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?Familienzeit“ von Henning Ruwe

Gewinnerglosse des Schreibwettbewerbs am Sprachenzentrum


Es ist Winter, eine traumhafte Zeit um mit der Familie Schlitten zu fahren oder Schneem?nner zu bauen. Eigentlich. Doch die Stra?en sind menschenleer.

Woran das liegt? Es ist Jahresrückblickszeit. 180 Minuten Gottschalk, Kerner und Co. - am Stück. Die wollen nicht verpasst werden. Ich h?tte nie gedacht, dass ein Fernseher mehr Kopfschmerzen erzeugen k?nnte als eine Guillotine. Nun ist es wohl soweit. Drei Stunden lang im frohen famili?ren Kreis d?mlich debile selbst ernannte ?Unterhaltungsk?nige“ zu begucken, die uns dann erkl?ren wollen, wie aufregend das vergangene Jahr doch war. Dank unserer ?Sendervielfalt“ darf man gleich einen ganzen Jahresrückblicksmarathon veranstalten.

Wochenlang wird es angekündigt als Megaevent des Jahres für die ganze Familie. Für Menschen aus Brandenburg wird das wahrscheinlich sogar zutreffen. Nach langem Warten freuen wir uns dann alle gemeinsam, wenn Sarrazin zum fünften Mal in einer Woche den Grand Prix für Deutschland gewinnt und Lena in ihrem neuen Buch feststellt, dass bei Westerwelles Genen nicht alles in Ordnung ist. Walter Mixa darf nochmal den ?ein oder anderen Watschen“ an Demonstranten verteilen und in Gorleben hat die Bahn mal wieder Versp?tung.

Schlie?lich zieht Zirkusdirektor Kerner Opfer und Trauernde der Loveparade am Nasenring durch die Fernsehmanege, freut sich über die feuchten Augen in Nahaufnahme und die vielen gezeigten Emotionen und setzt sein ?man bin ich authentisch“-Grinsen auf. Das sehen wir alle gerne: Betroffenheit, aber bequem im Fernsehsessel und danach bitte ?was Lustiges“. Man h?tte diesen Wunsch nicht ?u?ern sollen, denn sofort folgt die ?Humorallzweckwaffe“ Oliver Pocher – der letzte gro?e Freigeist, im Wortsinn, also v?llig frei von... Und dann sehen wir wie in Haiti beim Erdbeben Schulen zusammenbrechen und denken dank Pocher ?Das k?nnten auch deutsche Schulen gewesen sein“. Kurz darauf ist Schluss und w?hrend die Familie angeregt über das diskutiert, was denn nun ?unser Jahr 2010“ gewesen sei, sitze ich resigniert da und freue mich jetzt schon riesig auf die kommenden, wiederholenswertesten Ereignisse 2011.

Meine Eltern geh?ren zu den Menschen, die nicht mehr ohne Rückblick k?nnen und aus diesem ?Event“ auch noch einen Familienpflichttermin machen müssen. Manchmal glaube ich, der Storch muss sich damals um ein Haus verflogen haben. Aber dann h?re ich am n?chsten Tag meine Mutter im Gespr?ch mit dem Nachbarn: ?Ja wir haben gestern was mit der Familie gemacht.“ ?Ja, wir auch.“ ?Ja, was denn?“ ?Ja Jahresrückblick.“ ?Ja, wir auch“.

Ja Prima. Al Qaida droht mit neuen Anschl?gen – die Fernsehanstalten mit neuen Rückblicken. Für mich ist die Bedrohung durch Gottschalk weitaus latenter als die von Bin Laden. Am Ende verjauchen wir sowieso alle an solchen Sendungen.

K?nnte mich noch ewig aufregen – aber gleich f?ngt die Sportschau an. Heute zeigen sie die sch?nsten Tore der letzten 10 Jahre, das darf ich nicht verpassen.

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WEITERE INFORMATIONEN

Dr. Elke R??ler
Humboldt-Universit?t zu Berlin
ZE Sprachenzentrum
Unter den Linden 6
10099 Berlin
Tel: 030 2093-5010
E-Mail: elke.roessler@spz.hu-berlin.de