Humboldt-Universit?t zu Berlin

Magnus Hirschfeld

Arzt – (Mit-)Begründer der Sexualwissenschaft – K?mpfer für die Rechte der Homosexuellen

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Magnus HIrschfeld

Magnus Hirschfeld /?Magnus-Hirschfeld-
Gesellschaft, Berlin

Magnus Hirschfeld verk?rpert wie wenige andere Absolventen der Berliner Universit?t die Ambivalenzen der Biographie eines international angesehenen Wissenschaftlers, der bis heute als einer der engagiertesten Sexualforscher gilt und sich zugleich politisch für die Rechte sexueller und geschlechtlicher Minderheiten wie Homosexuelle, Transvestiten und Intersexuelle eingesetzt hat, und zwar ungeachtet aller Anfeindungen, denen er als Homosexueller und Jude, als Pazifist und Sozialist schon früh ausgesetzt war.

Von den Nazis ins Exil gezwungen, fand er erst sp?t nach 1945 wieder Anerkennung. Das geschah zuerst in der Homosexuellen-Bewegung in der Schweiz und in Deutschland, dann auch eingeschr?nkt in der Sexualforschung, aber nur ganz marginal in der Universit?t, in der er studiert hat. Seit 1982 wissenschaftlich in der Magnus-Hirschfeld Gesellschaft und ?ffentlich besonders sichtbar in der 2011 gegründeten Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Dabei hatte Hirschfeld testamentarisch bestimmt, dass die von ihm 1918 gegründete und 1923 vom Preu?ischen Staat anerkannte Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung im Fall seines Todes dazu eingesetzt werden sollte, an einer Berliner Universit?t Sexualforschung zu institutionalisieren, ein Verm?chtnis, das im Sinne des Stifters bis heute nicht eingel?st ist.

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Werdegang

Am 14. Mai 1868 in Kolberg als Sohn eines praktisch t?tigen Arztes in Pommern geboren und am 14. Mai 1935 in Nizza gestorben –?Virchow, eines seiner wissenschaftlichen Vorbilder, begrü?te ihn w?hrend des Studiums als ?Landsmann” – hat Hirschfeld nach einem kurzen Ausflug in die Sprachwissenschaft seit 1887 Medizin in Stra?burg, München, Heidelberg und Berlin studiert. Dort wurde er 1892 mit einer Arbeit ??ber Erkrankungen des Nervensystems im Gefolge der Influenza” vom Nervenarzt Emanuel Mendel zum Dr. med. promoviert, auf der Basis von Daten, die in der Grippe-Pandemie 1889/90 erhoben worden waren. Nach einem kurzen Intermezzo (1894-1896) als naturheilkundlicher Arzt in eigener Praxis in Magdeburg ging Hirschfeld 1896 nach Charlottenburg. In jenem Jahr ver?ffentlichte er seinen Erstling zur Homosexualit?t ?Sappho und Sokrates“ unter dem Pseudonym Th. Ramien, ein Thema, das in seinem Studium, wie die Sexualit?t überhaupt, so gut wie ganz ignoriert oder nur als Psychopathologie pr?sent war, aber sein Forscherleben und seine ?ffentlichen Aktivit?ten?gegen die Kriminalisierung der Homosexualit?t, wie die als Gerichtsgutachter pr?gte.?

1897 gründete er zusammen mit dem Verleger Max Spohr, dem Juristen Eduard Oberg sowie dem Schriftsteller Franz Joseph von Bülow in Berlin das ?Wissenschaftlich-humanit?re Komitee” (WhK). In Spohrs Verlag?erschien die von Hirschfeld im Namen des Komitees herausgegebene erste Sexualwissenschaftliche Zeitschrift, das ?Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen“ (1899-1923). Darin entwickelte er die am Darwinismus orientierte sogenannte Zwischenstufentheorie als dezidierte Alternative zur Sexualpathologie. Für Hirschfeld gab es zwischen dem ?Vollmann” und dem ?Vollweib”, den Fiktionen sexueller Normalit?t, und Homosexuellen, Transvestiten und Hermaphroditen eine unendliche Anzahl an Abstufungen und Mischungen, er nannte sie sexuelle Zwischenstufen.

Petition zur Abschaffung des §175

Bereits im ersten Band des Jahrbuches findet sich die schon 1898 an den Reichstag adressierte Petition zur Abschaffung des § 175.?Sie wurde von prominenten Wissenschaftlern, Politikern und Künstlern unterzeichnet, u.a. von Richard von Krafft-Ebing, August Bebel, der sie im Parlament?verteidigte, Franz von Liszt, damals Strafrechtsprofessor in Halle, seit 1898 in Berlin, und Thomas Mann. Die Petition war aber angesichts der Vorurteile gegen die Homosexualit?t, die auch im Reichstag dominierten, zun?chst erwartbar erfolglos. Der konzertierte Kampf um die Entkriminalisierung der Homosexualit?t war erst in der Weimarer Zeit 1929?insofern erfolgreich, als der Strafrechtsausschuss des Reichstages für die Streichung des berüchtigten Paragrafen votierte. Das wurde jedoch bis 1933 nicht mehr in geltendes Recht umgesetzt. Zu Beginn der Weimarer Republik entstand 1919 unter Hirschfelds Mitwirkung der erste homosexuelle Aufkl?rungsfilm ?Anders als die Andern”, der die ?ffentliche Meinung spaltete und 1920 zur Wiedereinführung der Zensur beitrug,?unter die er dann fiel.

Bereits 1908 versuchte Hirschfeld mit der Herausgabe einer ?Zeitschrift für Sexualwissenschaft“ dem neuen Fach zur akademischen Anerkennung zu verhelfen. Diesem Ziel sollte auch die 1913 von ihm mitbegründete ??rztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik“ sowie das 1919 er?ffnete weltweit erste ?Institut für Sexual-Wissenschaft” dienen, das er aus seinem Privatverm?gen finanzierte.?Sowohl die ?rztliche Gesellschaft als auch das Institut begriffen die Sexualforschung als Instrument, um sexualreformerische Ziele durchzusetzen. Damit befanden sie sich in Konkurrenz zu der ebenfalls 1913 von Albert Moll, einem wertkonservativen Psychiater, und Max Marcuse mit gegründeten Internationalen Gesellschaft für Sexualforschung, die sich nachdrücklich gegen jede Politisierung des Faches aussprach. Wichtige Werke Hirschfelds sind ?Die Transvestiten“ (1910), die ?Homosexualit?t des Mannes und des Weibes“?(1914), die dreib?ndige ?Sexualpathologie“ (1917-1920), die fünfb?ndige ?Geschlechtskunde“ (1926-1930) und schlie?lich die ?Sittengeschichte des Weltkriegs“ (1931).

Hirschfeld als Aufkl?rer

Zu Kontroversen gibt bis heute seine N?he zur Eugenik Anlass. W?hrend er die Rassenideologie bek?mpfte, wie sein posthum ver?ffentlichter Band ?Racism“ belegt, befürwortete er die eugenische Sexualberatung. Im Unterschied zur NS-Rassenpolitik, in der?

rassistische Referenzen, bis zur Euthanasie in massenhaften Morden Wirklichkeit wurden, war für Hirschfeld als Aufkl?rer, das hatte er schon bei Virchow gelernt, Rasse ein ?Konstrukt”, das soziale und politische, aber keine theoretische Geltung hatte, die Einheit der Gattung so wenig dementierte wie es Mord legitimierte.?

1933 zeigte sich, dass Hirschfeld trotz Eugenik und Rassenhygiene sicherlich nicht als Sympathisant der Nazis gelten kann. Sein ?Institut” wurde im Mai 1933 von Nazis zerst?rt, gro?e Teile der Bibliothek und seiner Bücher auf dem Opernplatz am 10. Mai 1933 mit verbrannt, Hirschfeld ging ins Exil, erst nach Zürich und Ascona, dann nach Paris, konnte aber auch dort seine Arbeit nicht fortsetzen. An seinem 67. Geburtstag,?dem 14. Mai 1935, starb er ?in Nizza.

Schriften (in Auswahl)

  • Die Transvestiten, 2 Bde., Berlin 1910/12.
  • Die Homosexualit?t des Mannes und des Weibes (3. Bd. des Handbuchs der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen, hg. von Irwan Bloch), Berlin 1914.
  • Sexualpathologie. Ein Lehrbuch für ?rzte und Studierende, 3 Bde., Bonn 1917-20.
  • Geschlechtskunde, aufgrund dreissigj?hriger Forschung und Erfahrung bearbeitet, Stuttgart 1926-30.
  • Die Sittengeschichte des Weltkrieges, 2 Bde., Leipzig/Wien 1930.

Literatur (in Auswahl)

  • Hodann, Max: Magnus Hirschfeld zum Ged?chtnis,?in: Internationales ?rztliches Bulletin. Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Sozialistischer ?rzte, II. Jg,?Nr. 5-6, Mai-Juni 1935, S. 73-76.
  • Dose, Ralf: Magnus Hirschfeld. Deutscher – Jude – Weltbürger, Teetz (Jüdische Miniaturen 15) 2005.
  • Herrn, Rainer: Magnus Hirschfeld (1868-1935), in: V.?Sigusch/G.?Grau (Hg.), Personenlexikon der Sexualforschung, Frankfurt a.M./New York 2009, S, 284-294.
  • Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld und seine Zeit, Berlin/Boston 2017.

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Magnus Hirschfeld

14th May 1868 (Kolberg/today Ko?obrzeg) – 14th May 1935 (Nice)

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Doctor – (Co-)founder of sexology – Campaigner for the rights of gay people

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Magnus Hirschfeld / Magnus-Hirschfeld- Gesellschaft, Berlin
Magnus Hirschfeld, Foto: Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft, Berlin
Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, which was founded in 2011. Hirschfeld had stipulated in his will that, when he died, the Dr. Magnus-Hirschfeld-Stiftung, which he founded in 1918 and which was recognised by the Prussian State in 1923, was to be used to institutionalise sex research at a Berlin university, a legacy that, to this day, has not been honoured in accordance with the benefactor’s wishes.

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Career

Born on 14th May 1868, the son of a practising doctor in Pomerania – ?Virchow, one of his scientific role models, welcomed him as a “compatriot” during his studies – Hirschfeld studied medicine in Strasbourg, Munich, Heidelberg and Berlin from 1887 onwards, after a brief foray into linguistics. It was in Berlin, under the neurologist Emanuel Mendel, that he received his doctorate in 1892 with a thesis “On Diseases of the Nervous System in the Wake of Influenza” (?ber Erkrankungen des Nervensystems im Gefolge der Influenza), which was based on data that had been collected during the flu pandemic of 1889/90. After a brief interlude (1894–1896) as a naturopathic doctor in his own practice in Magdeburg, Hirschfeld went to Charlottenburg in 1896. That year, he published his first book on homosexuality, Sappho und Sokrates, under the pseudonym Th. Ramien. It was a topic that, like sexuality in general, was almost completely ignored in his studies, or only present as a psychopathology, but which shaped his life as a researcher as well as his public activities in opposition to the criminalisation of homosexuality, such as those as a court expert. In 1897, together with the publisher Max Spohr, the lawyer Eduard Oberg and the writer Franz Joseph von Bülow, he founded the Scientific-Humanitarian Committee (Wissenschaftlich-humanit?re Komitee [WhK]) in Berlin. Spohr’s publishing house issued the first sexology journal, the Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Yearbook of sexual intermediaries; 1899–1923), which was edited by Hirschfeld on behalf of the committee. In it, he developed the so-called theory of intermediate stages or types, guided by Darwinism, as a forceful alternative to sexual pathology. For Hirschfeld, there was an infinite number of gradations and mixtures between the “full man” and the “full woman”, the fictions of sexual normality, and homosexual persons, “transvestites” and intersex people; he called them sexual intermediaries.

Born on 14th May 1868, the son of a practising doctor in Pomerania – ?Virchow, one of his scientific role models, welcomed him as a “compatriot” during his studies – Hirschfeld studied medicine in Strasbourg, Munich, Heidelberg and Berlin from 1887 onwards, after a brief foray into linguistics. It was in Berlin, under the neurologist Emanuel Mendel, that he received his doctorate in 1892 with a thesis “On Diseases of the Nervous System in the Wake of Influenza” (?ber Erkrankungen des Nervensystems im Gefolge der Influenza), which was based on data that had been collected during the flu pandemic of 1889/90. After a brief interlude (1894–1896) as a naturopathic doctor in his own practice in Magdeburg, Hirschfeld went to Charlottenburg in 1896. That year, he published his first book on homosexuality, Sappho und Sokrates, under the pseudonym Th. Ramien. It was a topic that, like sexuality in general, was almost completely ignored in his studies, or only present as a psychopathology, but which shaped his life as a researcher as well as his public activities in opposition to the criminalisation of homosexuality, such as those as a court expert. In 1897, together with the publisher Max Spohr, the lawyer Eduard Oberg and the writer Franz Joseph von Bülow, he founded the Scientific-Humanitarian Committee (Wissenschaftlich-humanit?re Komitee [WhK]) in Berlin. Spohr’s publishing house issued the first sexology journal, the Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen (Yearbook of sexual intermediaries; 1899–1923), which was edited by Hirschfeld on behalf of the committee. In it, he developed the so-called theory of intermediate stages or types, guided by Darwinism, as a forceful alternative to sexual pathology. For Hirschfeld, there was an infinite number of gradations and mixtures between the “full man” and the “full woman”, the fictions of sexual normality, and homosexual persons, “transvestites” and intersex people; he called them sexual intermediaries.

Petition?for the abolition of §175

Already the first volume of the yearbook features the petition for the abolition of Paragraph 175, addressed to the Reichstag in early as 1898. It was signed by prominent scientists, politicians and artists, including Richard von Krafft-Ebing, August Bebel, who defended it in parliament, ?Franz von Liszt, at the time a professor of criminal law in Halle, then, from 1898, in Berlin, and Thomas Mann. However, the petition was initially unsuccessful, as was to be expected, in view of the prejudices against homosexuality, which also dominated in the Reichstag. The concerted struggle for the decriminalisation of homosexuality did not succeed until the Weimar period, in 1929, when the criminal judiciary committee of the Reichstag voted to repeal the notorious paragraph. However, this did not end up getting transposed into established law by 1933. At the beginning of the Weimar Republic, in 1919, the first educational film on homosexuality, Anders als die Andern (Different from the Others), was made with Hirschfeld’s participation; dividing public opinion, it contributed to the reintroduction of censorship in 1920, under whose restrictions it then fell.

In as early as 1908, Hirschfeld tried to help the new subject of sexology gain academic recognition by publishing a journal on the topic: Zeitschrift für Sexualwissenschaft. This was also the intended goal of the ?rztliche Gesellschaft für Sexualwissenschaft und Eugenik (Medical Society for Sexology and Eugenics), which he co-founded in 1913, as well as the world’s first institute of sexual science, the Institut für Sexualwissenschaft, which he financed from his own personal means. Both the Medical Society and the institute understood sex research as a tool for pushing through sexual reform goals. They therefore found themselves in competition with the International Society for Sex Research (Internationale Gesellschaft für Sexualforschung), also founded in 1913 – by Albert Moll, a conservative psychiatrist, and Max Marcuse – which strongly opposed any politicisation of the subject. Important works by Hirschfeld include Die Transvestiten (1910; Transvestites), Homosexualit?t des Mannes und des Weibes (1914; The Homosexuality of Men and Women), the three-volume Sexualpathologie (1917–1920; Sexual Pathology), the five-volume Geschlechtskunde (1926–1930; The study of gender and sex), and, finally, Sittengeschichte des Weltkrieges (1931; The Sexual History of the World War).

Hirschfeld as an enlightener

Hirschfeld’s proximity to eugenics gives rise to controversy to this day. While he fought against racial ideology, as evidenced by his posthumously published volume Racism, he supported eugenic sexual counselling. In contrast to Nazi racial policy, in which racist references became a reality, right down to “euthanasia” mass murders, for Hirschfeld, as someone who provided education and brought understanding, race – as he had already learned from Virchow – was a “construct” that had social and political, but no theoretical validity, and which no more denied the unity of the species than it legitimised murder.

In 1933, it became evident that, despite eugenics and racial hygiene, Hirschfeld certainly cannot be regarded as a Nazi sympathiser. His “institute” was destroyed by the Nazis in May 1933; large parts of the library and his books were burned in Opernplatz on 10th May 1933. Hirschfeld went into exile, first in Zurich and Ascona, then Paris, but he was unable to continue his work there either. On his 67th birthday, 14th May 1935, he died in Nice.

Written works (selection)

  • Die Transvestiten, 2 Bde., Berlin 1910/12.
  • Die Homosexualit?t des Mannes und des Weibes (3. Bd. des Handbuchs der gesamten Sexualwissenschaft in Einzeldarstellungen, hg. von Irwan Bloch), Berlin 1914.
  • Sexualpathologie. Ein Lehrbuch für ?rzte und Studierende, 3 Bde., Bonn 1917-20.
  • Geschlechtskunde, aufgrund dreissigj?hriger Forschung und Erfahrung bearbeitet, Stuttgart 1926-30.
  • Die Sittengeschichte des Weltkrieges, 2 Bde., Leipzig/Wien 1930.

References (selection)

  • Hodann, Max: Magnus Hirschfeld zum Ged?chtnis,?in: Internationales ?rztliches Bulletin. Zentralorgan der Internationalen Vereinigung Sozialistischer ?rzte, II. Jg,?Nr. 5-6, Mai-Juni 1935, S. 73-76.
  • Dose, Ralf: Magnus Hirschfeld. Deutscher – Jude – Weltbürger, Teetz (Jüdische Miniaturen 15) 2005.
  • Herrn, Rainer: Magnus Hirschfeld (1868-1935), in: V.?Sigusch/G.?Grau (Hg.), Personenlexikon der Sexualforschung, Frankfurt a.M./New York 2009, S, 284-294.
  • Herzer, Manfred: Magnus Hirschfeld und seine Zeit, Berlin/Boston 2017.

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