Zur Anthropologie des Abfalls
Du bist voll in Ordnung – so der Titel einer Ausstellung, die studentische Film- und Fotoarbeiten zur Anthropologie des Abfalls zeigt. ?Müll gilt in unserer Gesellschaft als das absolute Gegenteil von Ordnung und soll so schnell wie m?glich aus unserem Blickfeld verschwinden“, erz?hlt Prof. Gretchen Bakke, die gemeinsam mit ihren Studierenden die Ausstellung entwickelt hat. ?Diesem historisch gewachsenen Verh?ltnis zwischen Mensch, Natur und Abfall wollten wir nachgehen.“
Foto: Gretchen Bakke
Visuelle Ann?herung
Bakke ist seit 2018 Gastprofessorin am Integrativen Forschungsinstitut zu Transformationen von Mensch-Umwelt-Systemen (IRI THESys) und unterrichtet am Institut für Europ?ische Ethnologie. Die Anthropologin liebt kreative Lehrprojekte. Bereits im vergangenen Jahr hat sie mit Studierenden zwei Podcasts entwickelt: einen über ein schwimmendes Atomkraftwerk und einen über Familien in der Kohleindustrie. Im Sommersemester 2019 ging es schlie?lich um die visuelle Ann?herung an das Thema Abfall und Müll.
Gegenseitiges Feedback ist das Wichtigste
?Meine Lehre hat in der Regel drei Komponenten: Lektüre, Praxis und Diskussion“, so Bakke. In Vorbereitung auf die Ausstellung sollten die sechs Studierenden beispielsweise drei bis fünf Fotografien pro Woche erstellen, die sie in Bezug zu den gelesenen Texten setzten. Unterstützung erhielten sie von einer professionellen Fotografin, mit der sie ihre Bildkompositionen besprechen konnten. ?Die wichtigsten Feedbackgeberinnen und Feedbackgeber waren allerdings die Studierenden selbst“, sagt die Dozentin. ?Die Gruppe hat gelernt, ihre Entwürfe gegenseitig zu kommentieren und sich bei der Weiterentwicklung zu unterstützen. So sind alle entstandenen Arbeiten gewisserma?en Gemeinschaftswerke.“
Filmessay und fotografisches Interview
Als Ergebnisse ausgestellt werden ein Filmessay über die Frage nach der Verortung toter K?rper, ein fotografisches Interview aus einem Tr?delladen sowie Bildserien über den Wedding und einen türkischen Markt. ?Gerade auf dem Markt hat die regelrechte Abwesenheit von Müll eine meiner Studentinnen fast zur Verzweiflung getrieben. Nach dem Abbau der Buden gab es gerade mal ein kleines zusammengekehrtes H?ufchen, das sie h?tte fotografieren k?nnen“, erz?hlt Bakke, die selbst überrascht von der Entdeckung war, dass nahezu der komplette Berliner Müll aufgesammelt und verbrannt wird. Am Ende bleibt kaum etwas übrig.
Garbage vs. waste
?Im Englischen unterscheidet man zwischen garbage und waste. Garbage l?sst sich neu verwerten und kann zum Beispiel in Energie oder W?rme umgewandelt werden, wie es auch in den Berliner Müllverbrennungsanlagen geschieht. Waste aber ist das, was wir zu vermeiden suchen. Es ist wertlos, zu nichts mehr zu gebrauchen und unterzieht sich damit der Logik unserer Gesellschaft.“ Gerade die Frage nach der Ordnung der Dinge und wo wir die Grenze zwischen dem Einsortieren des einen und dem Aussortieren des anderen ziehen, fasziniert Bakke. Und diese Frage will sie durch ihre Ausstellung auch an die Betrachter*innen weitergeben.
Ausstellung in der Küche
Deshalb wurde der Ausstellungsort bewusst gew?hlt: ein Gemeinschaftsraum und eine Küche – zwei Orte also, an denen tagt?glich Müll entsteht, der seinen Benutzer*innen aber durch die fast augenblickliche Beseitigung der Reste erst im Mülleimer und dann im Transporter der Müllabfuhr sofort wieder aus der eigenen Wahrnehmung entschwindet. Das dürfte beim Essen mit den studentischen Bildern vor der Nase künftig etwas schwieriger werden.
reading- writing -doing
Wenn Gretchen Bakke nicht gerade ungew?hnliche Seminare gibt, dann forscht die gebürtige Kanadierin zur Energiewende und zum Postsozialismus. Sie hat an der University of Chicago studiert, wo sie neben den klassischen Kulturtheorien schon früh mit Lyrik, Philosophie und vor allem mit dem Schreiben in Berührung kam. Für das Wintersemester plant sie ein Berlin-Seminar unter dem Motto ?reading – writing – doing“: Die Gruppe liest nicht nur gemeinsam eine gesamte Monographie, sondern jede und jeder entwickelt auch ein eigenes Forschungsprojekt.
Termine
Die Ausstellung ?Du bist voll in Ordnung. Anthropology and Waste“ kann am Nachhaltigkeitsinstitut IRI THESys an der HU bis zum 18. Oktober 2019 nach vorheriger Anmeldung besichtigt werden. Anmeldung unter: iri-thesys@hu-berlin.de
Die Podcasts werden in Kürze bei NachHall, dem? Podcast der studentischen Initiative des Nachhaltigkeitsbüros der HU rund um 金贝棋牌 der Nachhaltigkeit, zu h?ren sein.
Ort
IRI THESys
Friedrichstra?e 191
10117 Berlin
Raum 4087/4046