Hilde Ottenheimer
11.12.1896 - 22.10.1942
"Ich bin am 11. Dezember 1896 in Ludwigsburg geboren. Nach Absolvierung der zehnklassigen M?dchenrealschule und eines einj?hrigen Kursus in einer h?heren Handelsschule in Stuttgart arbeitete ich zwei Jahre als Bürogehilfin. Von 1916-1919 besuchte ich die Soziale Frauenschule in Mannheim und war dann drei Jahre lang Gesch?ftsführerin des Württembergischen Landesverbandes für jüdische Wohlfahrtspflege in Stuttgart, 1923 erhielt ich die Zulassung zum Studium der Sozialwissenschaften an der Universit?t Frankfurt am Main mit kleiner Matrikel, mu?te jedoch das Studium dort vorzeitig abbrechen und war dann fünf Jahre lang bei der Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden t?tig, auf Grund privater Vorbereitung und nach dem Besuch der Oberprima der staatlichen Augustaschule zu Berlin machte ich an Ostern 1930 das humanistische Abitur und wurde ausschlie?lich bei der Philosophischen Fakult?t der Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu Berlin immatrikuliert.
Zu der Hauptsache studierte ich bei den Herren Professoren Maier [?] und Spranger, namentlich diesen bin ich für reiche Anregung und mannigfache Würdigung zu vielem Dank verpflichtet."1
Diesen Lebenslauf richtete Hilde Ottenheimer am 29. Juni 1933 an den Dekan der Philosophischen Fakult?t der Friedrich-Wilhelms-Universit?t Berlin mit der Bitte, sie zum Doktorexamen für die Hauptf?cher Philosophie und P?dagogik sowie für die Nebenf?cher National?konomie und Geschichte anzunehmen.2
Hilde Ottenheimer schrieb sich im April 1930 an der Philosophischen Fakult?t ein, wo sie die Matrikelnummer 6194-120 erhielt.3 Ihren Lebensunterhalt verdiente sie durch wissenschaftliches Arbeiten, verfasste unter anderem 1931 die Studie über "Sozialp?dagogik im Strafvollzug". Sie "ver?ffentlichte fast ausschlie?lich in jüdischen Publikationsorganen. Die 金贝棋牌 ihrer Beitr?ge bezogen sich auf die Erziehungsfürsorge, die Jugendgerichtshilfe und den Strafvollzug. Dabei pl?dierte sie für die Erziehung statt Strafe, für Unterstützung anstelle von Repression".4 Für das Wintersemester 1932/33 wurden ihr die Studiengebühren erlassen; sie bekam gar ein Darlehen für die Examensvorbereitung gew?hrt. Zum Sommersemester 1933 gingen, aufgrund der Machtübernahme der Nationalsozialisten, keine Zahlungen mehr ein, sodass sie erneut für ihren Lebensunterhalt arbeiten musste.5
Z?hringerstra?e 26 heute, Adresse von Hilde Ottenheimer im Mai 1939,
Foto: Ewa Mi?kiewicz.
Aus Angst, als Jüdin nicht mehr zur Prüfung antreten zu dürfen, fertigte Hilde Ottenheimer in aller Eile ihre Dissertation an - diese Eile bem?ngelten auch die Korrektoren Eduard Spranger und Ignatz Jastrow, gaben ihr aber trotzdem ein "idoneum" (lat. geeignet).6 Die mündliche Prüfung, die sie am 20. Juli 1933 absolvierte, bestand sie nicht. Als sie davon erfuhr, bat sie um eine Revision. Sie erkl?rte sich das Nichtbestehen mit einem "v?lligen Versagen der Nerven" - aus ?beranstrengung und Zeitmangel. Zudem habe sie als Jüdin "jederzeit damit rechnen [müssen], sich noch in diesem Semester zum Examen zu melden".7 Sie fügte ein Schreiben bei, das ihr eine derzeitige, aber vorübergehende enorme psychische Belastung attestierte.8 Der Bitte um Revision wurde nicht stattgegeben; allerdings konnte sie die Prüfung am 22. Februar 1934 wiederholen und bestand. Bis zum April 1934 war sie an der Universit?t eingeschrieben.
Hilde Ottenheimer arbeitete im Folgenden weiterhin wissenschaftlich. So schrieb sie Beitr?ge für das Sammelwerk "Juden im deutschen Kulturbereich", war in der Redaktion der "Germania Judaica" t?tig und arbeite wahrscheinlich auch für Leo Baeck.9
Am 19. Oktober 1942 wurde sie aus Berlin nach Riga deportiert und kam dort am 22. Oktober 1942 ums Leben.10 Die Mutter von Hilde Ottenheimer, Sara, wurde am 22. August 1942 gemeinsam mit ihrer Tochter Klara Greilsamer und dessen Ehemann Jakob nach Theresienstadt deportiert. Von dort aus wurden sie im Oktober 1944 weiter nach Auschwitz gebracht, wo sie ermordet wurden.11 Für sie sowie für eine Tante von Hilde Ottenheimer wurden Stolpersteine in Ludwigsburg, ihrer Heimatstadt, verlegt.
Hilde Ottenheimers Neffe Harry Grenville (damals Heinz Greisinger), der 1939 als 13-J?hriger mit einem Kindertransport gemeinsam mit seiner Schwester Hannah Deutschland verlie?, erinnert sich 2010 an seine Tante:
"The most exciting events were the rare occasions when she flew from Berlin to Stuttgart. I always wanted to hear all about the flight. [...] Birthdays were important. From about age 6 I always wrote a birthday letter to Aunt Hilde in December and she always sent us a birthday present. I remember a very fine kaleidoscope and a pocket torch [...].
On one occasion I went with my mother to visit Aunt Hilde in Berlin. This was during the Nazi period and it was already difficult for Jews to visit some of the usual sights but Hilde did her best to make sure that I saw as much as possible of the city. She lived at that time in a large room in Z?hringerstra?e, and was always very amused that her landlady spent every morning talking to her friends on the telephone. [...]
You will have read about the difficulties she had in 1933 to get the University of Berlin to confer her doctorate, but it finally was approved on 22nd February 1934, my 8th birthday. I remember the excitement when the telegram arrived."12
- 1. Humboldt-Universit?t zu Berlin, Universit?tsarchiv, Bestand Phil. Fak., Nr. 795, Blatt 108.
- 2. Vgl. ebd. zwischen Blatt 115 und 116.
- 3. Vgl. Humboldt-Universit?t zu Berlin, Universit?tsarchiv, Stammrolle für Reichsdeutsche Nichtarier der Universit?t Berlin, Kennziffer 12.
- 4. Ludwigsburger Kreiszeitung vom 25.03.2008, Tragisches Leben einer Ludwigsburgerin, www.lkz.de/home/lokalnachrichten/vereine_artikel,-Tragisches-Leben-einer-Ludwigsburgerin-_arid,8286.html, abgerufen am 14.05.2010.
- 5. Vgl. Eva Sch?ck-Quinteros, a.a.O., S. 457.
- 6. Humboldt-Universit?t zu Berlin, Universit?tsarchiv, Bestand Phil. Fak., Nr. 795, Blatt 111.
- 7. Eva Sch?ck-Quinteros, a.a.O., S. 357.
- 8. Vgl. Humboldt-Universit?t zu Berlin, Universit?tsarchiv, Bestand Phil. Fak., Nr. 795.
- 9. Vgl. Eva Sch?ck-Quinteros, a.a.O., S. 359ff. und Albert H. Friedlander: A Muted Protest in War-Time Berlin. Writing on the Legal Position of German Jewry throughout the Centuries - Leo Baeck - Leopold Lucas - Hilde Ottenheimer, in: Year Book XXXVII of the Leo Baeck Institute, London 1992, S. 363-380.
- 10. Vgl. Gedenkbuch. Opfer der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945, Bundesarchiv, Koblenz 1986 sowie Gedenkbuch Berlins der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus. Freie Universit?t Berlin, Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung, Berlin 1995.
- 11. www.stolpersteine-ludwigsburg.de/greilsamer.html, abgerufen am 13.05.2010.
- 12. Korrespondenz mit Harry Grenville am 22.03.2010.
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