Russisches Kirchenslavisch im 15. und 16. Jahrhundert: Zur (In)Variabilit?t seiner Normen (am Material des Kommentierten Apostolos)
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DFG Individual Research Grant
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Description
Den zentralen Gegenstand des Projektvorhabens bildete die Redigierung des bisher kaum untersuchten slavischen Kommentierten Apostolos (ksl. tolkovyj Apostol) bei der Zusammenstellung der Gro?en Lesemen?en im 16. Jh. Es geht um einen wesentlichen Teil des Neuen Testamentes (ohne Evangelien und Offenbarung des Johannes) in der Version, die mit den Kommentaren der Kirchenv?ter versehen und für die fromme Lektüre au?erhalb des Gottesdienstes bestimmt war. Text- und sprachgeschichttich stellt der Kommentierte Apostolos ein ?u?erst heterogenes Gebilde dar, denn er beinhaltet zwei verschiedene, im 15. Jh. zusammengefügte ?bersetzungen aus dem Griechischen, n?mlich 1) eine ?ltere ?bersetzung der Paulusbriefe, die seit dem 12. Jh. ausschlie?lich in den altrussischen Handschriften überliefert ist, und 2) eine im 14. Jh. entstandene bulgarisch-kirchenslavische ?bersetzung des übrigen Teils des Kommentierten Apostolos (d. h. der Apostelgeschichte und der ?kumenischen Briefe), die aus der bulgarisch-serbischen Tradition (vermutlich über Athos) in das altrussische Schrifttum Eingang fand. Erstmalig wurde die Textgeschichte des slavischen Kommentierten Apostolos unter die Lupe genommen. Dabei wurden mehrere Texttraditionen bzw. Handschriftengruppen festgestellt, sodass die Basisquellen (d. h. die beiden Apostoli in den Gro?en Lesemen?en) in einer diachronen Perspektive betrachtet werden konnten. Die grundlegende textgeschichtliche Feststellung betrifft das Verh?ltnis zwischen den zwei in die Gro?en Lesemen?en inkorporierten Kommentierten Apostoli - dem Uspenskij (Usp) und dem Carskij (Car): Im jüngeren (?Tyrnover") Teil stimmen Usp und Car überein, beide setzten dabei die vorherige Texttradition des ?kontaminierten" Kommentierten Apostolos fort, w?hrend sich im ?lteren (?Paulus"-)Teil die beiden Apostoli der Gro?en Lesemen?en auf allen Ebenen voneinander unterscheiden, sodass sie zwei verschiedene Versionen (Textredaktionen) des Kommentierten Apostolos darstellen. Dabei setzt Car - genauso wie im jüngeren Teil des Textes - die Tradition des ?kontaminierten" Kommentierten Apostolos (des Typus GIM Sin. 18) fort. Usp dagegen erscheint als Resultat einer umfassenden Redigierung, die im Laufe der Arbeit an den Gro?en Lesemen?en im Kreis der Makarios-Mitarbeiter durchgeführt wurde. Das Endprodukt der Redigierung, das im Uspenskij spisok der Men?en (Monat Juni) Niederschlag fand, bietet ein sehr dankbares Material für die Untersuchung der philologischen Strategien bzw. des Kirchenslavischen der Epoche. Vor dem kulturhistorischen Hintergrund des ideologisch pr?gnanten Men?en-Projekts des Metropoliten Makarij konnte gezeigt werden, dass die Grundtendenz der Redigierung in der Aktualisierung des neutestamentlichen Textes bzw. in seiner Anpassung an die athonitische Version (russ. afonskaja redakcija) bestand. Auf der sprachlichen Ebene drückte sich diese Tendenz (auch im Text der Kommentare) vor allem in der Ersetzung bestimmter Lexeme aus, die der vorhergehenden Texttradition des slavischen Neuen Testaments zu eigen waren und nun ihr Prestige verloren, aber auch in der breiteren Zulassung nicht nur von orthographischen, sondern auch von bestimmten morphologischen und syntaktischen Sprachelementen südslavischer Herkunft. Das Grundmerkmal des dabei entstandenen Kirchenslavischen ist sein kumulativer Charakter und die Variabilit?t seiner Grammatik und Lexik. Genetisch gesehen ist diese Sprache bunt, sie bietet allerdings eine neue Verteilung von heterogenen (mittelbulgarischen, serbischen, russischen) Elementen und stellt eine neue Synthese in der Entwicklungsgeschichte des Kirchenslavischen dar. Die Variation findet sowohl innerhalb eines Teiltexts als auch innerhalb des ganzen Werkes statt. Da dieses Kirchenslavisch stark an bestimmten prestigetr?chtigen Textvorbildern und weniger an bestimmten Sprachregeln orientiert ist, geschieht die Normenentwicklung (/-Verschiebung) erst bei der bewussten Redigierung des Textes, was nur in einem der beiden Kommentierten Apostoli der Gro?en Lesemen?en, n?mlich im Uspenskij, der Fall ist. Im Carskij dagegen, wo keine Ver?nderungen gegenüber der vorhergehenden Textgestalt auf der Makroebene stattfinden, bleibt auch die ?ltere sprachliche Gestalt fast intakt. Im Fokus steht Text (?bersetzung) und nicht Grammatik. Die oben geschilderten Ergebnisse bilden eine text- und sprachgeschichtlich fundierte Grundlage für die weitere Untersuchung des Kommentierten Apostolos als einer besonderen ?bertieferungsform des Neuen Testaments in der Slavia Orthodoxa.
(GEPRIS)