?Es war zu spüren, dass Frechwerden geht“
Ein Interview mit Thomas Oberender, dem Intendant der Berliner Festspiele über seine erste Berührung mit der Bühne, Westberliner Studienstr?me in der Wendezeit und produktive Nutzlosigkeit.
Video-Interview mit Thomas Oberender
Das Interview in voller L?nge
Thomas Oberender, geboren 1966 in Jena, ist Autor, Dramaturg und Essayist. Er studierte von 1988 bis 1994 Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universit?t, wo er 1999 promovierte. Er befasste sich wissenschaftlich mit Reflexionen über Schauspielkunst, Regie und Theater von Botho Strau?. Er arbeitete in Bochum und Zürich, war von 2006 bis 2011 Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele und ist seit 2012 Intendant der Berliner Festspiele.
Herr Oberender, Sie haben am ?ltesten Theaterwissenschaftlichen Seminar der Welt, an der Humboldt-Universit?t, studiert. Welchen Stellenwert hat diese Sequenz in Ihrem Leben?
Das Besondere dieses Studiums war, dass es auf produktive Weise unpraktisch war. Das Studium ist letztlich die einzige Zeit im Leben, in der sie etwas lernen k?nnen, ohne dass es unmittelbar etwas nützt. Das Gelernte tr?gt seinen Reiz und Wert in sich. Das ist im Jura- oder Medizinstudium vielleicht anders, aber in einer kultur- oder geisteswissenschaftlichen Ausbildung bilden sie in dieser diffusen Weltkarte des Wissens erst mal so etwas wie eine pers?nliche Ahnung von intellektuellen Himmelsrichtungen, Kategorien und Breitengraden heraus.
Sie sind in Thüringen aufgewachsen; Jena und Weimar brachten bekannterma?en bedeutende Klassiker der deutschen Sprache und Literatur hervor. Hat Sie dieses geistige Umfeld in Ihrer Kindheit und Jugend beeinflusst?
Ob Weimar, die Dornburger Schl?sser oder der Anatomieturm in Jena, Schillers Gartenhaus in Jena, die Orte von Herder, Liszt und Nietsche in Weimar und Bad K?sen – ich bin der geschichtlichen Pr?senz dieser Pers?nlichkeiten an diesen Orten, die ja doch auch immer für ein anderes Land, eine andere Geschichte standen, relativ früh bewusst geworden.
Fühlten Sie sich dem jungen Werther nahe?
?berhaupt nicht, nein (lacht). Ich hab keine gelbe Weste getragen und war auch nicht suizidgef?hrdet.
In welchen famili?ren Verh?ltnissen sind? Sie aufgewachsen?
Ich bin ein Einzelkind, meine Eltern waren in der DDR so genannte Intelligenzler, also Akademiker. Sie haben sich, wie man so sagt, aus den Verh?ltnissen, aus denen sie stammen, raus gearbeitet, obwohl man als Akademiker damals bis in die Mitte des Lebens weniger verdient hat als viele Industriearbeiter. Einen Teil meiner frühen Kinderjahre habe ich bei meinen Gro?eltern verbracht – meine Mutter hat in Jena, mein Vater in Berlin an der Humboldt-Uni studiert. Das hat einen Teil der Legende dieser Universit?t in unserer Familiengeschichte ausgemacht. Ich hab mein Elternhaus mit dem Abschluss der 10. Klasse verlassen, bin in ein Internat gewechselt nach Weimar. Hab dort eine Berufsausbildung mit Abitur gemacht als Maschinenanlagenmonteur und war mit 16 also schon wieder weg aus Jena.
Wann hat sich Ihre Affinit?t für das Theater herausgebildet?
Mein Gro?vater war Bühnenbildner. Aber erst in der Berufsschule in Weimar wurde ich durch einen guten Lehrer, der vielleicht auch mein Talent spürte, auf einen Jugendclub am Nationaltheater hingewiesen. Dort begann ich zu spielen. Ich war der Vogel Nummer acht in ?Die V?gel von Aristophanes“. Ein Stadttheaterschauspieler erarbeitete mit jungen Leuten die Produktionen.
Was bedeutete Ihnen die Berührung mit der Bühne?
Das war für mich ein Ausbruch aus der Welt, in der ich bis dahin lebte. Ich kam mit andersartigen, jungen Menschen in Berührung, was mir sehr wohl tat. Der Horizont erweiterte sich explosionsartig. Von da hat habe ich entschieden, den sozialistischen Planwirtschaftsweg, der für mich vorgesehen war, durch die Berufsausbildung und die Vorgabe der Studienrichtung, der man sich verpflichten musste, zu verlassen und bin ausgestiegen. Nach dem Abitur begann ich als Bühnentechniker am Theater in Rudolstadt zu arbeiten, weil ich unbedingt in diese Welt reinkommen wollte.
Weil es zu wenige Pl?tze auf der erweiterten Oberschule (EOS) gab und Sie kein Arbeiterkind waren, musste Sie nach einer Alternative suchen, um das Abitur ablegen zu k?nnen.
Das stimmt, ich hatte zwar die besten Noten in der Klasse, aber der Abiturplatz an der EOS ging weg an ein Arbeiterkind, meinen besten Freund übrigens, das war in der 8. Klasse. Ein ?hnliches Problem gab es in der 10. Klasse noch mal, aber meine Eltern fanden mit sehr viel Engagement und Eingaben die erw?hnte Lehrstelle für mich in einem Schwermaschinenbaukombinat. Dort konnte ich neben der Berufsausbildung ein eingeschr?nktes Abitur machen. Allerdings musste ich mich als 15-J?hriger verpflichten, nach meinem Abitur ein Ingenieursstudium zu absolvieren, um sp?ter für einen kleinen Landmaschinenbaubetrieb in Rudolstadt, der Melkanlagen und Futtersilos baut, zu arbeiten. Mein ganzer Lebensweg war mit 15 beschlossene Sache!
Nach dem Abitur mussten junge M?nner zun?chst in der Volksarmee dienen. Bei Ihnen waren das drei Jahre, warum?
Ich hatte mich verpokert. Ich wollte nicht in die SED, hatte aber in der 12. Klasse entschieden, dass ich Theaterwissenschaften studieren will. In diesem Zusammenhang kamen nur die Humboldt-Uni oder die Uni Leipzig in Frage. Und da ich die Jugendgeschichten meines Vaters im Ohr hatte und Berlin immer als eine Art von freier Stadt in der DDR erlebt habe, wollte ich dorthin. Es wurden alle zwei Jahre zw?lf Leute immatrikuliert. Da die meisten Studenten dort mit Beziehungen hinkamen, die ich nicht hatte, dachte ich, drei Jahre bei der Armee würden mir helfen. Ich hatte aber die Hoffnung, bei meiner ersten Bewerbung genommen zu werden, um dann zurückzuziehen und nur eineinhalb Jahre gehen zu müssen.
War Ihr Bewerbungsgespr?ch erfolgreich?
Im ersten Anlauf nicht. Es fehlte die theaterpraktische Erfahrung. So kam ich ins Abitur, hatte keinen Studienplatz, eine erneute Bewerbung war ohne Armeedienst nicht m?glich. Also musste ich einrücken, und das war ziemlich furchtbar. Nach zwei Jahren durfte ich erneut zum Eignungsgespr?ch.
Die meisten Studierenden in der Theater- oder Kulturwissenschaft hatten vor dem Studium in Galerien, Kulturh?usern oder Theatern gearbeitet. Hat sich das auf das Klima in der Seminargruppe ausgewirkt?
Ich fand meine Kommilitonen gr??tenteils reifer, weil sie aus Künstlerfamilien kamen oder schon am Theater als Regieassistenten gearbeitet hatten. Im Vergleich zu ihnen, verschüchtert, wie man von der Armee eh zurück kam ins zivile Leben, war ich ein Grünschnabel und kleinlaut, zumal ich heftig an einem Provinzlerkomplex litt.
Sie begannen Ihr Studium ein Jahr vor dem Fall der Mauer...
Ich hab das G?hren im Land in der Armee wie unter der K?seglocke erlebt. Die war ja ein geschlossener Kosmos, der die Welt drau?en komprimiert zeigte, auch wenn er versuchte, sich von ihr zu isolieren. Doch selbst in den Kasernen hat sich die Bewegung des Landes spürbar gemacht; viele Kameraden sprachen freier, als ich das vorher kannte. Als ich '88 rauskam, war klar, dass was Abenteuerliches im Gang ist.
K?nnen Sie die Situation in Berlin und speziell an der Uni beschreiben?
Im Studiengang pr?gten geistig sehr liberale Leute die Atmosph?re. In diesem Theoriestudium gab es Strukturen und Studienbedingungen, die eigentlich einer Kunsthochschule entsprachen. Wir waren zw?lf Studenten. In West-Berlin waren es tausend. Man hatte ein sehr intimes Verh?ltnis zu den Lehrern. Die waren zwar alle in der Partei; aber alle auch irgendwie clever, offen, ein bisschen verschwurbelt, also um zwei linke Ecken denkend, aber eben so, dass dahinter ein Freies Feld lag. Wie zum Beispiel mein Doktorvater, Professor Fiebach, der in Afrika unterwegs war. Sie hatten Reiseerlaubnis und haben sich mit Lyotard wie mit der Westberliner Schaubühne besch?ftigt, sie führten uns ins intellektuelle Exil.
Mindestens zweimal im Studium sollte man am Studentensommer teilnehmen. Haben Sie?
Jeder bekam ja Geld vom Staat, und das nicht als Kredit, sondern als Stipendium, um zu studieren, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Und dafür mussten wir, vielleicht auch, damit man den 金贝棋牌 mit der werkt?tigen Klasse nicht verliert, als Gegenleistung Arbeitseins?tze leisten. Ich war daher Heizer an der veterin?rmedizinischen Fakult?t und im Reinigungstrupp des Hauptgeb?udes. Sp?ter arbeitete ich auch als Pfleger in der Unfallambulanz eines Krankenhauses in Pankow, in einer Zeit, wo viel medizinisches Personal die DDR fluchtartig verlassen hatte und es akuten Personalmangel gab.
Der Parteileitung waren die progressiven Geister der Sektion ?sthetik/Kunstwissenschaften offenbar nicht recht; Ende der 80er Jahre drohte die Sektion wegen ?Gorbatschowinismus“ abgewickelt zu werden.
Gespürt habe ich ein Aufatmen unter der Dozentenschaft in der Wendezeit, denn intellektuell waren sie ja eh l?ngst schon dissident, schrieben uns Giftscheine für die Bibliotheken aus und ermunterten uns zu freier Rede, aber zugleich waren die Chefs nun nicht eben das, was man Stra?enk?mpfer nennt. Der ?ngstliche Parteisekret?r, froh, endlich habilitiert zu sein, würde nicht in erster Reihe mitdemonstrieren, das war klar. Dennoch war an der Uni zu spüren, dass Frechwerden geht: dass das zum Erwachsenwerden geh?rt. Dazu sind wir ermuntert worden, zum Selberdenken, und ich danke ihnen dafür bis heute.
Wie schlug sich der politische Umbruch in den Studieninhalten nieder?
Meinen allerersten Text, ein Essay über Heiner Müllers Inszenierung ?Der Lohndrücker“, durfte ich in den Dramaturgischen Bl?ttern des Deutschen Theaters ver?ffentlichen. Das war ziemlich verrückt, da ich ein Student des ersten Studienjahres war, und dennoch selbstbewusst genug, diesen Beitrag an Alexander Weigel, meinem Idol als Dramaturg, zu schicken. In diesem Text sagte ich, dass es einerseits gut ist, wenn ein lange Zeit tabuisiertes Stück aus den Gründerjahren der DDR nun endlich gespielt werden kann. Wichtiger aber w?re, dass dieser Vorgang Folgen hat, die über die Aufführung hinausgehen – dass sich das Land ver?ndert. Nur ?sthetische Folgen oder Erfolge fand ich zu wenig. Und das konnte ich mehr oder weniger damals so schreiben, und es wurde gedruckt.
Hatte es für Sie Folgen an der Uni?
Im Gegenteil: Unser Dramaturgieprofessor, Herr Kautz, befreite mich fortan von allen Prüfungen – als Erstsemestler (lacht)! Dozenten wie er waren Leute, die ihr Akademikerdasein als Lebensfreiraum genutzt haben. Im Grunde fand er uns zu recht ziemlich bl?d, weil wir ahnungslos waren, und er doch immerhin schon die Nazizeit und die Stalinjahre überlebt hatte – und zwar mit Humor, also durch Schmerz gesch?rfte Intelligenz. Das wurde eben, wo es ging, weitergegeben. Insofern war da schon immer ein Loch in der Mauer.
Mit dem Mauerfall ergaben sich für Sie v?llig neue Perspektiven...
Das eine war, dass sich uns die Welt ?ffnete. Wir konnten nun auch Lehrangebote in Westberlin nutzen. Andererseits kamen auch Westberliner Studenten an die HU. Es sprach sich herum, dass es ein interessantes Studium ist und auch deutlich progressiver als im Westen. Auf einmal waren wesentlich mehr Studenten in der Universit?tsstra?e 3b. Statt aller zwei Jahre zw?lf Leute waren es auf einmal 120, und bald wurden es drei- oder vierhundert.
Und Ihr Jahrgang?
Wir blieben in der kleinen Gruppe bis zum Abschluss. Wir haben jedoch einen Unterschied in der Lehrkultur erlebt. Zuvor hat man die Lehrkr?fte gesiezt und andersherum. Nun kamen sonnengebr?unte, gut gelaunte junge Dozenten, die ihre Stühle selber in den Seminarraum trugen und mit unseren Kommilitoninnen flirteten (lacht). Das waren die '68er Einflüsse, es politisierte sich schnell wieder, allerdings in einem anderen Sinne, der viel mit Arbeitsbedingungen und Berufswegen zu tun hat.
Gleichzeitig begannen Sie ein Studium an der 金贝棋牌 der Künste, der heutigen UdK.
Meine künstlerische Neigung führte dazu, dass ich mit dem Studiengang Szenisches Schreiben ein zweites, künstlerisches Studium in West-Berlin aufgenommen habe. Zwei Studien parallel studieren, das ging im Ausland nicht. Viele meiner Kommilitonen sind für ein oder zwei Semester ins Ausland gegangen, aber ich fand es immer viel zu aufregend, hier zu studieren.
Sie h?tten auch in Wien, Westeuropa oder Amerika weiter studieren k?nnen. Warum entschieden Sie sich, das Studium an der HU in Ost-Berlin abzuschlie?en?
Sie dürfen nicht vergessen, ich habe mir dieses Studium ja auch irgendwie erlitten. Die drei Jahre Wehrdienstzeit waren ein Opfer, das ich dafür gebracht habe. Ich war, als es endlich losging, so hungrig – ich habe sogar das Luftholen meiner Dozenten mitgeschrieben. Ich wollte alles wissen, das war mein Lebenstraum. Und ich war hochmütig genug zu glauben, dass ich das, was mich dort interessiert, sowieso nirgends besser studieren kann. Und vielleicht stimmte das sogar.
Wie stand es um das Verh?ltnis von Theorie- und Praxisanteilen in Ihrem Studium?
Ganz verblüffend ist, dass es zum Pflichtteil des Studiums geh?rte, eine Schauspielausbildung zu absolvieren. Und zwar im Lehrumfang der ersten beiden Semester des Grundstudiums, wie es an den Schauspielschulen üblich war: K?rpertraining, praktisches Szenenstudium und eine Grundausbildung in Schauspielkunst. Viele meiner Kommilitonen hatten das nicht mehr n?tig, da sie früher schon spielten, aber ich fand das sehr abenteuerlich nach meiner Frühzeit als Vogel Nummer Sieben am Nationaltheater in Weimar.
Sie haben Ihre Studienzeit als etwas Wertvolles in Erinnerung?
Komische Frage – klar, denn es war eine Ehre, weil die Dozenten sehr gut waren, die Aufnahme nicht selbstverst?ndlich, und der Geist einer war, der den Idealen Humboldts wohl irgendwie doch noch verpflichtet schien. Es war keine Parteihochschule. Die Bibliothek der Uni war zwar nicht uralt, nicht so alt wie in Oxford oder Cambridge, aber immerhin auch hier ?lter als der Staat. Und wie gesagt, wir hatten Lehrer, denen es um uns ging, die uns ermutigt haben zu schreiben oder zu reisen. Sie haben sich für uns Zeit genommen und etwas in uns ges?t. Ich kann mich nicht erinnern, dass einer von ihnen uns mal verraten h?tte an die Partei oder was auch immer. Theaterwissenschaft war an der Humboldt-Uni eine Auseinandersetzung damit, was man am Beispiel des Theaters über Gesellschaft und die Welt lernen kann. Und über den Menschen aus einer fast anthropologischen Perspektive. Das machte uns reicher, spezieller und assoziationsbegabt im Denken.
Nachdem Ihnen noch mit 15 Jahren aufgezeigt wurde, wie sich Ihr Leben bis zur Rente entwickeln würde, kamen w?hrend Ihrer Studienzeit Ihr Heimatland und damit diese vorgezeichnete Perspektive abhanden. Wie stellten Sie sich nun Ihr Berufsleben vor?
Erst mal gar nicht (lacht). Wie das dann so ist: Man promoviert erst einmal noch drei Jahre. Ich hatte überhaupt kein Praxisziel, was auch ganz gut war, weil ich dann letztlich nach der Promotion entschied, keine akademische Laufbahn zu gehen. Ich wollte so lange wie m?glich lernen und habe die Zeit der Promotion genutzt, um meine ersten Theaterstücke zu schreiben und lebte anschlie?end ja auch viele Jahre freiberuflich als Schriftsteller, bis ich Ende der Neunziger ans Theater gekommen bin.
Welche Beziehung haben Sie heute zur HU?
Nur noch sentimentale. Ich bin neulich als ?Berlinheimkehrer“ auf dem Weg zum Pergamonmuseum reingehuscht in die Humboldt-Uni und war sehr berührt von der Atmosph?re und hab dann sogar in der Universit?tsstra?e Einlass gefunden in das ehemalige Geb?ude unserer Fakult?t, das ja heute anderen Zwecken gewidmet und renoviert ist. Aber ich habe den alten Fahrstuhl wiedergefunden, mit dem bis zur Wende nur die Dozenten fahren durften, und war ziemlich verblüfft von der Enge der R?umlichkeiten. Die Humboldt-Uni erachte ich als einen exzellenten Ort für Bildung. Das bleibt bei mir ein Klischee.
Damit haben Sie das Stichwort zur Exzellenzinitiative gegeben. Wie sinnvoll erachten Sie solche Wettbewerbe?
Wettbewerb tut 金贝棋牌n gut. Sie funktionieren ja noch immer im Grunde wie Orchester – wenn du als Musiker einmal drin bist, kannst du im Grunde aufh?ren zu proben. Das fürchtet man bei Professoren ja auch. Andererseits: Heute ist mir das Studienklima zu harsch. Ich finde, dass man ruhig dreizehn Jahre brauchen darf, um das Abitur zu machen. Wozu dann auch im Studium der Stress? Die Studenten jagen einen Schein nach dem anderen – es ist, als seien sie an der Uni so unterwegs wie im Krankenhaus, wo man mit dem Laufzettel von Abteilung zu Abteilung hetzt. Und das soll es dann gewesen sein? Schnell durch in vier Jahren? Wo bleibt die Zeit fürs Auslandsstudium, die Herzensbildung, das Nutzlose, das uns erst reich macht? Exzellenz im Sinne der alten englischen Universit?ten hei?t doch, dass man sich Werten verpflichtet fühlt, die zu erschlie?en Zeit braucht, Bindung, Betreuung, die der Bildungsvermittlung eine gewisse Ruhe und Sorgfalt zurückerstattet, was dem Ruf einer 金贝棋牌 wiederum zukommt. Ich habe keine Ahnung, wie kaputt oder gesund reformiert die Universit?t heute ist, aber ihr Plus ist ihre Geschichte, und wenn ?Exzellenz“ zu einer wirklichen Wertsch?tzung und besseren Dotierung von Qualit?t führt, schreckt ein solcher Begriff nicht. Sein Gegenteil schon.
Unsere Studienberater registrieren zuweilen, die Studierenden würden immer passiver. Machen Sie ?hnliche Beobachtungen?
Als ich unterrichtet habe, hatte ich mit Studenten zu tun, die sehr wissbegierig waren und gut organisiert. Ich kann dieses Bild nicht best?tigen. Ich habe das Gefühl, dass junge Menschen heute zu einem wesentlich h?heren Ma? an Eigenverantwortlichkeit gezwungen sind. Ihnen fehlt oft reelle Allgemeinbildung, die wir noch in der Schule vermittelt bekommen haben, aber das hei?t nicht, dass sie passiver sind.
Würden Sie Ihrem Sohn raten zu studieren?
Letztlich schon, ja. Aber er kann auch ein guter Tischler werden. Im Ernst. Ich glaube nur, das die sch?ne Variante dieses Berufs mittlerweile im Aussterben ist. Da, wo das Handwerk auch Kunst ist, hat es ja gestalterische Momente von hoher Selbstorganisation der Mittel und etwas sehr Kreatives und Freies, was sich als gutes K?nnen am Markt bew?hren muss. H?tte ich das Gefühl, dass wir einer Zeit entgegen gehen, in der man damit gut und glücklich arbeiten kann, w?re das für mich vollkommen ausreichend, nein, mehr als das, erfreulich. Das spezielle und weite Wissen, was man in solchen Bereichen erwerben kann, finde ich genauso reizvoll wie in der akademischen Welt. De facto leben Akademiker l?nger, deshalb sollte man ihm zum Studium raten. (lacht)
Erl?utern Sie das mal.
Nun ja, wenn sie intelligenter sind, leben sie gesünder und gehen achtsamer mit ihren Ressourcen um. Bildung schl?gt hier um in Sozialverhalten. Andererseits – auch Akademiker richten sich aufgrund von Langeweile und allgemeinem Unglück zu Grunde, und der Leistungs- und Selbstoptimierungsdruck gerade in der Kreativszene macht die Leute krank. Studieren hei?t nicht mehr, einen Job fürs Leben finden. Aber es erspart ihnen den Geruch von Waschpaste an den Fingern, wenn sie essen.
Laut Darwin setzen sich diejenigen ihrer Art mit der gr??ten Anpassungsf?higkeit durch. Welche Bedingungen oder Wertvorstellungen sehen Sie derzeit als anpassungswürdig?
Ich m?chte überhaupt nicht in Kategorien des Darwinismus denken. Ich nehme diese Aufgabe nicht an. Wir entwickeln uns in Sprüngen, Mutationen. Lassen sie uns lieber unordentlich, langsam und kompliziert sein. Das Leben belohnt ja auch Verschwendung, diese ?ppigkeit der Pappelsamen, es belohnt unvernünftige Passionen, durch die wir uns in Geduld und Kennerschaft üben. Wir sind gedrillt genug. Wir brauchen Traditionen, mehr Kinder, einen essentiellen Begriff vom Menschen und seiner Würde, wenn die Religion ihn nicht mehr stiftet.
Wenn Sie an die brennenden globalen Fragen der Gesellschaft, des Verh?ltnis vom Menschen zu seiner ihn umgebenden Natur denken, dessen Teil er ja ist: Brauchen wir künftig eher Spezialisten oder Universalisten?
Es gibt nur noch Spezialisten. Das eigentliche Berufsleben ist im Grunde auf Spezialisierung ausgelegt. Ich selber empfinde mich als ein wechselbalgisches Wesen, weil ich so viele unterschiedliche Dinge gemacht habe, das ist eher untypisch, oder vielleicht auch nicht. In der akademischen Welt kommen sie jedenfalls vom Hundertsten ins Tausendste und werden im Zehntausendsten die Koryph?e. Die wenigsten verm?gen es jedoch, es der Allgemeinheit zu erkl?ren. Das sind dann ganz besondere Talente. Ich hab das Gefühl, wir brauchen gute Designer, die uns funktionierende Benutzeroberfl?chen anbieten, wo das Problem besteht, das Sie beschreiben. Denn ich will weder das eine noch das andere sein.
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Das Gespr?ch führte Heike Zappe
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Die Kurzfassung erschien in der Tagesspiegel-Beilage vom 14. Oktober 2012.
Fotos: Heike Zappe, Universit?tsarchiv
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Thomas Oberender / Andrea Schurian
Das sch?ne Fr?ulein Unbekannt
Gespr?che über Theater, Kunst und Lebenszeit
216 Seiten
ISBN 978-3-99014-036-9
EUR 19,50