Unzufriedenheit mit dem autorit?ren Regime
In unserer neuen Reihe ?Globale Proteste“ werden weltweite soziale Unruhen thematisiert. In der ersten Folge erkl?rt Prof. Dr. Anselm Hager vom Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universit?t zu Berlin die Hintergründe der Protestbewegungen im Iran.
Auch im Januar 2020 gehen in Iran Massen von Menschen auf die Stra?e. Die Trauerbekundungen angesichts des Todes des Generals Qassem Soleimani, der bei einem US-amerikanischen Drohnenangriff im Irak get?tet wurde, hatte noch die Unterstützung des Regimes. Als jedoch Anfang Januar ein ukrainisches Passagierflugzeug – mit mehrheitlich iranischen Passagieren – nahe Teheran von iranischen Raketen abgeschossen wurde, haben tausende Iranerinnen und Iraner erneut zum Protest aufgerufen – gegen das Regime.
Auch im letzten Jahr sind Iranerinnen und Iraner auf die Stra?e gegangen. Mehr als 300 Menschen sollen nach Angaben von Amnesty International bei den Protesten gegen das Regime im Herbst get?tet worden sein. Die Beh?rden gingen mit Gewalt vor und haben tausende Demonstrierende festgenommen. Iran ist neben Hongkong oder Chile eines der vielen L?nder weltweit, die 2019 massive soziale Unruhen erlebten. Amnesty International spricht gar von einem ?Jahr der Proteste“. Warum gerade jetzt? Protestbewegungen seien Zyklen unterworfen, die sich nur schwer erkl?ren lie?en, sagt Hager. Der Juniorprofessor für Internationale Politik am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universit?t zu Berlin forscht zu Protesten in unterschiedlichen Kontexten. An Beispielen wie dem Zerfall des Ostblocks oder dem Arabischen Frühling k?nne man sehen, dass Protestbewegungen ?ansteckend“ sein k?nnen. ?Da finden Inspiration, Austausch und Solidarisierung statt“, sagt der Politikwissenschaftler. Auffallend an den aktuellen Unruhen sei, dass sich viele Jüngere engagieren. ?Wir beobachten, dass Protestbewegungen zunehmend von jüngeren Menschen getragen werden – sei es in Zimbabwe, China oder in Chile.“
Soziale Netzwerke spielen gro?e Rolle bei Protesten
Ausgangspunkt der Proteste im Iran war eine Erh?hung der Benzinpreise Mitte November. Solche Ereignisse seien h?ufig der Ausl?ser – die eigentlichen Ursachen aber l?gen tiefer, sagt Anselm Hager. ?Das ist nur der Tropfen, der das Fass zum ?berlaufen bringt.“ Erh?hungen der Benzin- oder auch der Fahrkartenpreise – wie in Chile – betr?fen viele Menschen. ?Das spürt jeder unmittelbar im Geldbeutel.“ Die wirklichen Gründe aber seien komplexer. Denn im Iran sind die Proteste zwar eindrücklich, aber keineswegs neu. Das autorit?re Regime herrscht seit 1979 und erlebt seitdem immer wieder Proteste – zuletzt im Jahre 2011/2012. ?Es gibt eine unglaubliche Unzufriedenheit. Das Regime ist von der Welt abgeschottet, fundamentalistisch und undemokratisch – damit k?nnen vor allem jüngere, liberale Menschen nichts anfangen“, sagt Anselm Hager.
Eine wichtige Rolle bei der Organisation der Proteste spielen soziale Netzwerke. ?Insofern verwundert es nicht, dass sich der Iran im November entschieden hat, das Internet für ein paar Tage abzuschalten“, so der Juniorprofessor. Der Mobilisierung über das Internet stünden dabei systematische, zunehmend professionelle Zensur und Blockaden seitens der Regierungen gegenüber. Wie es im Iran weitergeht, ist unklar.
Autorin: Inga Dreyer