Geschichte der Humboldt-Universit?t zu Berlin

Die ?Universit?t zu Berlin“ ist seit Hegel und Helmholtz, Schleiermacher und Ranke, Dilthey und Virchow ein Ort exzellenter Forschung, seit Heine und Marx immer auch eine St?tte inspirierender Studien. Trotz dieser Tradition hat die Universit?t dem NS-Zugriff keinen Widerstand geleistet und sich nach 1945 den Erwartungen von SED und Staat eher angepasst. Seit 1990 arbeitet sie daran, dem Anspruch ihrer Namensgeber wissenschaftlich, politisch und kulturell wieder zu entsprechen.

Gründung der Universit?t

Die ?Universit?t zu Berlin“, unbestritten weltweit prominent, von au?en und innen zugleich kritisiert und gerühmt, hat ihre eigene Geschichte. Im Wintersemester 1810 er?ffnet, ab 1828 ?K?nigliche Friedrich-Wilhelms-Universit?t zu Berlin“, seit 1949 ?Humboldt-Universit?t zu Berlin“ (HU) genannt, repr?sentiert sie, einerseits, in Lehre und Forschung die Praxis einer der um 1800 gegründeten modernen Universit?ten. Ihre Geschichte belegt andererseits, dass der Name ?Humboldt“ für eine Universit?t Privileg und Last zugleich bedeutet.

Das beginnt mit der Gründung: Wilhelm von Humboldt gelingt es 1810, endlich auch in Berlin eine Universit?t zu begründen – trotz der politischen Krise, in der sich Preu?en befindet, auch gegen starke Widerst?nde in der preu?ischen Regierung, die zum Beispiel die angestrebte finanzielle Autonomie der Universit?t ablehnt, und obwohl eine gro?e Stadt als ungeeignet für Universit?ten gilt. Humboldt setzt die Gründung dennoch durch, in einer Gestalt, in der die Tradition der europ?ischen Universit?t – unter anderem die Fakult?tsgliederung oder die Regierung durch Professoren, Rektor und Senat – mit zeitgen?ssischen Reformideen wie der Geltung des Forschungsimperativs, der Einheit von Forschung und Lehre sowie der Autonomie der wissenschaftlichen Arbeit zu einer spannungsvollen Einheit verbunden ist. 

Das moderne Orginal – mother of all research universities

So entsteht eine Alma Mater, die bis heute als ?mother of all research universities“ international bekannt ist. Bald ist sie die gr??te deutsche Universit?t, mit 8.000 Studenten schon 1914, seit 1908 in Studium und Forschung auch für Frauen offen. Nach 1900 erweitert sich die Universit?t in die Stadt hinein, und die Charité findet zu ihrer neuen Gr??e, auch dank des Wirkens von Ministerialdirektor Friedrich Althoff.

?Modell Humboldt“: Mythos und Realit?t 

Diese Gründung wird im 20. Jahrhundert zum ?Modell Humboldt“ überh?ht, indem man ihr Strukturen und Wirkungen zuschreibt, die für Berlin gar nicht zutreffen. Humboldt hat n?mlich, anders, als es sein ?Mythos“ sagt, die Universit?t nicht als zweckfreie Einrichtung begründet, fern von Staat und Gesellschaft, akademischen Berufen und ?konomischer Bedeutung, autonom in allen Dimensionen. Vielmehr pries er schon dem K?nig ihren Nutzen für Preu?ens Ruhm und ?konomisches Wohlergehen, setzte strikte Prüfungen durch, um den Staat vor mittelm??igen Qualifikationen zu schützen, und behielt etwa das Berufungsrecht dem Staat vor, weil er skeptisch war gegenüber dem Eigeninteresse der Professoren. Zudem suchte die Universit?t, schon früh und dann kontinuierlich, erfolgreich die Verbindung zur Kultur der Stadt und zur gro?en Industrie. Auch die internationale Wirkung, nie als Kopie, immer lokal überformt, kann man eher für das deutsche Modell der Universit?t behaupten als exklusiv für das ?Humboldt’sche“. Aber wie differenziert die Wirkung auch war, der Forschungsimperativ setzte sich durch, ebenso die eindeutige Unterscheidung von Fach(hoch)schulen und Universit?ten oder die Einbindung der Naturwissenschaften. Mit der Praxis ihrer Disziplinen wird die Berliner Universit?t wirklich zum Modell.

Berühmte Gelehrte – Pioniere der Disziplinen

Das manifestiert sich in Personen und Strukturen zugleich. Es sind berühmte Gelehrte, die 1810 nach Berlin berufen oder seither hier t?tig werden und das moderne Selbstverst?ndnis vieler Disziplinen überhaupt erst begründen. Das gilt für Schleiermacher in der Theologie, Reil für die Medizin, Savigny für die Rechtswissenschaft, Fichte, dann Hegel in der Philosophie, für Thaer und die Landwirtschaftswissenschaft – denn auch die geh?rt zur Gründung –, wie die Gelehrten von Wolf bis B?ckh, von Niebuhr bis Ranke, mit denen sich die philologischen und historischen Disziplinen in der Philosophischen Fakult?t neu erfinden.

Forschung als Ver?nderungsmotor

Forschung ver?ndert auch die alten, ?oberen“ Fakult?ten, vor allem in der Medizin. Das Labor wird, nicht erst mit Virchow, zum Ort revolution?rer Ver?nderungen in der Forschung über Mensch und Natur. Theorie und Methode der Naturwissenschaften gewinnen zum Beispiel mit Helmholtz eine neue Gestalt; Biologie, Chemie und Technologie verbinden sich schon vor 1900 zu einer zukunftsweisenden Praxis der Naturwissenschaften. 

Lange bevor Nobelpreise verliehen werden und Berlins Ruhm weiter mehren, ist die Universit?t eine international sichtbare Forschungsuniversit?t. Einer ihrer prominentesten Historiker, der liberale Theodor Mommsen, 1888 scharfer Opponent gegen die antisemitischen Ausf?lle seines Kollegen Treitschke, erh?lt 1902 den Nobelpreis für Literatur.

Die Realisierung des Forschungsimperativs

Für die Praxis der Disziplinen sind aber nicht allein gro?e Gelehrte signifikant, sondern auch Strukturen und Normen: Mit scharfen Gütekriterien wird in Berlin sehr früh das an anderen Universit?ten noch bis weit nach 1850 h?chst laxe Promotionswesen verbessert. Bei Berufungen z?hlen schon 1810 Forschungsleistungen und Publikationen, und der Wettbewerb wird so stark, dass Berlin erst für reife Gelehrte erreichbar wird und bald h?chstes Prestige in der Rangordnung der deutschen Universit?ten gewinnt. 

Modernisiert werden die Disziplinen auch durch die Einführung der Habilitation, die spezifische fachliche Leistungen fordert und damit die Ausdifferenzierung der F?cher in Gang setzt, nicht nur in der Medizin, aber hier besonders folgenreich. Viele Spezialisierungen in der klinischen Praxis verdanken sich der Arbeit zumal jüdischer Privatdozenten, die zwar nicht Ordinarien werden, aber erfolgreich arbeiten k?nnen – jedenfalls bis zu den von den Nazis erzwungenen Entlassungen 1933, von denen sie besonders stark betroffen sind. 

Nach 1933 ver?ndert sich auch die institutionelle Struktur der Universit?t. Die 金贝棋牌n für Landwirtschaft und Veterin?rmedizin werden als eigene Fakult?t integriert, die Philosophische Fakult?t wird geteilt, die Naturwissenschaften verselbstst?ndigen sich. Schlie?lich wird eine ?Auslandshochschule“ gegründet, als Ausdruck der nationalsozialistischen Indienstnahme der Universit?t, die sie auch selbst intensiv gesucht hat.

Universit?t und Staat, Anpassung und Selbstbehauptung

Sp?testens jetzt, ab 1933, wird die politische Geschichte der Berliner Universit?t auch in ihren h?chst problematischen Traditionen sichtbar. Die Bindung an den Staat selbst ist nicht neu. Humboldt, vor allem aber Fichte, der erste gew?hlte Rektor, definierten ihr Selbstverst?ndnis aus dem antifranz?sischen Pathos der Befreiungskriege heraus. Im Kaiserreich erhob der Biologe du Bois-Reymond die Professoren der Universit?t zum ?Leibregiment der Hohenzollern“, durchaus zu Recht, denn ihre Mitglieder waren mehrheitlich kulturprotestantisch, national und monarchisch orientiert. Nach 1918 wurde die junge Demokratie bei den meisten Professoren und Studierenden als Bedrohung interpretiert und abgelehnt. Aber im gesamten 19. Jahrhundert war diese politische Verortung immer an die klare Unterscheidung von politischer und akademischer Freiheit gekoppelt. Deshalb votierte bei der sogenannten ?Demagogenverfolgung“ seit 1818/19 etwa Schleiermacher scharf gegen alle Interventionen, mit denen die akademische Freiheit eingeschr?nkt wurde. Ein Philosoph wie Friedrich Paulsen verteidigte das autonome Recht zur Rekrutierung von Privatdozenten gegen Ende des Jahrhunderts erneut, als der K?nig zu verhindern suchte, dass der Sozialist und Physiker Leo Arons Universit?tsmitglied werden konnte. Wilhelm II. musste 1898 eigens die ?Lex Arons“ erlassen, weil die Universit?t seinem Willen nicht folgte.

Nationalsozialismus

Diesen Mut vor den Regierenden und diese Solidarit?t mit ihren Mitgliedern hat die Universit?t 1933 nicht gezeigt. Im Gegenteil, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nahmen Professoren und universit?re Gremien die Entlassung jüdischer Gelehrter kritiklos hin, ja unterstützten sie sogar. Die Studenten, schon seit 1930 mehrheitlich nah am Nationalsozialistischen Studentenbund, inszenierten zusammen mit der SA und dem NS-P?dagogen Alfred Baeumler die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, auf dem Opernplatz vor der Universit?t. Ein Jurist, Carl Schmitt, verteidigte die Ermordung der SA-Führer – ?Der Führer ist das Recht“ –, Mediziner wirkten an den Verbrechen der Euthanasie mit, Agrarwissenschaftler lieferten Argumente für die Eroberungskriege im Osten Europas. Zu den aktiven Widerst?ndlern geh?rten nur wenige Mitglieder der Universit?t.

DDR-Zeit

Nach 1945 musste die Universit?t ihren Platz zwischen Besatzungsmacht und SED-Herrschaft, einer kaum energisch praktizierten Entnazifizierung und der Wiederer?ffnung erst finden. Das war auch politisch ein Problem, wie der Protest von Berliner Studierenden gegen den erneuten Zugriff auf die Universit?t und die von ihnen forcierte Gründung der Freien Universit?tam deutlichsten dokumentieren. 

Trotz dieser Konflikte im Namen der Brüder Humboldt existierte die HU als Hauptstadtuniversit?t der DDR von 1949 bis zur Selbsterneuerung seit 1989 in einer komplexen Mischung aus freiwilliger Unterwerfung und dem von Einzelnen weiterhin gesuchten Imperativ einer freien Forschung. Die Strukturen von Universit?ten im Sozialismus – in der Gleichzeitigkeit von Sektionsgliederung und Fakult?ten, SED-Regime und Stasipr?senz, Erziehungsambition gegenüber den Studierenden und Kontrolle der Kommunikation aller – waren mit der Humboldt-Tradition nur dadurch vereinbar, dass Wilhelm und Alexander im sozialistischen Geist und als Vertreter eines ?k?mpferischen Humanismus“ im Zeichen des Ost-West-Konflikts radikal umgedeutet wurden.

Neuanfang in der Tradition von Reform-Ambition und Exzellenzanspruch

1990 fand diese Situation ein Ende. Von innen durch Studierende und Lehrende angesto?en, gelangte die Universit?t aber erst in l?ngeren, konfliktreichen Prozessen mit dem Land Berlin, zugleich intern in den neuen Gremien und mit neu berufenen Akteur*innen zu ihrer eigenen Form. In der kritischen Prüfung von Personal und Strukturen neu abgestützt, wurde sie im Namen ihrer innovativen Tradition und der Liberalit?t, die sich mit den Brüdern Humboldt verbindet, in den 1990er Jahren neu gestaltet, in Forschung und Lehre disziplin?r basiert, offen für Interdisziplinarit?t. Die Freiheit von Forschung und Lehre wurde wieder ins Recht gesetzt, das Verh?ltnis zum Staat in vertraglichen Regelungen auch ?konomisch stabilisiert, mit der Pr?sidialverfassung die Handlungs- und Innovationsf?higkeit der Universit?t gesichert, alle Mitglieder der Universit?t an ihrer Selbstverwaltung beteiligt, ein Selbstbild im Geiste der legitimen Traditionen beschlossen. Der Erfolg in der Exzellenzinitiative, in der Losung ?Bildung durch Wissenschaft“ humboldtianisch symbolisiert, zeigt seit 2012 weltweit, dass es erneut die Praxis der Disziplinen, der Lehrenden wie der Studierenden ist, in der die ?Universit?t zu Berlin“ ihre wirkliche St?rke zeigt.

// Text: Prof. i. R. Dr. Dr. h.c. Heinz-Elmar Tenorth