der Versuch, sich zurecht zu finden. Es war eine ziemlich traurige Angelegenheit.

1957 haben Sie sich von der Humboldt-Universit?t eine Studienbescheinigung ausstellen lassen; wofür?

Ich bekam einen Doctor honoris causa von einer amerikanischen Universit?t. Sie hatten mich gebeten haben, alle Papiere zusammenzusuchen, die bezeugen, dass ich studiert und einen Magister gemacht habe.

War die Berliner Universit?t für Sie ein ?Nebenweg“?

Ein kleiner Nebenweg. Eine Gasse. Aber jedes Stück spielt eine Rolle, nicht? Sie war Anregung genug dafür, dass ich dann nach Frankreich ging, um meine Studien intensiv fortzusetzen.

Im Herbst 2001 fand ein Treffen von ehemaligen Studenten der Berliner Universit?t statt, die 1933 wegen ihrer jüdischen Abstammung vertrieben wurden. Warum sind Sie noch einmal auf Tuchfühlung gegangen mit dieser vergangenen Zeit?

Es war eine sehr noble Geste vom Pr?sidenten und von der Universit?t, denen, die Kommilitonen waren und rausgehen mussten, zu sagen, wir m?chten Sie in Erinnerung an die damalige Zeit einladen und Ihnen sagen, wie sehr wir es sch?tzen, dass Sie überhaupt kommen. Ich habe es sehr gerne gemacht.

Sie haben in diesem Interview mehrfach betont, dass Sie sich an vieles nicht mehr erinnern. Was macht für Sie das Wechselverh?ltnis zwischen Erinnern und Vergessen aus? Wie selektieren Sie Erinnerung?

Zum Teil ist es eine Zeitfrage. Ich erinnere mich ja auch nicht an Vieles, was in meiner Kindheit passiert ist. Das geht wohl jedem so. Es sind einfach zu viele Jahre vergangen. Und je n?her etwas liegt, was man gemacht hat, desto deutlicher sind ie Erinnerungen, au?er bei dem, was man unterdrückt hat. Also im Freudschen Sinne unterdrückt, weil es unangenehme Erfahrungen waren.

Sie sitzen hier auf einem Sofa unter sechs Schwarz-Wei?-Fotografien, die alle etwas verbindet, Ihre Verehrung für Pablo Picasso?

Richtig. Ja.

Heinz Berggruen Wie wichtig war Picasso für Ihren ?Hauptweg“ - die Kunst?

Ganz entscheidend. Er hat auf diesem Weg die allergr??te Rolle gespielt. Wie niemand sonst. Das liegt an zwei Dingen. Erstens sein Werk, für mich das bedeutendste Werk des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet der Bildenden Kunst. Und diese überragende starke Pers?nlichkeit. Ich hatte die Chance, die Gelegenheit, die M?glichkeit, ihn kennen zu lernen und eine freundschaftliche Beziehung zu entwickeln. Es ist gerade eine Biographie herausgekommen, von seinem Enkel Olivier geschrieben, in dem ich übrigens immer wieder zitiert werde.

Was sch?tzte denn Picasso an Ihnen ?

An mir? (Lacht.) Jetzt k?nnte ich die etwas t?richte Antwort geben, da muss man eher ihn fragen. Aber den kann man ja nicht fragen aus guten Gründen. Ja, ich vermute meine Neugier gefiel Picasso. Mein echtes Interesse an seinem Werk. Er war von unendlich vielen Leuten heimgesucht und die meisten hat er gleich wieder weg geschickt. Die hat er ignoriert, weil er es ganz schnell spürte, dass die einfach nur eine ganz oberfl?chliche Bekanntschaft suchten und überhaupt keine Beziehung zu seinem Werk hatten. Und bei mir muss er wohl von Anfang an gemerkt haben, dass ich sehr mit seinem Werk vertraut und besch?ftigt war.

Haben Sie ihm Vortr?ge gehalten?

Nein. Das h?tte ihn nur gelangweilt. Picasso hatte einen ungeheuren Charme, aber er war auch nicht unschwierig. Er war ungeduldig. Er wollte keine langen Geschichten h?ren. Er wollte einfach, dass man merkte, was er machte, worum es ging. Und das mit zwei, drei kleinen Fragen, die er einem stellte. Beinahe kann man sagen: Fangfragen. Wenn ihm das nicht gefiel, schickte er die Leute einfach weg: So, jetzt bin ich besch?ftigt. Auf Wiedersehen. Er konnte sehr rücksichtslos sein. Aber ich hatte das Glück, dass er mich durch und durch akzeptierte.

Welches Bild ist Ihr Lieblingsbild?

Es ist eine bestimmte Epoche, die man die ?Epoche Dora Maar“ nennen kann. Dora Maar, die vor zwei Jahren hochbetagt, kurz vor ihrem 90. Geburtstag, gestorben ist, kannte ich auch gut. Von dieser Epoche habe ich das Glück eine Reihe sch?ner Bilder zu besitzen. Es ist genau ein Portr?t von Dora Maar aus dem Jahre ’39, das für mich wahrscheinlich das wichtigste und reizvollste meiner ganzen Sammlung ist. K?nnen Sie es in Worte fassen, warum?
Es ist schwierig zu definieren. Es ist alles: der Zusammenklang vieler Elemente, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Das ist eben ein gro?er Wurf, was einen nicht losl?sst als Bild. Dieses Bild, das die Dora Maar mit dem gelben Pullover zeigt, es ist das Flaggschiff unserer Sammlung geworden.

Nehmen wir an, es gibt so etwas wie ein Leben nach dem Tod. Welche Bilder würden Sie mitnehmen wollen?

Das eben Genannte und ein ganz wichtiges Bild von Paul Klee aus dem Jahr ’31 von einer besonderen Technik, pointillistisch, divisionistisch. ?Klassische Küste“ hat er es genannt. Klee hat seinen Bildern wunderbare Titel gegeben. Und das ist auch ein gro?artiges Bild, das ich mitnehmen würde. Und die ?Seilspringerin“ von Matisse. Ich krieg den Sarg schon voll.

Was bezeichnen Sie denn als den Sinn Ihres Lebens?

Oh, wir steigen jetzt in tiefe Philosophie ein. Ja, der Sinn, etwas aufgebaut zu haben und ich habe ja meine Sammlung dem Bund geschenkt. Ich werde nicht mehr da sein, ich bin verg?nglich, wir sind alle verg?nglich, aber die Sammlung bleibt. Das ist ein sehr sch?nes, ein wichtiges Gefühl. Es ist eine Bereicherung für ein Land, das so zerst?rt war. Ein Beitrag in der Hoffnung, dass keine weitere Zerst?rung kommt. Man wei? ja nie.

Was geben Sie jungen Menschen mit auf den Weg?

Was für mich ganz wichtig ist und in gro?en Buchstaben geschrieben werden soll, ist Toleranz. Damit richtig umzugehen ist ungeheuer wichtig. Toleranz und gleichzeitig Bescheidenheit, Demut.

Das Interview führten J?rg Wagner und Heike Zappe.

Fotos: Heike Zappe

Das Interview entstand im September 2002. Es wurde im Rahmen des Projekts "Prominente Ehemalige der Humboldt-Universit?t zu Berlin" geführt. In dieser (gekürzten) Print-Fassung ist es erschienen in der Tagesspiegel-Beilage der Humboldt-Universit?t am 12.10.2002. Es liegt ungekürzt als Videomittschnitt vor.

Projektleitung
Heike Zappe

Heike Zappe

Corporate Design / Gestaltung

Tel.: +49 30 2093-12703
Fax: +49 30 2093-2107

heike.zappe@hu-berlin.de

Interviewreihe Prominente Ehemalige

?

?