Humboldt-Universit?t zu Berlin

?Ich habe in Heidelberg wahrscheinlich alles gemacht, was verboten war“

Elly Freund geb. Rzeszewski (1909-2012) studierte Medizin in Heidelberg, Breslau und Berlin und legte 1937 als eine der letzten jüdischen Studierenden an der Friedrich-Wilhelm-Universit?t ihr medizinisches Staatsexamen ab. Schon w?hrend ihres Studiums und auch nach ihrer Emigration war sie eine der Organisatorinnen der Jugendalija nach Pal?stina. Sp?ter arbeitete sie in Israel als Kinder?rztin.

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Elly Freund
  • 1909 geboren in Breslau
  • 1932 Physikum in Breslau
  • ab 1932 Arbeit für die Jugendalija
  • 1937 Staatsexamen in Berlin
  • 1938 Auswanderung nach Pal?stina
  • 1943 ?rztin im Hadassa-Kranken?haus, Jerusalem
  • 1948 Kinder?rztin
  • 1953-56 Referentin im Gesundheits?ministerium
  • 2012 gestorben bei Tel Aviv

Flucht aus dem religi?sen Elternhaus

Elly Freund wurde in eine streng religi?se Familie hineingeboren, die st?ndig besorgt war, das Kind von – aus ihrer Sicht – gef?hrlichen ?u?eren Einflüsse wie Kindergeburtstagen fern zu halten. Schon in ihrer Jugend wandte sich Elly Freund von der Religion und damit – zun?chst heimlich – auch von ihrem Elternhaus ab. Sie begann, marxistische und psychoanalytische Literatur zu lesen. In Breslau und Gro?britannien absolvierte sie eine Ausbildung zur Korrespondentin, holte ihr Abitur nach und w?hlte mit Heidelberg einen Studienort, der m?glichst weit entfernt vom Elternhaus lag.

Ihr Medizinstudium finanzierte sie sich als Werkstudentin. Sie interessierte sich auch für Philosphie und ging statt in die Pflichtvorlesungen über Physik und Botanik zu Vortr?gen des Philosophen Karl Jaspers. Den Sieg des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund bei den AStA-Wahlen in Heidelberg nahm sie zun?chst nicht als ernsthafte Bedrohung war.

Medizinstudium mit Hindernissen

Nach zwei Semestern kehrte Elly Freund nach Breslau zurück, brach aber zweimal das Studium ab. Nach der Machtergreifung im Januar 1933 traute sie sich aus Angst vor Repressalien nicht mehr auf das Universit?tsgel?nde. Sie musste miterleben, wie mehrere kommunistische Freunde verhaftet wurden.

Als sich die Situation nach einigen Monaten beruhigt hatte, kehrte sie in die Vorlesungen zurück. Doch wurden die Studienbedingungen unertr?glich: Jüdische Studierende durften sich beispielsweise nicht neben nicht-jüdische Studierende setzen, sondern mussten bei Vorlesungen im Eingangsbereich stehen bleiben Zudem erhielten Juden und Jüdinnen erhielten keine Approbation mehr.

Im Zentrum der Jugendalija

W?hrend ihres Studiums begann Elly Freund sich mehr und mehr für den Zionismus und die Kibbuz-Bewegung zu interessieren. Ihr Lebensgef?hrte Edgar Freund war ma?geblich am Aufbau der zionistischen Bewegung in Breslau beteiligt. Seit 1932 engagierte auch sie sich in zionistischen Jugendorganisationen wie dem ?Jung-Jüdischen Wanderbund“ und ?Habonim“ als Leiterin von M?dchengruppen. Sie sprach auf w?chentlichen Treffen über sozialistische und zionistische Geschichte, organisierte Ausflüge und feierte mit den M?dchen jüdische Feste.

Kurz nach Gründung der Jugendalija in Berlin Ende 1932 übernahm Elly Freund die regionale Leitung in Breslau. Von nun an war sie vornehmlich damit besch?ftigt, Eltern zu überzeugen, ihre Kinder nach Israel zu schicken, und diese Jugendlichen auf die Einreise vorzubereiten. Die erste, von ihr betreute, Gruppe wanderte 1935 in ein Kibbuz aus.

In Berlin

Im Herbst 1935 holte das Hauptbüro der Jugendalija Elly Freund nach Berlin, damit sie als Angestellte der Reichsvertretung ein ?Beth Chaluz“, ein Haus für jugendliche Pioniere, führte. Kurz darauf heiratete sie ihren langj?hrigen Freund Edgar Freund, der in Berlin die Leitung der reichsweiten Jugendalija übernahm. Auf Dr?ngen der Familie wurde die Hochzeit nach religi?sem Ritus in Breslau nachgeholt.

Elly Freund genoss die relativen Freiheiten, die die Anonymit?t der Gro?stadt Berlin erm?glichte. Ohne Gefahr zu laufen, von Bekannten auf der Stra?e als Jüdin entdeckt zu werden, konnte sie trotz offiziellen Verbots in die Oper gehen oder Stra?enbahn fahren. Sie beschloss, ihr Examen nachzuholen und schrieb sich im Olympia-Jahr 1936 an der Friedrich-Wilhelm-Universit?t ein. Monatelang arbeitete sie nachts im Jüdischen Krankenhaus, um sich auf das Examen vorzubereiten, w?hrend sie tagsüber Jugendliche unterrichtete, mit denen sie unter einem Dach lebte. Als eine der letzten jüdischen Studierenden – umgeben von nationalsozialistisch gesinnten Kommilitonen und Kommilitoninnen – legte sie im Frühjahr 1937 das medizinische Staatsexamen ab. Eine begonnene Dissertation in Pathologie schloss sie allerdings nie ab, weil sie darin keine Perspektive sah. Ab April 1937 war es Juden und Jüdinnen im deutschen Reich ohnehin nicht mehr m?glich, die Promotion abzulegen.

Ende 1937 zog das Ehepaar Freund in ein Hachschara-Lager, das ?Jüdische Lehrgut Ellguth“ in Oberschlesien. Nun waren die beiden zusammen mit einem zweiten Paar für 50 Jugendliche verantwortlich, die bei nicht-jüdischen Bauern der Umgebung in der Landwirtschaft ausgebildet wurden.

Ankunft in Pal?stina

Die Angst vor der drohenden Verhaftung durch die Gestapo wurde immer gr??er, so dass sich Elly und Edgar Freund schlie?lich entschlossen, früher als geplant zu emigrieren. Sie gelangten im Oktober 1938 über Umwege nach Pal?stina und lie?en sich dort im deutschsprachigen Kibbuz Givat Chajim nieder. Die meisten Mitglieder ihrer Jugendgruppe, die im Novemberpogrom teils ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt worden waren, konnten 1939 nach Pal?stina fliehen, zwei wurden in der Schoah ermordet.

In Pal?stina konnte Elly Freund ihren Beruf nicht ausüben, da die britische Mandatsverwaltung keine Lizenzen für ?rzte mehr vergab. Stattdessen widmete sie sich wieder der Jugendalija. Sie zog nach Jerusalem, wo sie ihrem Mann bei der Leitung eines Internats für allein eingereiste Jugendliche half. Inzwischen hatte sie auch ihre Mutter nach Pal?stina nachholen k?nnen. 1940, als der Zweite Weltkrieg schon begonnen hatte, reiste Elly Freund im Auftrag der Jugendalija allein ins italienische Triest. Dort bewerkstelligte sie die ?berfahrt und Einreise der letzten Gruppen von Jugendlichen aus Deutschland, ?sterreich und der Tschechoslowakei aus Europa.

Neuanfang als ?rztin

Nach einem praktischen Jahr im n?rdlichen Afula wurde Elly Freund 1943 endlich ihre Zulassung als ?rztin ausgestellt. Ihre erste Stelle erhielt sie in der pathologischen Abteilung des Hadassa-Krankenhauses bei Jerusalem. Dort arbeitete sie unter lebensgef?hrlichen Bedingungen, als Jerusalem im Ersten Arabisch-Jüdischen Krieg 1948 belagert wurde und medizinische Konvois Gefahr liefen, angegriffen zu werden. Zuhause wurde ihr mittlerweile zweij?hriger Sohn derweil meist vom Vater versorgt.

Ab 1948 bildete sie sich zur Kinder?rztin fort. Sie arbeitete in einem Auffanglager für jeminitische Flüchtlinge und in verschiedenen Krankenh?usern. Mitte der 1950er Jahre wechselte sie ins israelische Gesundheitsministerium, wo sie für die ?Gesundheitsversorgung von Mutter und Kind“ zust?ndig war. Sp?ter arbeitete sie, nach einem kurzen Studium der Psychiatrie in den USA, auch als Familientherapeutin und war bis zu ihrer Pensionierung als Kassen-?rztin t?tig. Nach dem Tod ihres Mannes Edgar 1986 verlie? sie Jerusalem und lebte in einem Altersheim in der N?he von Tel Aviv. Sie verstarb 2012 im Alter von 103 Jahren.

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